“Moving Pictures” von 1981 ist das achte Studioalbum des kanadischen Trios RUSH und die Fortsetzung der ein Jahr zuvor veröffentlichten Scheibe „Permanent Waves“: Das markierte eine Abkehr vom ausschweifenden Progressive Rock der Siebziger und eine Hinwendung zu kürzeren und vor allem radiotauglicheren Songs. Gewiss war dieser Fokus nicht gänzlich neu, hatten RUSH doch in den Siebzigern immer auch kürzere Songs auf ihren Alben; diese wirkten aber manchmal eher wie Fremdkörper oder Beiwerk, das vor allem für die Plattenfirma und deren Singlewünschen mit auf die Alben genommen wurde. Nicht so „Moving Pictures“: Hier stehen sieben ausgetüftelte und fokussierte Songs nebeneinander, die Progressivität mit Eingängigkeit miteinander verbinden.
RUSH verbinden Progressivität mit Eingängigkeit
Jetzt wird das Album ‚gute‘ 40 Jahre nach Erscheinen neu aufgelegt – mit neuem Coverartwork, Linernotes und in verschiedenen Konfigurationen, die zumindest das Album in remasterter Form (hier die Version von 2015) und ein Konzert von 1981 auf gleich zwei Bonus-CDs enthält (entspricht dem vorliegenden Rezensionsexemplar). In der Super Deluxe Edition sind hingegen gleich drei CDs, eine Blu-ray Audio Disc, fünf LPs sowie unzählige Gimmicks enthalten.
„Moving Pictures“ erschien gerade einmal dreizehn Monate nach „Permanent Waves“. Eigentlich hatten Band und Management einen Zweijahresplan vorgesehen, aber Geddy Lee, Alex Lifeson und Neil Peart kamen euphorisiert von ihrer mehrmonatigen Tour in Folge des 1980er-Albums zurück und wollten die zwischen Soundchecks und Bühnenbrettern ausgeheckten neuen Ideen möglichst schnell aufnehmen. Und hier trog das Gefühl der Musiker nicht. Nach einer längeren Vorproduktion ging es im Oktober 1980 mit sieben neuen Stücken ins Studio. Und die haben es in sich.
Euphorisiert von der Tour
„Moving Pictures“ beginnt mit dem langsam dräuenden „Tom Sawyer“, das seine Eingängigkeit durch die fetten, modulierten Synthesiersounds erreicht – während der spätere Solopart die progressive Identität der Band in all seiner Freiheit zeigt. „Tom Sawyer“ wurde dann auch als erste Single aus dem Album ausgewählt und ist bis heute einer der bekanntesten Songs von RUSH. Weiter geht es mit dem sonnig-positiven „Red Barchetta“, das textlich eine Hymne auf die Freiheit ist (hier symbolisiert durch einen Ferrari 166 MM Barchetta und viel Wind in den Haaren) und mit immer neuen Wendungen weiter angetrieben wird.
Das instrumentale „YYZ“ entwickelte sich zu einem der markantesten Livestücke der Band, das zwischen zackigem Riffing und verträumten, später auch orientalischen Melodien pendelt. Nicht zuletzt die prägnante Rhythmik am Anfang ist faszinierend: Dabei handelt es sich um den Morsecode von „YYZ“ (das Kürzel des Toronto Pearson International Airport), der in Achtel- und Sechzehntelnoten wiedergegeben wird. Die dritte Single „Limelight“ ist dagegen ein straighter Rocker mit melancholischem Unterton.
Morsecode im Rhythmus
Seite zwei von „Moving Pictures“ beginnt mit dem zweigeteilten „The Camera Eye“, das als letztes Stück mit über zehn Minuten Länge in die Geschichte RUSHs eingehen sollte – danach hielten sich die Kanadier stets kürzer. Trotzdem ist der Song äußerst kurzweilig. Ungewöhnlich hingegen ist das unheilvoll schleichende „Witch Hunt“, bei dem die Band eine weitere Facette zeigt: Und egal, um welche Hexenjagd es sich hierbei handelt – besser hätte das eine Metal-Band auch nicht hinbekommen. Und noch ein RUSH-Song für die Ewigkeit.
Abgerundet wird das Album von „Vital Signs“, das zwischen straight und melancholisch pendelt und neben dem sehr trockenen (aka reverbarmen) Schlagzeugsound durch seine Reggae-Anleihen im Ohr bleibt – eine Sache, die RUSH ja bereits in „The Spirit Of Radio“ aufgegriffen hatten und in der Folge immer mal wieder aufgreifen werden.
Musikalisch ist „Moving Pictures“ ein Album für die Ewigkeit und ein klarer Kandidat für die Höchstnote – übrigens etwas, was RUSH in der Folge nicht mehr hinbekommen haben, da gehen die Meinungen anlässlich der 10/10 für das 1985er-Album „Power Windows“, die Kollege Klaas neulich gezückt hat, auseinander.
„Moving Pictures“ ist ein Album für die Ewigkeit
Noch ein Wort zum Albumcover, das äußerst durchdacht ist: Denn die „Moving Pictures“ des Titels werden hier gleich in dreifacher Form aufgegriffen – einmal durch Kunstwerke, die von Arbeitern getragen werden, dann von einem Kamerateam, das Bewegtbilder einfängt und schließlich durch Zuschauer, die von den Bildern zu Tränen gerührt sind.
Wenn das Album jetzt mit neuem, vom ursprünglichen inspiriertem Cover erscheint, dann kann man als Fan durchaus darauf zugreifen: Das Remastering hebt den Pegel selbstredend an und zeichnet den Sound höhenlastiger ab, ohne aber das Album dadurch unhörbar zu machen. Vielmehr ist der Klang nach wie vor als differenziert zu bezeichnen. Nett sind zudem die Linernotes von u.a. Kim Thayil (SOUNDGARDEN), Les Claypool (PRIMUS) sowie dem kürzlich unter tragischen Umständen verstorbenen FOO FIGHTERS-Drummer Taylor Hawkins.
Linernotes, Boni und Gimmicks
Als Bonus gibt es das ungekürzte Konzert vom 25. März 1981 in den Maple Leaf Gardens (hier passend zum Songtitel bezeichnet als „Live In YYZ 1981“): Mit an Bord sind zahlreiche Lieblinge aus den Siebzigern und den beiden damals veröffentlichten Alben der Achtziger – von „Working Man“ über Auszüge aus „2112“ und „Hemispheres“ bis hin zu fast allen Songs von „Moving Pictures“ (außer „Witch Hunts“). Dafür freut sich der Rezensent über das Grand Finale mit „La Villa Strangiato“. Und über einen erstaunlich differenzierten Sound, der das Geschehen auf und vor der Bühne mit größtmöglicher Weite abbildet.
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