Satyricon - Satyricon

Review

Fünf Jahre lang haben sich SATYRICON Zeit für ein neues Album gelassen. Schon die kryptischen Worte der Band selbst ließen viele Hörer aufhorchen: „Wir haben bisher noch keine Platte gemacht, die den Geist der Band derart einfängt. Sie verlangt dem Hörer viel ab, aber er wird es lieben. Die Platte wird mit jedem Mal Hören besser und deshalb wird sie alle Zeiten überdauern“. Starke Worte. Hat nicht unsere Redaktion den Vorgänger „The Age Of Nero“ – übrigens ganz zu recht  – als „im Mittelmaß angekommen“ bezeichnet? Viele enttäuschte Fans sahen es genauso, war man doch von SATYRICON qualitativ hochwertige, nicht selten richtungsweisende Alben gewohnt. Dagegen schien „The Age Of Nero“ lediglich ein blasser Abklatsch von „Now, Diabolical“ zu sein.

Eins vorweg: „Satyricon“ wirkt beim ersten Hören eher unspektakulär. Eine Sekunde lang hätte ich den Opener „Voice of Shadows“ für eine Doom-Version von „Oh When The Saints Go Marchin‘ In“ gehalten. Langsam. Getragen. Der Auftakt einer Prozession ins innerste Heiligtum von „Satyricon“. Der seit „Volcano“ perfektionierte Minimalismus, die Monotonie – es  ist alles noch da. SATYRICON haben keinen extremen Wandel oder Stilbruch vollzogen, das merkt man sofort. „Tro og Kraft“ beginnt mit einem behäbigen Riff, von dem man annehmen könnte, dass es keinen bleibenden Eindruck hinterlassen wird. Bis nach kurzer Zeit der Gesang einsetzt. Emotional, perfekt verwoben mit lockeren, melancholischen Gitarrenläufen. Was bei den ersten Hördurchläufen zumindest unspektakulär, wenn nicht sogar langweilig wirkt, entfaltet nach einigen Durchläufen sein ganzes Potential. Es erinnert mich an das das Gefühl, nach ungezählt vielen Hochglanz-Hollywoodstreifen einen Stummfilmklassiker aus den zwanziger Jahren zu schauen. Befremdlich. Reduziert. Und doch voller Schönheit und Tiefe, wenn man sich darauf einlässt.

„Satyricon“ wirkt durch das gedrosselte Tempo und die Produktion weniger aggressiv als seine Vorgänger. Befürchtet man nach „Our World, It Rumbles Tonight“ fast, dass es jetzt sieben Songs so weitergeht, wird man rasch eines Besseren belehrt. Bei „Nocturnal Flare“ fegt ein dominantes Riff tornadogleich durch die aufgeräumten, teilweise verträumten Songstrukturen, zieht sich zurück – um gepaart mit der Urgewalt von Satyrs Stimme zurückzukehren. Stark!

Es ist sicher kein Zufall, dass „Phoenix“ sich genau in der Mitte des Albums befindet. Wie „Voice of Shadows“ und auch das abschließende „Natt“ ihren unverrückbaren Platz haben, gehört „Phoenix“ an fünfte Stelle. Ein SATYRICON-Song, bei dem nur männlicher Klargesang zum Einsatz kommt? Von einem Sänger, dessen Background im Alternative Rock liegt? Zugegeben, die Stimme von Anja Garbarek auf „Volcano“ fand ich – gerade weil sie keine der genreüblichen Trällerelsen ist – sehr erfrischend. Aber „Phoenix“? Schlicht und einfach genial. Sei es, weil Satyr den Song für Sivert Høyems Stimme konzipiert hat, oder ob dieser – er hört privat auch  Black Metal – einfach den perfekten Symbioten für dieses Projekt abgibt. Reinigendes Feuer, Asche, Auferstehung. Ergreifend, atmosphärisch, emotional. Schon jetzt ziemlich weit oben in meinen persönlichen Top Ten der besten SATYRICON-Songs und einer der fiesesten Ohrwürmer, die ich in letzter Zeit hatte.

Wow, ich hätte kaum gedacht, dass SATYRICON auf der Scheibe noch einmal Blastbeats auspacken! Tempo! Vielleicht auch deswegen habe ich das Gefühl, dass „Phoenix“ die Scheibe in zwei Teile gliedert. „Walker Upon The Wind“ scheint das trotzige Bekenntnis zu „Now, Diabolical“ zu sein, eine Bekräftigung der Entwicklung dieser Band. „Walker Upon The Wind“ hat mich zwar überrascht, aber mit einem eingängigen Black’n Roll-Kracher wie „Nekrohaven“ habe ich nicht mehr gerechnet. Fettes Riff, Mitsing-Refrain und Simpel-Solo: Vom Hitfaktor gefährlich nahe an „K.I.N.G.“ , auch wenn der wohl ewig unerreicht bleiben wird. Die zweite Hälfte des Albums ist überraschend stark geworden.

Gut, eigentlich wollte ich nicht jeden Song ausführlich besprechen. Also springe ich jetzt gleich zum letzten Song. Wie der Opener und „Phoenix“ hat „Natt“ seinen festen Platz. Er unterscheidet sich sehr vom Rest der Platte, mit ruhigen, folkloristischen Anleihen. Fast könnte man meinen, er wäre ein Überbleibsel aus STORM-Zeiten, ich habe aber den Eindruck, dass es Satyrs Verbundenheit mit der Umgebung, in der das Album entstanden ist, widerspiegelt, aber auch einen Bezug zu skandinavischen Komponisten wie Edward Grieg herstellt.

Zusammenfassung? „Satyricon“ einzuordnen, fällt mir ziemlich schwer. Im Gegensatz zu „The Age Of Nero“, dessen Ersteindruck sich nicht wesentlich von meinem heutigen unterscheidet, fand ich dieses Album zunächst etwas lahm und wenig beeindruckend. Aber „Satyricon“ wächst. Wuchert. Es scheint, als wäre diese Scheibe das pechschwarze Destillat einer Jahre andauernden Entwicklung, die Quintessenz aus 23 Jahren Bandgeschichte. Ich würde mich nicht so weit aus dem Fenster lehnen, „Satyricon“ als das beste Album dieser Band zu bezeichnen (dafür haben sie zu viele qualitativ hochwertige Alben veröffentlicht). Aber allein der Albumname ist ein Monument, eine Aussage, die nie mehr zurückgezogen werden kann. Und dieser Aussage – quasi des Pudels Kern – werden sie zu jeder Minute gerecht.

21.08.2013
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