Pristine - Road Back To Ruin

Review

Soundcheck April 2019# 7

Es ist nicht ganz zwei Jahre her, da stolperten PRISTINE als nicht ganz ausgeglichener „Ninja“ erstmals über den Plattenteller des Verfassers dieser Zeilen. Man merkte der Band ein bisschen den in kürzester Zeit eingespielten Versuch an, die für die Allgemeinheit verträglichen Retro-Rock-Brötchen zu backen. Dabei kann man mit dem Standard-Retro-Zeug ganze Straßenzüge pflastern. Das haben die Norweger um Ausnahmesängerin Heidi Solheim glücklicherweise eingesehen – und mit „Road Back To Ruin“ einen Kracher vor dem Herrn vom Zaun gebrochen.

PRISTINE sind selbstbewusster geworden – und das hört man

Das neue, fünfte Album der Norweger geht also auf selbstbewusstere Rock-Tuchfühlung anstatt mit den Retro-Schlüsseln vor unserem Gesicht zu klimpern. Auch der Sound strotzt vor keckem Eigensinn und verbindet druckvolle Kante mit subtiler Textur. Und mal ehrlich: Mit so einer Sängerin bleibt dir auch nichts anderes übrig, als ihr einen sexy Rock-Sound zu weben. Hier haben die Musiker ganze Arbeit geleistet und Solheim ein musikalisches Kleid geschneidert, das ihre Reize verstärkt, ihr selbst zugleich aber Eleganz und Komfort bietet.

Und – Scheiße verdammt! – gehen diese Songs in Mark und Bein, fordern selbst den durch Problemzonen geplagten, unförmigen Durchschnittsrocker zur ausgiebigen, körperlichen Aktivierung heraus. „The Road Back To Ruin“ treibt inhaltlich der Protest an – rein musikalisch protestieren PRISTINE zuvorderst gegen Langeweile. Denn es geht mit dem Dosenöffner „Sinnermann“ schon recht flott los. Solheim und Co. bringen gute Laune mit und zerren den noch etwas schüchtern da sitzenden Herrn Griesgram auf die Tanzfläche für einen klassischen, energiegeladenen Rocker zum Mittwisten – und für die Bierästheten gibt’s ’ne Hook zum Mitgrölen obendrauf.

„Road Back To Ruin“ fordert zum Tanz

Beim folgenden Titeltrack scheinen die Norweger nur mal einen kurzen Abstecher in schwerere Gewässer zu machen mit einem schleppenden Song, der passend dazu deutlich düsterere Klänge anschlägt und… *schnupper*… irgendwie leicht nach Gras riecht. „Bluebird“ treibt eine ähnliche Heaviness an bzw. vor sich her, bringt jedoch eine etwas beschwingtere und peppigere Note mit. Dazu findet unter anderem auch dank effektiven Background-Gesängen deutlich mehr klassischer Soul seinen Weg in den Song hinein, der dadurch mit einem klimaktischen Gospel-Finale endet.

Mittlerweile aus dem Grasland wieder rausgekommen kanalisieren PRISTINE mit „Landslide“ die sonnigsten Vibes der ROLLING STONES für einen der schmissigsten Tracks der Platte. Der geht im positiven Sinne so hart in die Knochen, dass man praktisch kaum stillsitzen kann, wenn das Teil läuft. Mittlerweile sicher schweißgebadet freut man sich dann regelrecht, wenn die erste Ballade „Aurora Skies“ etwas Zeit zum Durchschnaufen verschafft – während man sich dieses Sahnestück von einem Track nach allen Regeln der Kunst samtig unter die Haut gehen lässt.

Mehr als nur eitel Sonnenschein

Mit dem enegiegeladenen „Pionieer“ beginnt Runde zwei ähnlich wie die erste – und auch das folgende „Blind Spot“ legt nach anfänglich forsch rockender Eröffnung an Schwere zu. Statt Stoner-Ästhetik ergänzen nun aber hauchfeine, orientalische Einflüsse das Klangbild eines Tracks, der definitiv zu den ernsteren Stücken des Albums gehört. Die syrische Sängerin Racha Rizk leistet hier zusätzliche, stimmliche Unterstützung und trägt gekonnt zur drückenden Atmosphäre des Songs bei. Hier kommt der zuvor erwähnte Protest, der das Album antreibt, auch in seiner lyrischen Form besonders gravierend zum Tragen.

Doch Leichtfüßigkeit findet ihren Weg mit „Your Song“ zurück auf „Road Back To Ruin“ – tatsächlich ein höchst brauchbarer Lovesong, dem der nervöse und poltrige Rausschmeißer „Dead End“ auf dem Fuße folgt. Und eine große, mit Orchester verstärkte Überraschung wartet nocht mit „Cause And Effect“ auf den Hörer, das so klingt wie die Titelmelodie eines klassischen James Bond-Streifens. Zum einen trifft der Song diese speziellen, glamourösen Vibes, lässt aber auch eine gewisse Verletzlichkeit und einen Hauch Gefahr wahrnehmen.

Die Norweger präsentieren sich in sexy Höchstform

Fürwahr: Hier stimmt fast alles mit dieser Trackliste, die verschiedene Stimmungen und Intensitäten abdeckt und allein fragen lässt, warum der offensivste Rocker der Platte an letzter Stelle steht, wo eine der Balladen als Schlusspunkt viel besser gepasst hätte. Doch klingt das alles dank des knackigen und doch vielschichtigen Sounds wie aus einem Guss und lässt die kleine, strukturelle Schwäche schnell vergessen. Und letzten Endes ist es Heidi Solheim, die den Hörer sensationell durch das Album führt. Vor allem in ihren verletzlicheren Momenten, etwa in „Cause And Effect“, erreicht sie bisweilen gar die emotionale, intensive Intimität ihrer Landsfrau Agnete M. Kirkevaag (MADDER MORTEM).

Und verstärkt wird das alles durch eine Instrumentierung, die deutlich fokussierter klingt, ohne sich das zu sehr anmerken zu lassen – die Songs klingen im Gegenteil befreit und ungezwungen. Espen Elverum Jacobsen, Gustav Eidsvik und Ottar Tøllefsen zeigen einfach kein Anzeichen von Zwang oder Zurückhaltung, sondern schwingen durchgehend auf einer Welle mit Solheim – und das Ergebnis spricht für sich selbst. „Road Back To Ruin“ zeigt PRISTINE schlicht und ergreifend in musikalischer und songschreiberischer Höchstform. Hier geht die Reise für PRISTINE defintiv nicht titelgemäß gen Ruin, sondern hoch hinaus.

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12.04.2019

Redakteur für Prog, Death, Grind, Industrial, Rock und albernen Blödsinn.

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