Rise Against - Appeal To Reason
Review
Die Hardcoreband RISE AGAINST aus Chicago kann getrost als eine der Genregrößen bezeichnet werden. Seit ihrem Durchbruch mit dem Album „Siren Song Of The Counter Culture“ aus dem Jahr 2004 und dem nicht weniger erfolgreichen Nachfolger „The Sufferer And The Witness“ haben sie sich eine treue Fanbase erspielt. Und die lechzt nach musikalischem Nachschub. Das neue Album „Appeal To Reason“ wurde wie die beiden Alben davor auch von Bill Stevenson und Jason Livermore produziert und alle Beteiligten sind restlos zufrieden. Zufrieden werden die Fans wahrscheinlich auch sein, wenn auch nicht begeistert, denn RISE AGAINST spielen mehr noch als früher eingängigen und soliden Punk Rock.
RISE AGAINST wollen sich nicht als Vorbilder verstanden wissen, doch ihr Gutmenschen-Image werden sie wohl nicht mehr los. Die Band will die Menschen zum Denken anregen. Das fängt schon bei der CD-Hülle an: Kein Jewelcase, sondern ein zu 100 Prozent recyclebarer Pappschuber, in dem neben der CD auch noch ein Flyer der Tierschutzorganisation PETA steckt. Und gedruckt wurden die gesellschaftskritischen Texte mit pflanzlicher Tinte. Aber wie sieht’s mit der Musik aus, hat auch die das Zeug zur Weltverbesserung? Bei „Collapse (Post-America)“ denke ich noch in den ersten Sekunden, ob sich mein MP3-Player vertan hat und ich gerade ‚Ohne Dich‘ von DIE ÄRZTE höre. Dann beseitigt die einsetzende zweite Gitarre meine Irritation. Klar höre ich RISE AGAINST, das wird spätestens deutlich, wenn der charismatische Front-Mann Tim McIlrath anfängt zu singen. Der nette Pop-Punk mit fröhlichen Melodien täuscht etwas darüber hinweg, dass McIlrath keine Party-Songs schreibt. In dem Song entwirft er ein fast apokalyptisches Bild, in dem der Klimawandel das Land mit Hungersnöten und Epidemien überzieht. Und RISE AGAINST wären nicht sie selbst, wenn sie nicht zum Kampf aufrufen würden. Aus diesem Konflikt kann sich keiner heraushalten, denn „neutrality means that you don’t really care“. Ein guter Auftakt für das Album.
Die Songs auf „Appeal To Reason“ sind insgesamt etwas langsamer. Die erste Single-Auskopplung „Re-Education (Through Labor) “ zum Beispiel ist mit den gedämpften Down-Strokes ein echter Stampfer mit hohem Mitgröhl-Faktor. Songs wie „Kotov Syndrome“ mit seinem höheren Tempo sind eher die Ausnahme, und selbst die schnelleren Songs kommen nicht an das fast schon hektische Tempo von zum Beispiel „Injection“ aus dem Vorgängeralbum heran. Aber RISE AGAINST spielen ja auch keinen Speed Metal, sie sind in erster Linie für ihre tollen Melodien bekannt. Davon gibt’s auch auf „Appeal To Reason“ wieder jede Menge. Mal als Punk Rock in Reinform wie in „The Dirt Whispered“, das mit seinem fröhlichen und unbeschwerten Charakter an die frühen GREEN DAY erinnert, mal als Mid-Tempo-Rocksong wie „Audience Of One“, das in der Strophe etwas an „Survive“ aus dem Vorgängeralbum erinnert, nur viel langsamer. Leider sind die Songs auf „Appeal To Reason“ nicht ganz so catchy geworden wie auf „The Sufferer And The Witness“, das ja fast nur aus Ohrwürmern bestand. Da sich die Lieder vom Tempo her ziemlich ähnlich sind, fällt umso mehr auf, wie ähnlich die Songs aufgebaut sind. So gibt es zum Beispiel in der Mitte der Lieder fast immer einen Zwischenteil, in dem das Tempo herausgenommen wird. Da freu ich mich umso mehr über den Song „Entertainment“, der in seiner Bridge von den Powerchords im Vier-Vierteltakt zu einem Walzer wechselt. Coole Idee! Besonders krass fällt der Song „Hero Of War“ aus dem Rahmen. Die Akustik-Ballade behandelt den Sinneswandel eines Soldaten, der eigentlich nur die Welt sehen wollte und sich plötzlich im harten Alltag des Krieges wieder findet, der überhaupt nichts Heldenhaftes an sich hat. Als gebrochener Mensch kehrt der Soldat nach Hause zurück.
Neu erfunden haben sich RISE AGAINST auf ihrem neuen Album nicht. Die Gitarren klingen etwas fetter, es gibt häufiger Mitgröhl-Passagen und zweistimmigen Gesang als im Vorgänger und dafür weniger Shouts vom Front-Mann. Während die Melodien etwas Radiotauglicher geworden sind, sind die Texte dafür düsterer geworden. Es geht um das große Ganze und was in der Gesellschaft schief läuft. Sehr häufig singt McIlrath vom kommenden Ende, ohne jedoch aufzugeben. Ganz nach dem Motto: Wir stehen kurz vor dem Abgrund, also vorwärts! Fans können das Album ohne zu zögern kaufen, auch wer einfach nur auf Rock-Songs mit tollen Melodien und einem Schuss Härte steht, macht mit „Appeal To Reason“ eigentlich nichts falsch. Ein Muss ist das Album allerdings nicht, denn dazu fehlen dem Album ein paar Kanten oder frische Ideen im Songwriting.