Primus - Sailing The Seas Of Cheese

Review

Unter "Blast From The Past" erscheinen jeden Mittwoch Reviews zu Alben, die wir bislang nicht ausreichend gewürdigt haben. Hier gibt es alle bisher erschienenen Blast-From-The-Past-Reviews.

Hach ja, die Neunziger. In gewisser Weise sollte die Rock-Musik in diesem Jahrzehnt langsam aber sicher in ihre moderne Inkarnation überführt werden dank Grunge, Alternative und Co. Auch der Metal erfuhr durch diese und weitere Einflüsse eine kleine Renaissance und so entstanden u. A. Nu Metal, Industrial Metal und Djent, während der Death Metal indes munter florieren sollte. Das war auch die Zeit, in welcher der Funk Metal noch groß geschrieben wurde – und eine der experimentelleren Formationen, welche unter der Basis des Funk Metal Elemente von hochklassigem Prog á la KING CRIMSON hin zu schrullig-zappaesken Verrenkungen nicht nur vereinen, sondern damit sogar Erfolg haben sollte, sind PRIMUS.

Mit schrägem, proggigem Funk Metal in die Charts?

Die Band um Bass-Virtuoso Les Claypool stach früh mit ihrem basslastigen Sound hervor, der sich bereits erfolgreich auf der Debüt-EP „Suck On This“ und dem noch selbstständig mit den Einnahmen der EP finanzierten Album „Frizzle Fry“ etablieren konnte hin zum Punkt, wo der Band ein Major-Vertrag unter Interscope Records offeriert worden ist. Unter diesem ist schließlich das hier zu besprechende Zweitalbum „Sailing The Seas Of Cheese“ erschienen und brachte der Band u. a. auf MTV reichlich Airplay mit den Singles „Jerry Was A Race Car Driver“ und „Tommy The Cat“, deren Musikvideos durch den skurrilen, im Falle des Letztgenannten auch Cartoon-lastigen Stils auffallen würde.

Rückblickend scheint es fast bizarr, dass ein solches Album einen derartigen Zuspruch finden würde – wobei das vermutlich für jedes Zeitalter gelten würde, in das ein solches Album hinein veröffentlicht würde. Mit noch einigen rockigeren Zügen des Vorgängers bewaffnet – der 1989 aus familiären Gründen ausgestiegene Ur-Klampfer Todd Huth hat noch einige Songwriting-Credits für „Sailing The Seas Of Cheese“ – klingen PRIMUS auf „Sailing The Seas Of Cheese“ wahrhaftig entfesselt, gar nicht mal so wie „nur eine Band von Les Claypool“ wie auf späteren Werken, sondern wirklich wie eine Einheit, in der jedes Element praktisch perfektioniert worden ist, von den irrsinnig virtuosen Basslinien über die frippigen Gitarrenlicks hin zu den abwechslungsreichen Grooves.

Mit dem Zweitwerk schufen PRIMUS ihr Magnum Opus

Dementsprechend ist „Sailing The Seas Of Cheese“ einigen Stellen überraschend progressiv und avantgardistisch unterwegs. Ohnehin sind die durch den Bass dominierten Harmonien nicht gerade die Alltäglichsten, das Zweitwerk ist dahingehend weißgott nicht so auf Hits hin geschrieben wie das Debüt und enthält krumme Takte (z. B. „Here Come The Bastards“ und „Eleven“) neben allerlei wilden, chromatischen Tonfolgen, die üblicherweise von Claypools quirligem Tieftönergeflitze angeleitet werden. Indes setzt der im Übrigen ehemals bei POSSESSED aktiv gewesene Larry LaLonde jede Menge akzentuierte Licks, die das Geschehen ausschmücken und zu der bisweilen eigentümlich düsteren Stimmung in den Songs beitragen.

Charakteristischerweise steht diese düstere Stimmung wieder einmal in einem starken Kontrast zu den oft humorvoll gehaltenen Lyrics, die mal ins Alberne, mal aber auch ins Bissige, Sozial- oder Politkritische übergehen. Der Nachfolger „Pork Soda“ würde diese düstere Stimmung auf die Spitze treiben, offenbar angefeuert durch die trübselige Stimmung, die innerhalb der Band nach den intensiven Touraktivitäten zu „Sailing The Seas Of Cheese“ vorgeherrscht habe. Während das Drittwerk die düstere Atmosphäre durch eine etwas reduziertere Instrumentalarbeit anfeuern würde, wirkt das hiesige Zweitwerk insgesamt verspielter und runder. Dadurch fingen PRIMUS hier ihren quintessentiellen Sound ein, weshalb das Zweitwerk auch gemeinhin als ihr Bestes angesehen wird.

„Sailing The Seas Of Cheese“ bringt die Exzentrik der Band auf den Punkt

Und angesichts der Songs ist das nicht schwer, nachzuvollziehen. „Sailing The Seas Of Cheese“ ist vollgepackt mit großartigen Tracks, die den eigentümlichen Bandsound zusammen mit diversen Einflüssen auf den Punkt bringen. Von eingängig bis komplex ist so ziemlich alles vertreten, was das Herz begehrt. Claypools zwischen animiertem Spoken Word, neurotischem Geheule und kommandierendem Gerufe variierender Gesang geleitet durch die Songs und führt zu einigen denkwürdigen Hooks, die sich ins Ohr bohren. Sogar Tom Waits hat einen Gastauftritt in der Single „Tommy The Cat“ und spricht die Zeilen des Titelcharakters, während das Trio zur virtuosen Hochform aufläuft. Dass ein solcher Song überhaupt in den Charts vorkommt scheint heutzutage undenkbar.

Auch „Jerry Was A Race Car Driver“ ist vollkommen zurecht ein absoluter Klassiker und die Musikvideos, die beiden Tracks spendiert worden sind, tragen zum eigentümlichen Erbe der Band bei. Seien es die Cartoon-Animationen zu „Tommy The Cat“ oder die „NACHOS“-Energie von „Jerry Was A Race Car Driver“ – die Musikvideos sind mindestens genauso ikonisch wie die Songs selbst. Abseits dessen feuern PRIMUS natürlich weitere Hits ab wie „Sgt. Baker“, das ein bisschen an die frühen FAITH NO MORE denken lässt, das stark an kontemporären Alternative gemahnende „American Life“ oder das Groove-Monster „Those Damned Blue Collar Tweekers“, bei dem unsereins nicht anders kann als mit Stankface im Takt mitnicken.

PRIMUS sucks!

Man kann es nur wiederholen: „Sailing The Seas Of Cheese“ wird nicht umsonst als DER Klassiker der Band bezeichnet, da das Trio hier auf ihrem kreativen Zenit gewesen ist, songschreiberisch wie technisch. Der typische, zeitgenössisch Funk Metal-infundierte Sound der US-Amerikaner kombiniert sich hier mit den crimsoiden und zappaesken Einflüssen zu einer nahezu perfekten Melange, die auf den ersten Hör zwar durchaus herausfordernd klingt, nach Eingewöhnung jedoch durchweg sinnig runter geht wie Öl. Wer langsam ins Œuvre der Band hinein finden möchte, sollte natürlich mit dem hitträchtigen Debüt beginnen, aber der Zweitling darf neben dem Drittling „Pork Soda“ keineswegs in der Sammlung fehlen, besonders wenn man sich für virtuose Basspieler interessiert. Ceterum censeo PRIMUS sucks!

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25.12.2024

Redakteur für Prog, Death, Grind, Industrial, Rock und albernen Blödsinn.

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