Riverside - ID.Entity

Review

Auf ihrem neuen Album „ID.Entity“ widmen sich RIVERSIDE ganz dem Thema Identität. Beziehungsweise geht es, wie es Bandkopf Mariusz Duda ausdrückt, um „die gegenwärtige Krise der Identität, oder vielmehr die ständige Überprüfung ihres Status“ – im Spannungsfeld zwischen Realität und virtuellen Realitäten. Das klingt erstmal sperrig (vielleicht auch ein wenig zeitgeistig), wobei solche Themen aber seit jeher zum Selbstverständnis der Proggies aus Warschau dazugehören. Und für das Quartett ist es der Anlass, solch ein vielschichtiges Themenfeld musikalisch „lebendig, farbenfroh, dynamisch und ausdrucksstark“ anzugehen, wie Duda sagt. Na dann schauen wir mal.

RIVERSIDE mögen es „lebendig, farbenfroh, dynamisch und ausdrucksstark“

Der Opener „Friend Or Foe?“ beginnt jedenfalls mit cremig-sahnigen Synthesizern, die sofort an RUSH der späten 70er/frühen 80er erinnern, während der nach Aufmerksamkeit heischende Ohoho-Chor ein positives Signal an den Hörer sendet, um dann über pulsierenden Keyboards ein wenig A-HA- oder „Smalltown Boy“-Feeling zu verströmen. Die musikalische Umsetzung ist also retro, wie es nur geht, weckt dabei aber vielschichtige Erinnerungen. Eingefleischte Progfans werden vielleicht den straighten Songaufbau bemängeln, müssen aber zugeben, dass der Song gut ins Ohr geht.

Die folgenden drei Stücke sind rhythmisch ein wenig hakeliger. „Landmine Blast“ baut auf dem Zusammenspiel von Gummibandbass und weiten Gitarrenlicks auf, worüber Duda seine einschmeichelnd sanfte Stimme legt. Eingängigkeit wird auch hier groß geschrieben, und nur ansatzweise werden die Gitarren mal etwas lauter. „Big Tech Brother“ setzt auf synthetische Bläser, bis in den Strophen auf die Wirkung von schweren Gitarren und Orgelklänge gesetzt wird.

Dagegen ist „The Place Where I Belong” ein dreizehnminütiges Stück, das mehrere Stimmungen durchläuft und sich auch mal ganz sanft gibt, um später in einem epischen Gitarrensolo auszulaufen. Das setzt ein wenig Aufmerksamkeit voraus, wenngleich die einschmeichelnden Melodien den Hörer auch nicht überfrachten. Die beiden abschließenden Tracks verkörpern dann noch einmal sehr schön die eingangs postulierte Lebendigkeit und Dynamik: „I’m Done With You“ klingt ganz dem Titel entsprechend wälzend und wütend, während das flockig rockende „Self-Aware“ nach zwei Minuten in einen Reggae-Rhythmus wechselt, was natürlich noch einmal den Blick in Richtung RUSH richtet.

„ID.Entity“ liegt zwischen den Polen

Vielseitig ist „ID.Entity“ also, wobei aber das prägendste Element der sanfte und harmonische Gesang ist. Und natürlich die verwendeten Sounds, die häufig über vierzig Jahre zurück verweisen, was im ersten Moment kontrastiert mit dem hochmodernen Textkonzept über Sammelwut von Techkonzernen, Realität in Zeiten des Internets und Identität in Social-Media-Welten. Vielleicht ist genau das die Absicht, denn Mariusz Duda spricht davon, „[…] dass das neue Album eine Gelegenheit bietet, dem Eskapismus zu entkommen.“ Und vielleicht ist da auch ganz gut, dass sich RIVERSIDE auf „ID.Entity“ nicht ganz so verkopft proggig geben, sondern immer wieder über Melodien und Harmonien die Gefühlsebene ansteuern. In der eigenen Diskografie platziert sich „ID.Entity“ damit zwischen den beiden Polen, dem Frühwerk auf der einen Seite und den melancholischen Vorgängeralben auf der anderen Seite. Und das ist durchaus charmant.

07.03.2023

- Dreaming in Red -

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