Porcupine Tree - The Incident

Review

Die Briten von PORCUPINE TREE braucht man heutzutage nicht mehr vorzustellen, sind sie doch schon seit längerem eine der bekanntesten Progrock-Größen. Mit “The Incident“ veröffentlicht die Band um Sänger, Gitarrist, Produzent und Mastermind Steven Wilson ihr mittlerweile zehntes Studioalbum in Form eines Doppelalbums. Auf der ersten CD befindet sich eigentlich nur ein 55 Minuten langer Songzyklus, der aber in 14 einzelne (teils instrumentale) Tracks geteilt wurde. CD 2 enthält vier separate Stücke.

Besonders interessant finde ich das Konzept von “The Incident“: Laut eigenen Angaben kam Steven Wilson die Idee, als er an einem Verkehrsunfall vorbeifuhr, bei dem ein Warnschild “Police – Incident“ (“incident“ = “Vorfall, Ereignis“) aufgestellt war – dieses Wort sei eine zu kalte und unmenschliche Benennung für derart traumatische Erlebnisse. Auch die Art, wie die Medien über solche “Vorfälle“ berichten, sei zu zusammenhang- und emotionslos, sodass jeder Song auf “The Incident“ über Fälle aus Medienberichten in der ersten Person geschrieben ist, somit die Perspektive der beteiligten Person(en) einnimmt und wieder menschlicher wirkt, die Gefühle berührt. Ebenso reflektiert Wilson über “Vorfälle“ aus seinem eigenen Leben. Doch was erwartet den Hörer nun musikalisch?

Der erste Eindruck ist, dass “The Incident“ schwerer zugänglich, sperriger ist als beispielsweise sein Vorgänger, “Fear Of A Blank Planet“. Es benötigt viele Hördurchgänge, bis man das Album wenigstens etwas “kennt“ und die vielen kleinen Details entdeckt. Auf jeden einzelnen Song einzeln einzugehen, wäre an dieser Stelle zu viel, aber besonders möchte ich die einzigartige Atmosphäre hervorheben, die PORCUPINE TREE (erneut) erzeugen – melancholisch, oft düster, aber dennoch gibt es da einige optimistische Momente; wenn man so will, einige Sonnenstrahlen, die das Grau durchbrechen. “Drawing The Line“, einer meiner Favoriten des Albums, ist so ein Kandidat – in den Strophen ist die Melancholie fast greifbar und wird durch Wilsons zerbrechlichen Gesang verstärkt, im zunächst etwas gewöhnungsbedürftig eingängigen Refrain wird das Positive hörbar, mit dem man es aber auf dem ganzen Album nicht übertreibt.

Der Titeltrack ist sehr hypnotisch, eindringlich und bedrückend, wohingegen “Time Flies“ mit seinen fast zwölf Minuten und den wunderbaren Akustikgitarren luftiger, aber dennoch ein wenig wehmütig daherkommt. Auch “Octane Twisted“ bietet großartige Riffs und eine schöne Zerbrechlichkeit zu Beginn. Abgeschlossen wird der Songzyklus von “I Drive The Hearse“, das wieder einmal diese lockere Melancholie darbietet.
Wichtig ist auch, dass die erste CD von “The Incident“ entsprechend des Konzepts am Stück gehört werden sollte, denn es gibt zwar Songs, die auch alleine gut funktionieren, dennoch kann sich die Atmosphäre dieses monumentalen Werks erst im Ganzen entfalten.

Die vier Tracks auf der zweiten CD wirken dementsprechend fast wie Stiefkinder und man sollte sie abgetrennt von den Stücken des Songzyklus‘ betrachten, da sie auch nicht mehr zum Konzept gehören und musikalisch ein wenig anders sind. “Flicker“ ist ein entspannt-verträumter, sanft-fließender Song, in “Bonnie The Cat“ sind die Vocals in der Strophe gespenstisch verzerrt, “Black Dahlia“ weckt balladesk Erinnerungen an PINK FLOYD und “Remeber Me Lover“ schließt die zweite CD würdig ab.

Was kann man also zum Schluss noch hinzufügen? PORCUPINE TREE liefern hier ein monumentales Meisterwerk ab, das Gegensätze vereint – es ist komplex und eingängig; melancholisch und optimistisch zugleich. Das Songwriting, Wilsons variable Stimme, die dichte Atmosphäre, die unterschiedlichen Facetten und die vielen charmanten Details ergänzen sich sehr schön und man kommt in den Genuss eines Albums, das auch (oder gerade) nach sehr vielen Hördurchgängen überzeugt.

14.09.2009
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