Runrig - Stepping Down The Glory Road (The Chrysalis Years 1988-1996)

Review

Am 1. Februar 2003 brach die Raumfähre „Columbia“ beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre auseinander, alle sieben Besatzungsmitglieder starben. In den über mehrere US-Bundesstaaten verstreuten Trümmern fand sich eine CD, die den Absturz wie durch ein Wunder vollkommen unversehrt überstanden hatte. Man kann sich kaum vorstellen, was die Musiker empfunden haben mögen, als die Angehörigen der Astronautin Laurel Clark nach Schottland reisten, um ihnen diesen Tonträger der Lieblingsband der Verstorbenen zu übergeben.

Der Name der Band lautet RUNRIG und obwohl sie nie zu den größten Rockbands dieses Planeten zählen sollten, schafften sie Ende der Achtziger Jahre den Sprung von einer unbedeutenden Lokalcombo zu einer international anerkannten Folk-Rock-Größe, die nicht nur in ihrer schottischen Heimat gewaltige Fanscharen auf ihre Konzerte lockte. Zu jener Zeit standen sie beim später von der EMI aufgekauften Label Chrysalis unter Vertrag. Und eben jene Chrysalis-Jahre der Band erfahren mit „Stepping Down The Glory Road“ eine umfassende Wiederveröffentlichung in Form eines 6-CD-Boxsets.

Enthalten sind fünf komplette Studio-Alben, sowie zahlreiche EP- und Single-Tracks und einige ausgewählte Stücke des 1988er Live-Albums „Once In A Lifetime“ (1988). Ganz vollständig ist die Compilation damit nicht, zumal man offensichtlich echte Dopplungen vermeiden wollte, wodurch insbesondere die Titeltracks der Singles und EPs, die sich nicht von den Album-Versionen unterscheiden, entfallen. Die Art der Zusammenstellung hat auch zur Folge, dass die Original-Veröffentlichungen nicht klar voneinander abgegrenzt werden. Statt ein Boxset mit je einer Scheibe pro Original-Veröffentlichung in einem Pappschuber oder ähnlichem herauszugeben (was bis zu 23 Einzelscheiben zur Folge gehabt hätte), hat man das Material durch den weitestgehenden Verzicht auf Dopplungen in einem Sechsfach-Jewel-Case unterbringen können.

Die Studio-Alben hat man immerhin als Einheit belassen, so dass die ersten fünf CDs jeweils ein Studioalbum beinhalten. Aufgefüllt wurden die Scheiben aber mit Single- und EP-Tracks, die dadurch ziemlich wild über die Scheiben gestreut sind. Von einer chronologischen Anordnung ist „Stepping Down The Glory Road“ damit weit entfernt. CD 6 wird schließlich von Live-Versionen dominiert, da diese auf den Singles und EPs allerdings zahlreich vertreten waren, finden sich auch auf den übrigen Discs immer wieder live-Versionen mancher Stücke. Und falls sich diese Beschreibung der Song-Aufteilung etwas verwirrend lesen mag, spiegelt sie ziemlich genau die Tracklist dieser Compilation wieder.

Am eigentlichen Songmaterial gibt es hingegen nichts zu beanstanden. Zwar gibt es immer wieder auch weniger gelungenes Füllmaterial, doch dazwischen finden sich stets echte Perlen, die den guten Ruf, den RUNRIG auch heute noch unter geschmackssicheren Rock-Fans genießen, erklären. In erster Linie handelt es sich um meist etwas verträumt klingende Rock-Songs, jedoch ist stets eine – mal mehr, mal weniger stark ausgeprägt – erkennbare Folk-Schlagseite erkennbar. Die Musiker haben die traditionelle Musik ihrer Heimat bereits mit der Muttermilch in sich aufgesogen und bringen diese im modern-rockigen Gewand auch einer breiteren Zuhörerschaft näher. Besonders folkig wird es natürlich in den immer wieder auftauchenden in gälischer Sprache gehaltenen Stücken, die mit schöner Regelmäßigkeit auch zu den Highlights der Alben zählen.

