Rush - Power Windows

Review

In ihrer mittleren Schaffensphase veröffentlichten die kanadischen Prog-Urgesteine RUSH eine ganze Menge an Alben, die einen ikonischen Live-Klassiker an den anderen reihten. Die Dichte an Über-Songs war in dieser Phase wirklich beeindruckend. Während man deren Beginn streitbarerweise bei „Permanent Waves“ verorten kann, das den Wechsel hin zu einem etwas mehr Arena-orientierten, aber immer noch progressiven Sound markierte und das Magnum Opus „Moving Pictures“ zweifelsohne den kreativen Höhepunkt in dieser Hinsicht markierte, kommt das hier vorliegende „Power Windos“ von 1985 zumindest bei Prog-Fans oft weit weniger gut weg. Das hat natürlich seine Gründe, aber das macht die Platte deshalb nicht schlechter, im Gegenteil. Sicher glänzt „Power Windows“ nicht durch Progressivität. Aber es dürfte das vielleicht beste Synth-Rock-Album der Kanadier sein.

Das quintessentielle Achtziger-Album von RUSH?

Zu den Aufnahmen des Albums hatten RUSH nach einer kleinen Pause, die sie sich im Anschluss der Tour zum Vorgänger „Grace Under Pressure“ gönnten, einen neuen Produzenten in Form von Peter Collins gesucht, der sogleich dafür sorgte, dass die Aufnahmen für „Power Windows“ aus Sicht der Band zu den angenehmeren Erfahrungen ihres Schaffens gehörte. Zusammen mit James Barton lieferte er die richtigen Impulse für den Klang und die Form dieses Albums. Die Band war sich bewusst, dass dieser neue Sound natürlich ein entscheidender Schritt weg von ihrer Progressivität bedeuten würde, aber rückblickend hat sich das Risiko ausgezahlt, da RUSH mit „Power Windows“ so etwas wie ihr quintessenzielles Achtziger-Album veröffentlicht haben, das zugleich jedoch erneut voll und ganz nach RUSH klingt, sei es dank Geddy Lees Gesang, seiner markanten Basslinien, Alex Lifesons expressiver Gitarrenarbeit oder eben der unfehlbaren Rhythmusmaschinerie von Neil Peart.

Die Songs befassen sich allesamt mit der übergeordneten Thematik Macht, die hier in verschiedenen Weisen äußert. „The Big Money“ zum Beispiel ist auf monetäre Macht fokussiert, „Territories“ thematisiert verschiedenartiges, nationalisitisches Gedankengut während „Marathon“ eine Art produktiven Rauschzustand anhand der Metapher eines Marathonlaufs zu beschreiben scheint und etwas erfrischend motivierendes an sich hat. Wie so oft bei den Texten des Professors stecken gerne mal kritische Untertöne in oder zwischen den Zeilen, und wenn es nur eine einzelne Phrase wie in „Marathon“ ist, die vor Burnout warnt. Erneut wird Individualismus bzw. der Mangel am selben innerhalb des Bürgertums thematisiert. Das kommt beispielsweise im kommerzkritischen „Grand Designs“ durch, während „Middletown Dreams“ expliziter auf diese Art der Marterie eingeht.

„Power Windows“ zeigt, wie zeitloser Synth-Rock zu klingen hat

Musikalisch ist „Power Windows“ wie angedeutet ein Synth-lastiges Album geworden, mehr noch als zuvor bei den Kanadiern. Ebenfalls wie angedeutet lassen RUSH hier einen Kracher auf dem anderen folgen, als wäre die Band hier „Marathon“-mäßig in einem Zustand kreativer Ekstase gewesen. „The Big Money“ eröffnet das Album in bombastischer Manier, gestaltet sich dank seiner dynamischen Struktur aber als ausreichend vielschichtig, um seine Wirkung über die fünfeinhalb Minuten Spielzeit nicht einzubüßen. „Grand Designs“ als Kritik an Radiogewohnheiten ist ironischerweise der vielleicht poppigste Song der Platte mit diesem fast kitschigen Keyboard-Motiv. Aber auch hier lassen es sich die Kanadier nicht nehmen, interessante Synth-Texturen einzuweben und dem Song so Leben einzuhauchen, ganz zu schweigen von Alex Lifesons pointierten Gitarrenimpulsen.

Den vielleicht bombastischsten Refrain enthält „Marathon“, wobei dessen Wirkung sicherlich auch durch die Struktur des Songs angefeuert wird. Die Strophen sind so inszeniert, als würde sich der metaphorische Läufer gerade aufwärmen, um dann pünktlich zum Refrain loszudüsen. Die breitwandige Synth-Wand, welche die finale Hook untermauert, schlägt dann, besonders nach dem atmosphärischen Solo-Part, umso heftiger beim Hörer ein, wiederum weil die Kanadier die Spannungskurve einfach so wahnsinnig geschickt managen. Ebenfalls ganz vorne mit dabei ist der Refrain von „Middletown Dreams“, nicht ganz so bombastisch, aber definitiv eine der souligeren Hooks, die Geddy Lee auf dieser Platte liefert. Hier sticht ebenfalls auch die dramatische Synth-Linie in der Bridge hervor.

Ein zugänglicher und doch vielschichtiger Meilenstein

Herrlich nervös wuselt sich „Emotion Detector“ mit flottem Rhythmus über die Zielgerade. Auch hier gefallen wieder diese überlebensgroß inszenierten Synths, die dem Song besonders als Doppelung von Lifesons Riffs etwas Überlebensgroßes verleihen. Doch der Rausschmeißer „Mystic Rhythms“ setzt dem auf „Power Windows“ Dargebotenen in Sachen Synths schließlich die Krone auf. Der von einer geradezu majestätischen Gediegenheit gesegnete Rausschmeißer ist praktisch ein knapp sechs Minuten andauernder Gänsehautmoment, bei dem RUSH in klangliche Sphären von andersweltlicher Natur vorstoßen, einerseits mit spacigen Synths, andererseits mit dem perkussivem Beat, der lediglich im Solo-Part durch einen regulären Rock-Rhythmus ersetzt wird. Und diese Hook muss man einfach einmal im Leben über eine richtig große Anlage gehört haben.

Was bleibt sonst zu sagen? Aufgrund seiner Beschaffenheit ist „Power Windows“ natürlich ein ausgesprochen zugängliches Album, das dennoch durch seine durchdachten Kompositionen immer wieder Grund zum Auflegen bietet, ganz zu schweigen von den gewohnt überragenden Instrumentalleistungen von Lee, Lifeson und Peart. Lees Gesang ist wie immer ein bisschen Geschmackssache, wobei sich seine hohe Stimme vor dem Synth-lastigen Backdrop praktisch wie zuhause anfühlt. Der Sound hat dieses Überlebensgroße an sich, das man Arena-Rock-Alben der Achtziger generell so gerne zuschreibt und gleitet daher wie Sahne in die Gehörgänge hinein. Praktisch alle Aspekte von „Power Windows“ zeigen RUSH auf ihrem Zenit jenseits ihrer progressiven Machenschaften und demonstrieren, wie ein „gewöhnliches“ Rock-Album aus der Feder einer Prog-Legende zu klingen hat. Nämlich so, und nicht anders!

06.04.2022

Redakteur für Prog, Death, Grind, Industrial, Rock und albernen Blödsinn.

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