Rob Halford - Confess

Review

Mit Autobiographien von Metalstars ist es so eine Sache. Heavy Metal ist erhaben, monumental, apokalyptisch, kulturkritisch. Die Geschichten hinter Musik und Show hingegen sind oft eher prosaisch und banal. So auch im Falle Rob Halfords, des Sängers der Metal-Mitbegründer JUDAS PRIEST. Seine Autobiographie Confess erzählt einerseits vom märchenhaften Aufstieg eines englischen Arbeiterkinds zum globalen „Metal God“, der seine Homosexualität jahrzehntelang verheimlichte und sie zugleich, in Text, Bild, Kleidungsstil, zelebrierte.

Andererseits erteilt Confess Lektionen in Ernüchterung. Wer nur die gegenkulturelle Fassade von Heavy Metal kennt, erfährt in Halfords Memoiren so manches über die profane Industriemaschinerie im Hintergrund und den klischeehaft-hedonistischen Lebensstil des Musikers – Fun, Sex, Pool, Luxusreisen, Jetset. Natürlich sind da auch Drogenprobleme. Alkohol, Haschisch, Kokain. Und natürlich fährt ein echter Rockstar einen Aston Martin und pendelt vielfliegermeilensammelnd zwischen Phoenix, Arizona, und Walsall, England. Ein Haus in Marina del Rey, Los Angeles, kommt als Investment hinzu.

Rob Halford auf der „Firepower“-Tour in München, 2018

Der Auftakt zu Halfords Autobiographie ist wenig überraschend: Er handelt von den Klangkulissen der Metallindustrie des Ballungsgebiets „Black Country“, die angeblich den Metal-Sound geprägt haben. Diese Geschichte wird in der Presse seit Jahrzehnten kolportiert. Stimmt sie wirklich? Oder ist es eine nachträgliche Konstruktion? Fest steht, „dass sich Erzählung und Klang kaum mehr voneinander trennen lassen“, wie der Historiker Erich Keller über den frühen Metal schrieb.

Bis zum Alter von 22 Jahren lebt Halford bei seinen Eltern in Walsall. In Confess enthüllt er, dass er sowohl als Teenager von einem Freund seines Vaters wie auch als Erwachsener auf einer Priest-Tour sexuell missbraucht wurde: „I never told my dad what his friend had done to me. It would have destroyed him. Nor would I have put it in this memoir, were my dad still I alive“. Dieses Schweigen könnte noch für Kontroversen sorgen – immerhin ist es möglich, dass der namenlos gebliebene Pädophile weitere Jugendliche missbraucht hat. Auch von einem Arbeiter einer Metallfabrik wird Halford als Jugendlicher sexuell belästigt.

Anders als Tony Iommi von BLACK SABBATH  arbeitet er jedoch selbst nicht in einer Fabrik, sondern erst im Theater, dann in einem Klamottenladen, tingelt nebenbei mit Bands durch Clubs. Vom trauten Heim aus kann er Brotjob und Rockstaranfänge auf halbwegs komfortable Weise kombinieren. Erst als es mit JUDAS PRIEST kommerziell läuft, zieht er aus – bleibt aber heimatverbunden und kauft sich ein Haus in der Nähe der Eltern, die er zeitlebens liebt und über deren Tod er auf berührende Weise schreibt.

Karriere auf dem käuflichen Planeten

Heavy Metal ungleich Pop? Von wegen. JUDAS PRIEST sind von Beginn an heiß darauf, in die Charts einzusteigen. Die Band spielt bei Top of the Pops, trotz Sellout-Vorwürfen. Sie gibt dem Druck des Managements nach, auch wenn es ihren Überzeugungen widerspricht, wie Halford bemerkenswert offen schreibt. Einerseits singt er über den „venal, corrupted planet“, andererseits ist seine Band Teil genau dieses „käuflichen Planeten“.