Los geht es auf der ersten CD mit „The Cutter And The Clan“ von 1987, dessen rauhem Klang man deutlich anhört, dass der Band damals nur ein eingeschränktes Budget für die Produktion zur Verfügung stand. Auf dem Album taucht erstmals eines von RUNRIGs wichtigsten Song-Themen auf: Das Leben schottischer Emigranten, die ihre Heimat nach der Schlacht bei Culloden (1746) verlassen mussten, als in der Folge des niedergeschlagenen Jakobitenaufstandes die Clans verboten wurden. Die unvergleichliche Mischung aus Heimatliebe und Weltoffenheit ist es wohl auch, die einen großen Reiz von RUNRIGs Musik ausmacht. Stücke wie „Hearts Of Olden Glory“, „Pride Of The Summer“ oder das fantastische „Protect And Survive“ zählen mit Sicherheit zum Besten, was RUNRIG jemals komponiert haben. Letzteres ist dann aber (als Bestandteil der gleichnamigen Single) gleich noch in einer Extended- und einer Live-Fassung auf derselben CD enthalten – vielleicht etwas viel des Guten. Ansonsten sind in jedem Fall die geniale Live-Version des schottischen Traditionals „Loch Lomond“ (ursprünglich auf der „Hearthammer“-EP enthalten), das ohnehin erst durch RUNRIG weltweiten Ruhm erlangte, und das eher kuriose Bob-Dylan-Cover „The Times They Are A-Changin'“ erwähnenswert.

Die zweite Scheibe wird vom „Searchlight“-Album eröffnet, das insgesamt deutlich runder klingt als der Vorgänger. Die Songs sind durchgehend stark und so ist es wohl dem Fehlen eines ganz großen Highlights geschuldet, dass das Album oftmals ein wenig unterbewertet erscheinen mag. Mit „Every River“, dem abschließenden „Precious Years“, sowie den beiden gälischen Stücken „Tìr A’Mhurain“ und „Siol Ghoraidh“ findet man hier aber auch einige ewige Ohrwürmer, mit dem missglückten Country-Experiment „Small Town“ aber auch einen ziemlichen Stinker. Die weiteren Stücke enthalten mit „The Apple Came Down“ und „Harvest Moon“ von der „Capture The Heart“-EP zwei schicke Bonus-Hits.

Es folgt die dritte CD mit dem Album „The Big Wheel“, das wieder etwas mehr Ecken und Kanten aufweist. Einige Highlights sind hier der Opener „Headlights“, der gälische Quasi-Titeltrack „Ab Cuibhle Mòr“ oder das als EP ausgekoppelte „Hearthammer“. Die Füllsongs enthalten das Paul-Simon-Cover „April Come She Will“, das den großartigen Sänger Donnie Munro etwas stärker in Szene setzt als gewohnt, aber doch nicht so recht zur Band passen will. Mit „An T-lasgair“ gibt es außerdem einen gälischen Song, der auf der nächsten CD in seiner englischen Fassung auf den Namen „The Fisherman“ hört – den direkten Vergleich gewinnt eindeutig das gälische Stück.

„Amazing Things“ wurde auf der vierten Scheibe nicht an den Anfang, sondern zwischen das Single-/EP-Material gesteckt, was dem Fluss nicht unbedingt gut tut. Das Album selbst ist hingegen über jeden Zweifel erhaben und eigentlich muss man nur die beiden überragenden Single-Auskopplungen „The Greatest Flame“ und „Wonderful“ nennen, um dies zu unterstreichen. Da können die übrigen „nur“ guten Stücke zwar nicht ganz mithalten, echte Durchhänger klingen aber definitiv anders. Neben dem erwähnten „The Fisherman“ fällt das Füllmaterial hier mit „Morning Tide“ und dem etwas zu schwülstigen „This Time Of Year“ gleichermaßen überschaubar wie unspektakulär aus.

