Sanctuary - Into The Mirror Black

Review

SANCTUARY sind ähnlich wie ihre Quasi-Nachfolger NEVERMORE eine der tragischsten Bands im Metal-Kosmos. Die von Dave Mustaine entdeckte und anfänglich auch produzierte Band veröffentlichte 1988 mit ihrem Debüt “Refuge Denied” bereits ein wahnsinnig starkes US-Metal-Album mit leichtem Hang zum melodischen Thrash, das mit “Die For My Sins”, “Battle Angels” oder dem verrückten JEFFERSON-AIRPLANE-Cover “White Rabbit” schon einige Hits beinhaltete. Zudem konnte die Band aus Seattle mit damaligen Größen wie MEGADETH, FLOTSAM & JETSAM, SAVATAGE, TESTAMENT, NUCLEAR ASSAULT oder FATES WARNING die ganze Welt betouren.

Nur zwei Jahre später steht “Into The Mirror Black” in den Läden, das SANCTUARY nicht nur auf unglaubliche Weise gereift zeigt, sondern nebenbei auch zu den besten klassischen Metal-Alben der USA und der Neunziger gehört. Als die Band von ihrem Label im Anschluss genötigt wird, auf den Grunge-Zug aufzuspringen und nicht alle Mitglieder darauf Bock haben, rekrutieren Sänger Warrel Dane und Bassist Jim Sheppard zunächst den blutjungen Gitarristen Jeff Loomis als Ersatz für den ausgestiegenen Sean Blosl, benennen sich aber bald in NEVERMORE um und starten eine zweite Karriere. Nach dem guten, aber nicht überragenden Reunion-Album “The Year The Sun Died” von 2014 stirbt Warrel Dane 2017 an den Folgen seines jahrelangen Alkohol- und Drogenmissbrauchs. Aktuell haben sich SANCTUARY passenderweise mit WITHERFALL-Goldkehlchen Joseph Michael verstärkt, ein Studioalbum ist noch nicht in Sicht.

SANCTUARY und ihre Sternstunde

Mit einem für damalige Verhältnisse typisch zeitgemäßen und vor allem in der Original-CD-Version nicht tadellos gealterten Sound sowie einem unerschöpflichen Vorrat an frischen Riffs schütteln sich Hauptsongwriter Lenny Rutledge, Warrel Dane und ihre Kollegen die genialen Ideen nur so aus dem Ärmel. Der zunächst ruhig beginnende und dann unmittelbare mitreißende Opener “Future Tense” ist einer der ikonischsten Metal-Songs der frühen Neunziger überhaupt – legendär dazu auch das Video. Mit “Taste Revenge” und in Ansätzen auch mit “One More Murder” und “Seasons Of Destruction” gerät der Power Metal von SANCTUARY zudem immer wieder in thrashige Sphären.

Besonders spannend wird “Into The Mirror Black” vor allem durch seinen Hang zu Unkonventionellem. Mit Songs wie “Eden Lies Obscured”, “Long Since Dark” oder “The Mirror Black” bewegen sich SANCTUARY in tempoärmeren, dafür recht break-lastigen Bereichen. “Epitaph” tangiert schon fast doomige Gefilde.

“Into The Mirror Black” legt den Grundstein der Karriere mit NEVERMORE

War “Refuge Denied” noch ein starkes, aber verhältnismäßig konventionelles US-Metal-Album, sprengt das vorliegende Werk die Grenzen hin zu einem progressiven Sound, der immer leicht psychotisch am Rande des Wahnsinns balanciert. Mit NEVERMORE sollten Warrel Dane, Jim Sheppard und Jeff Loomis dieses Terrain später noch viel intensiver erkunden – der Grundstein für diese spannende und ebenso tragische Karriere ist mit “Into The Mirror Black” jedenfalls schon gelegt.

Perfektion erreicht das Album durch die wie eh und je hintergründigen, eloquenten und mitunter sehr zynischen Texte. Nicht immer leicht zu verstehen, dafür sprachgewaltig und deutungsoffen konnte Warrel Dane die Worte zu den Songs formulieren und mit seiner einzigartigen Stimme, die zwischen brutalem Wahnsinn und sensibler Gebrechlichkeit pendeln konnte, intonieren. SANCTUARY waren wie später NEVERMORE in jeder Hinsicht Ausnahmekünstler, weshalb das Album im an Highlights nicht gerade armen US-Power-Metal in seiner Klasse kaum je erreicht wurde.

15.05.2024

Redakteur | Koordination Themenplanung & Interviews

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