Auch in musikalischer Hinsicht spielt „true metal“ keine Rolle. Den Begriff prägen die ihrerseits ultimativ untruen MANOWAR erst später. Für das angebliche Live-Album Unleashed in the East (1979) wird Halfords Gesang nachträglich aufgenommen. Auf dem Album Turbo (1986) kommen Gitarrensynthesizer zum Einsatz, auf Ram It Down (1988) ein Drumcomputer. Für die Presse werden mit Halfords Zustimmung auch mal Fake News – er habe einen Porno gedreht – verbreitet. Es geht um Ruhm. Um Business. Und dann erst um Heavy Metal – ein Begriff, der ohnehin von der Presse erfunden wird, nicht von den NWOBHM-Bands selbst.

Da passt es ins Bild, dass die Judas-Priester weder authentische Biker noch in der SM-Szene unterwegs sind, deren Optik sie sich bedienen. Sie suchen einfach ein neues, originelles, hartes Image. Confess ist, wie so viele Rockstar-Memoiren, im Grunde eine lange Liste von Kalkül und Kompromiss – was die Qualität der Musik nicht mindert! So überrascht es nicht, dass Halford mehrfach betont, er sei kein politischer Künstler.

Die Teilnahme an Live Aid 1985 beispielsweise kommentiert er mit den lapidaren Worten: „A few mates, such as Ozzy, would also be there. It could be a laugh.“ Afrika wird also nebenbei gerettet, danach geht’s zur Party im Luxushotel Four Seasons, wo er gleich noch seine erste große Liebe Brad trifft und auf einer Toilette den Sex seines Lebens hat. Zwei Jahre später erschießt sich der drogensüchtige Brad in einem Hotelzimmer.

Sozialkritisch, aber unpolitisch

Halford verkörpert damit den typischen Heavy-Metal-Musiker der klassischen Ära: sozialkritisch in der Kunst, aber unpolitisch in der Lebenspraxis. Hedonistisch, aber mit Hang zum Abgründigen. Überlegungen dazu, was Heavy Metal eigentlich ist, sind im Buch ein Nebenschauplatz. Für Halford scheinen Schubladen generell keine große Rolle zu spielen – ein ebenso sympathischer Zug wie die Selbstironie, die sich als rotes Band durch Confess zieht.

So erfährt man, dass sich der „Metal God“ sein erstes Tattoo, die Buchstaben „JP“, versehentlich spiegelverkehrt stechen ließ. Den Film Spinal Tap hält er nicht für eine Satire auf Metal, sondern für einen witzigen, höchst akkuraten Dokumentarfilm: „Hey – were these guys talking about us?“ Seit den Nullerjahren brauche er auf der Bühne einen Teleprompter, verrät er – die Drogen hätten ihre Spuren hinterlassen. Offenheit mit Blick auf eigene Schwächen prägt Confess. Man merkt, dass Halford in Therapie war.

Rob Halford auf dem With Full Force 2018

Ein wenig enttäuschend ist, dass man wenig über den Kompositions- und Produktionsprozess des Albums Stained Class (1978) erfährt. Immerhin halten es viele Metalforscher für das erste echte Metal-Album – ohne Progrock- und Hippieallüren, mit Double-Bass-Geratter und scharfen Riffs. Live kam noch der Leder-Nieten-Look dazu, de facto das Outfit schwuler Leathermen, von der Metalszene generös als Biker-Rocker-Gewandung interpretiert.

Laut Halford hatte nicht er selbst, sondern K. K. Downing die Idee dazu. Er, Halford, habe mit SM damals nichts am Hut gehabt, ja bis zum heutigen Tage nie eine Peitsche im „Boudoir benutzt – „or, have I? Hang on, let me think for a minute…“ Es war also der Hetero Downing, der Halford zufolge JUDAS PRIEST zu jenem Look verhalf, der später als Ausdruck von Halfords sexueller Orientierung gedeutet werden sollte. Oh, the irony!

Gelebter Pluralismus

Confess zeigt, wie hybrid und experimentell Metal immer schon war, dem konservativen Image zum Trotz. JUDAS PRIEST beginnen 1969 als Bluesband mit einem schwarzen Drummer. Der Bandname ist einem Song Bob Dylans entlehnt. LED ZEPPELIN, Glamrock und THE CRAZY WORLD OF ARTHUR BROWN zählen ebenso zu Halfords Einflüssen wie die BEATLES. Das Album British Steel (1980) entsteht in Ringo Starrs Anwesen Tittenhurst Park, Painkiller (1990) bezeichnet Halford als „Priest’s Sgt. Pepper“.