Auch CD 5 beginnt und endet mit Single-Stücken, dazwischen findet sich mit „Mara“ eine Konzeptalbum, das unter Fans aus gutem Grund nicht unumstritten ist. Die Band öffnet sich hier für seinerzeit moderne Einflüsse und scheut auch vor deutlichen Pop und einigen elektronischen Anleihen nicht zurück. Diese Experimentierfreude geht teilweise ordentlich schief, bringt aber immer dann, wenn sie mit Bedacht eingesetzt wird, wahrhaft großartiges hervor. So kann man auf der Habenseite unter anderem „Road And The River“, „The Wedding“ oder deas abschließende „Lighthouse“ verbuchen, vor allem aber das mit der Unterstützung des schottischen Staatsorchesters eingespielte „The Mighty Atlantic“ verursacht zentimeterdicke Gänsehaut. Und natürlich gibt es auch einen gälischen Hit, der seinem sperrigen Namen „Meadhan Oidhche Air An Acairseid“ keineswegs gerecht wird. Bei den Single-Stücken fallen besonders die Live-Version von „Wonderful“ und das trotz des langsamen Tempos ziemlich treibende „That Other Landscape“ auf.

Die letzte Scheibe enthält neben noch übrig gebliebenen Single-B-Seiten auch immerhin vier Stücke vom „Once In A Lifetime“-Live-Album. Dass weder dieses, noch „Transmitting Live“ als komplettes Live-Dokument vertreten ist, ist eine der größten Schwächen dieser Compilation. Sicherlich, die meisten Stücke, die auf den beiden Alben vertreten sind, fanden irgendwann einmal als Single- oder EP-Tracks Verwendung und sind auf diesem Weg dann doch dabei, aber ein durchgängiger roter Konzertfaden fehlt dabei leider komplett. Für sich genommen sind die meisten Live-Stücke aber hervorragend und transportieren die Konzert-Stimmung vorzüglich.

Wirklich neue Stücke hat „Stepping Down The Glory Road“ nicht zu bieten, so dass sich die Compilation eher für Leute anbietet, in deren CD-Sammlung RUNRIG bislang noch mit Abwesenheit glänzen als für langjährige Fans. Der Klang wurde ebenfalls originalgetreu belassen. Abstriche muss man ganz klar bei der Präsentation machen, denn neben der bereits erwähnten, etwas wirr anmutenden Song-Aufteilung, ist auch die Tracklist auf dem Backcover mit einigen Fehlern gespickt. Da werden manche Live-Tracks nicht als solche gekennzeichnet, der Farbcode für Singles/EPs und Alben nicht konsequent durchgehalten und offene Klammern nicht geschlossen. Die Verwirrung komplett macht die fehlerhaft wiedergegebene Songreihenfolge auf CD 2 („Harvest Moon“ einfach um zwei Stücke nach vorne schieben, dann passt’s). Das ist eine wirklich ärgerliche Schlamperei.

Das 24-seitige Booklet bietet eine erfreulich detailierte Gesamt-Diskografie aller Chrysalis-Veröffentlichungen. Hinzu komen noch eine Handvoll alte Bandfotos. Das Highlight ist aber der siebenseitige Abriss zum Werdegang der Band in den Jahren 1988-1996. Dieser stammt vom schottischen Singer/Songwriter Iain MacDonald und ist erfreulich kurzweilig geschrieben und mit einigen ausgewählten Zitaten und Anekdoten gespickt. Für Neu-Fans genau das Richtige, um sich der Band anzunähern. So erfährt man unter anderem wie die Truppe um die beiden Brüder und Haupt-Songschreiber Rory und Calum MacDonald bei ihrem großen Open-Air Konzert am Loch Lomond im Juni 1991 den extra für sie besonders oppulent ausgestatteten Backstage-Raum ihren Vorbands überließ, um selbst einen schlichten Container zu beziehen. Offensichtlich fühlten sich die Jungs von den westschottischen Inseln nie so recht wohl in der Rolle der großen Rockstars.

Dass RUNRIG trotz ihres verdienten Erfolgs stets auf dem Boden geblieben sind, zeigt sich auch in dem sichtlich bewegten Statement Calum MacDonalds auf den Erhalt jener CD, die Laurel Clark am 16. Januar 2003 mit auf die Space-Shuttle-Mission STS-107 ins Weltall genommen hatte: „Da fühlt man sich sehr klein. Und sehr demütig.“ Der vermutlich einzige Tonträger, der jemals einen Absturz aus rund 63 Kilometern Höhe unbeschadet überstand, ist heute in einem Museum auf der Insel North Uist (Äußere Hebriden), wo Rory und Calum MacDonald aufgewachsen waren, ausgestellt.

03.08.2013

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