Psykup - We Love You All

Review

Songs? Strophen und Refrains, Verse nach Maß? Das muss nicht unbedingt sein, dachten sich die Franzosen. Struktur und Konzept sind ok, aber deswegen muss man sich doch nicht an bestehenden Standards orientieren, und eigentlich sind auch klare Trennungen nur noch Makulatur.

Als Einflüsse nennen die fünf Experimentalakustiker STRAPPING YOUNG LAD, PRIMUS und ALICE IN CHAINS. Man kann allerdings noch Bands wie RAGE AGAINST THE MACHINE oder SYSTEM OF A DOWN hinzufügen. Das ist Metal, Avant-Garde, Jazz, Country und vor allem jede Menge Herumwuselei zwischen den Stilen. Heraus kommt dabei allerdings keine Musik für durchgeknallte Spinner, sondern ein sehr reizvolles wie auch explosives Gemisch.

Auch wenn sich das Album durch Songs oberflächlich strukturiert, gibt es den klassischen Song bei PSYKUP nicht. Ein Song ist für sie eher eine Ansammlung von vielen Ideen, die teilweise unterschiedlicher nicht sein könnten. Und auch wenn hier die Extreme miteinander kollidieren, entsteht dadurch kein Chaos.
Richtig beschreiben kann man die Musik eigentlich nicht, auch wenn man sie auseinanderpflücken und sezieren könnte. Es geht wohl eher um die Eindrücke. Es ist schon faszinierend, wie sich PSYKUP wie ein amoklaufender Rasenmäher von einer Stilwiese zur nächsten pflügen. Da wird mal eben schnell Thrash-mäßig geschreddert, dann ein Break und plötzlich ist Jazz-Mood angesagt — und das ist nur ein Beispiel von vielen. Aber anders als ein LKW, der aufs Stauende rast und alles konfus zusammenschiebt und zermalmt, schaffen es PSYKUP irgendwie, die Übergänge wirklich harmonisch zu gestalten. Da hört man dann tatsächlich die ganz frühen SYL heraus, nur das PSYKUP eben noch viel mehr verwursten, und sich in jeder Stilebene firm präsentieren.

Das Rückgrat von „We Love You All“ ist progressiver Thrash, aber die nicht-metallischen Elemente nehmen einen deutlich großen Raum ein. Punkiger, wütender, alternativer Rock wie RATM; wilder, teils orientalischer Flair wie by SOAD; abgedrehter Funk mit Countrytouch so wie in einigen PRIMUS-Songs. Neben der starken Instrumentalfraktion ist es vor allem Sänger Ju, der sein Organ bis zum Letzten ausreizt. Er brüllt, kreischt, singt, erzählt und tickt einfach aus. So als ob er einerseits singen will, und gleichzeitig seine Stimme noch als zusätzliches Instrument gebraucht.

Wo soll man einsteigen? Versucht mal, auf einen fahrenden ICE aufzuspringen, genauso sinnvoll wäre es, bei diesem Album einen Tipp zu geben. „My Toy My Satan“ ist ein spontaner Favorit, aber im Prinzip kann man ansetzen wo man will, es wird auf jeden Fall eine sehr unterhaltsame Achterbahnfahrt. Sechs große Songgebilde, die keine großen Anstalten machen, Geschlossenheit zu zeigen. Für Hörer, die lieber gleich beim ersten Hör dem roten Faden folgen wollen, ist das hier vermutlich eher Qual als Genuß. Dennoch sollte man auch als Liebhaber leicht nachvollziehbarer Strukturen mal ein Ohr riskieren, denn so abgedreht, wie es anfangs wirkt, ist das Album gar nicht. Mal abgesehen davon ist es einfach mal etwas anderes. PSYKUP lieben Experimente, und ziehen das auf dem mittlerweile dritten Album konsequent durch.

Dieses Review bezieht sich übrigens auf die 1-CD-Version. PSYKUP sahen für ihr neuestes Werk allerdings keine andere Möglichkeit, als ein Doppelalbum daraus zu machen. Wer also vollständig in die Welt von PSYKUP und „We Love You All“ eintauchen will, sollte sich diese Version zulegen.

16.06.2008
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