British Steel ist aber auch von Punk beeinflußt („minimal is maximal“), der darauf enthaltene legendäre Song „Metal Gods“ wiederum vom Bombastrock Queens. „I may be a metal god, but I’ve also long been a pop tart“, schreibt Halford über sich selbst. Kylie Minogue findet er spitze, Madonna und Lady Gaga sowieso. Aber auch die vermeintlichen Redneck-Machos von PANTERA, die ihn während seiner Priest-Abstinenz (1992 – 2003) unüberhörbar zum Soloprojekt Fight (1993 – 1996) inspirieren, hält er in Ehren: „What cool, easy-going Texan guys!“ Für die Redeemer-of-Souls-Tour (2014–2015) wählt er die angeblich sexistische, definitiv politisch unkorrekte Neo-Glam-Band STEEL PANTHER als Vorband. Wenn das kein gelebter Pluralismus ist.

Ihre kreative Hochphase haben JUDAS PRIEST Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre. Die Band arbeitet wie verrückt. Wie bei den BEATLES findet das Entscheidende binnen weniger rauschhafter Jahre statt. Dafür muss alles stimmen: die Chemie in der Band als „well-oiled metal machine“ wie auch das Zutun der Manager, Promoter, CEOS, die letztlich entscheiden, wer es ganz nach oben schafft und wer nicht. Die Band geht stets unvorbereitet ins Studio, komponiert die Songs vor Ort. Ihre Alben werden in schneller Folge veröffentlicht, der Tourplan ist voll. 1985, als es etwas entspannter zugeht, komponieren JUDAS PRIEST in der Villa einer spanischen Prinzessin in Marbella. Das Album Turbo wird auf den Bahamas aufgenommen, Painkiller im idyllischen Südfrankreich.

Von Stoff und Stofftieren

Confess ist, wie alle Rockstar-Memoiren, gespickt mit Tour-Anekdoten: Saufgelage, Schlägereien, Blow- und Handjobs auf Rasthoftoiletten, Frühstück mit Nonnen, Treffen mit Promis wie Madonna, deren Nase einmal fast in Halfords Schamhaar versunken wäre – fast, wohlgemerkt. Ende der 70er Jahre sieht Halford in New York Deep Throat im Kino und kettet Andy Warhol mit einer Handschelle an sich, in Japan werfen Mädchen den martialischen Metal Gods süße Stofftiere auf die Bühne, auf Ibiza wird gefeiert statt komponiert – so erklärt sich das eher schwache Album Point of Entry.

In den 80er Jahren verstärken sich Halfords egozentrisch-hedonistische Züge. Er fährt betrunken Auto und wird verhaftet, danach geht’s zum Luxusurlaub auf die Bermudas und nach Mexiko, wenig später wird der eigentlich Sanftmütige erstmals gewalttätig, dann suizidal. 1985 überlebt er einen Suizidversuch mit Schlaftabletten. Es folgt die Einweisung ins John C. Lincoln Medical Center in Phoenix wegen Alkoholsucht. Der Entzug gelingt. Seitdem, schreibt Halford, sei er trocken.

Die 90er Jahre sind einerseits von kommerziell eher glücklosen Soloprojekten wie FIGHT und 2WO gekennzeichnet, andererseits von privatem Liebesglück – erstmals geht Halford eine längere, erfüllende Beziehung mit einem ‚echten‘ Homosexuellen ein. Bis heute ist er mit Thomas liiert und führt ein ruhiges Leben mit ihm in Phoenix. Die 70er und 80er Jahre hingegen waren für Halford eine Ära der sexuellen Frustration als, wie er schreibt, „gay bloke in the closet“, der auf „Alpha Males“, Soldaten und Bodybuilder steht: „Young, buff guys at the height of their physical powers!“

Bis Mitte der 90er Jahre gerät er bei Dates meist an Heteros, die für ihn eine Ausnahme machen. Aber auch ein bisexueller Dreier zählt zu den zahllosen Stationen seines freimütig beschriebenen „sexually free-and-easy way“. Lange fürchtet der seiner eigenen Einschätzung nach konfliktscheue Sänger, Judas Priest durch ein Outing zu schaden. Noch Anfang der 90er Jahre wird er in Kalifornien auf einer öffentlichen Toilette wegen „Cock Cruising“ (O-Ton Halford) verhaftet – im Gegensatz zu George Michael hat er Glück, dass aus der Polizeistation nichts an die Presse dringt.

