Process Of Guilt - Erosion

Review

Unter Erosion versteht man in der Geologie für gewöhnlich die Zerstörung der Formen der Erdoberfläche durch Abtragung. Dies geschieht durch die Bewegung von Wasser, Wind oder Eis. Wie so eine Erosion sich wohl anfühlen mag, haben die Portugiesen PROCESS OF GUILT auf ihrem neuen Album „Erosion“ sehr eindrucksvoll vertont.

Das programmatisch betitelte Werk ist als Konzeptalbum zu begreifen, was bereits die Songtitel erahnen lassen. Die Tracks eins bis fünf sind Teil des Zirkels und somit alle mit dem Zusatz Circle I – V versehen, der letzte Song trägt den Titel „Circle“ und den Zusatz „Erosion“.
Das erste Opus, „Dust“, zeigt sich noch als recht klassischer Death-Doom-Song, lässt aber gleich erahnen, welche technischen und songwriterischen Fähigkeiten die Portugiesen mitbringen. Die Band bedient sich nur einer handvoll Themen, die sie in ihrem Zehnminüter variiert, diese jedoch sind alle für sich genommen schon so fesselnd, dass trotz der minutenlangen Verwendung einiger zu keinem Zeitpunkt die Spannung auch nur droht abzureißen. Ein wenig erinnert das an KATATONIAs „Brave Murder Day“, wenngleich der Sound beider Alben ein völlig anderer, die Stimmung die beiden innewohnt völlig verschieden ist – und die Schweden noch weit minimalistischer zu Werke gehen.

Was wirklich in ihnen steckt, und warum die Genrebezeichnung Post-Doom völlig gerechtfertigt ist, zeigen PROCESS OF GUILT in ihrem zweiten Song „Waves“ sehr eindrucksvoll: nach etwa zwei Minuten wird der Hörer von einem fast dreineinhalbminütigen Instrumentalpart entführt in eine bezaubernde und schillernde Klanglandschaft aus Gitarren- und Schlagzeugklängen. Erst sanft, doch dann – Obacht! – bäumt es sich auf. Schnell. Schneller. Und wieder Ruhe. Die Ruhe vor dem Sturm, die Welle, die noch einmal abebbt, nur um der nächsten, weitaus gewaltigeren, den Weg zu ebnen. Hektisch, beinahe rastlos wird man, der gebannt vor den Boxen sitzt, wenn PROCESS OF GUILT ihren Instrumentalpart zum furiosen Höhepunkt bringen – und dann über den Hörer hereinbrechen. „It comes with waves!“, schreit Sänger Santos völlig richtig heraus.
Viel besser kann man das Bild kommender und gehender Wellen kaum vertonen. Das ist nicht nur gut, das ist fantastisch – und erinnert etwas an die grandiosen ISIS.
Ein weiterer Höhepunkt ist der Beginn des vierten Songs „Lava“. Ein Intro, das so hervorragend zu dem Songtitel passt, habe ich in letzter Zeit selten gehört. Das ganze Gerüst aus Gitarre, Schlagzeug und einem absolut genialen Basslauf erweckt auf beeindruckende Art und Weise den Eindruck zähflüssiger, sich ganz langsam nähender Lava. Auch im restlichen Song spielt der Bass eine wichtige Rolle, wenngleich im Hintergrund. Permanent brummt und rumort es – wie die stete Unruhe unter unseren Füßen, das Brodeln, bevor der Vulkan ausbricht.

Was PROCESS OF GUILT mit „Erosion“ geschaffen haben ist beachtlich und anerkennenswert. Nicht nur äußerlich, in stilvollen Silber- und Grautönen gehalten (jedenfalls in der Promofassung), erinnert das Album an das Meisterwerk „The Eye Of Every Storm“ der grandiosen NEUROSIS, wenngleich dieses ungleich zarter, zerbrechlicher und auch gewaltiger ist. Vergleiche zu THE OCEAN können ebenfalls gezogen werden; diese allerdings sind weitaus vielschichtiger, zumal die orchestralen Elemente von „The Ocean“ auf „Erosion“ überhaupt nicht zu finden sind.
Dafür, dass es sich erst um das zweite Full-Lenght-Album der Band handelt, sind die Songs erstaunlich gut, lassen auf eine gereifte Band schließen. In den meist zehnminütigen Stücken kommt es nie zu Längen, die einzelnen Stücke sind im Gesamten völlig homogen, die Übergänge fließend. PROCESS OF GUILT schaffen es mit songwriterischem Geschick mühelos, ewig lange Spannungsbögen zu schaffen, die einfach nicht abreißen. Dabei klingt alles fließend und organisch. Organisch, das ist auch das Stichwort zur Produktion, die zudem absolut ausgewogen, satt, druckvoll und klar ist.
Die Intensität der Bilder, die PROCESS OF GUILTs detaillierte und facettenreich schillernde Klanglandschaften in meinen Kopf zaubern, habe ich zuletzt nur bei wirklich guten Romanen erlebt. Dass ein Album das vollbringt, liegt schon lange zurück.
Wenn die Portugiesen es wirklich schaffen, sich auf ihrem so wichtigen dritten Album noch zu steigern, dann muss die Konkurrenz sich vorsehen, denn dann haben wir es mit einem absoluten Ausnahmealbum zu tun. Doch schon jetzt, mit „Erosion“, zeigen PROCESS OF GUILT, dass sie – qualitativ auf alle Fälle – in der obersten Liga spielen.

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26.08.2009

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