Die Kunst der Anspielung

Weil sich Halford nicht direkt outen möchte, schmuggelt er Anspielungen auf seine Homosexualität in alle Priest-Alben – und nicht etwa subliminale Aufrufe zum Suizid, wie 1990 beim berüchtigten Gerichtsprozess in Nevada behauptet werden sollte. Damals wurden JUDAS PRIEST beschuldigt, den Suizid zweier Teenager durch rückwärts aufgenommene Botschaften wie „Do it!“ verursacht zu haben. Nein, der doppelte Boden der JUDAS PRIEST-Alben ist von anderer Beschaffenheit. „Jawbreaker“ auf Defenders of the Faith (1984) etwa handelt von einem Penis, der so groß ist, dass… Genau.

Schon mit „Raw Deal“ hatte Halford für das Album Sin after Sin (1977) einen Coming-Out-Text über „cruising in gay bars“ verfasst. Daraufhin passierte – nichts. Das ist bezeichnend für Heavy Metal, gerade in seiner Frühphase. Die Fans interessiert zuallererst die Musik. Solange die Kraft, die Intensität, das Drama stimmen, ist der Rest sekundär. Erst 1998 outet sich Halford – spontan, wie er schreibt, in einem MTV-Interview. Die befürchteten negativen Reaktionen bleiben aus, von wenigen Ausnahmen abgesehen. Metal ist toleranter, als man denkt.

In Confess dankt Halford seinen Bandkollegen dafür, dass ihnen seine sexuelle Orientierung nicht nur egal gewesen sei, sondern sie ihn auch nie darauf angesprochen hätten. Wie K. K. Downing in seiner 2018 erschienenen Autobiographie Heavy Duty schreibt, wusste die Band von Beginn an Bescheid. Anerkennend stellt Halford fest, dass seine Mitmusiker für „working-class Midland blokes“ überaus vorurteilsfrei gewesen seien und lobt ihre trockene, bodenständige Mentalität.

Polytheistischer Monotheismus

Ein wenig dubios sind die Ausführungen über Halfords Ausstieg bei JUDAS PRIEST 1992, der dem Sänger zufolge gar nicht so gemeint war – er habe nur aus formalrechtlichen Gründen einen Brief an die Plattenfirma geschrieben, um sein Soloprojekt Fight starten zu können. Dieser Brief wird von Band und Management jedoch als Ausstiegserklärung verstanden. Anstatt die Sache durch ein Gespräch zu klären, tut Halford – nichts. Warum, bleibt unklar. Ein gewisser Widerspruch besteht auch zwischen seinen spirituellen Neigungen und seinem Status als „Metal God“, allerdings ein amüsanter.

In spiritueller Hinsicht ist Halford eindeutig polytheistisch unterwegs, wenngleich er dem Christentum nahesteht: „I’m a gay heavy metal Christian!“ Er meditiert und betet jeden Abend zu einem – oder mehreren – unbestimmten höheren Wesen. Auch glaubt er fest an ein Leben nach dem Tod. 1987 begegnet er im New Yorker Club Limelight einem weiblichen Medium, die ihm eine Botschaft des verstorbenen Brad überbringt. In einer anderen Hinsicht aber ist Halford ein beinharter Monotheist. Die Bezeichnung „Metal God“ lässt er sich markenrechtlich schützen: „So, now it was finally official! I was the only Metal God! Bow down and worship! (If you want to, that is. I’m not really fussed either way).“ Amen.

Text von Jörg Scheller.

Grundlage der Rezension war die englische Originalausgabe. Die deutsche Übersetzung erscheint am 15. März 2021 unter dem Titel „Ich bekenne“ im Heyne Verlag.

Rob Halford auf der „Firepower“-Tour in München, 2018
02.03.2021
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