Porcupine Tree - Lightbulb Sun (Re-Release)

Review

Über PORCUPINE TREE selbst all zu viele Worte zu verlieren, dürfte überflüssig sein. Fast jedem Progressive-Rock-Hörer sollte die Band um Mastermind Steven Wilson, der scheinbar über einen unerschöpflichen kreativen Output verfügt, ein Begriff sein. Zum Millenium erschien das Album „Lightbulb Sun“ in der Erstauflage, und darf vielleicht als Höhepunkt von PORCUPINE TREEs bisheriger Schaffenphase betrachtet werden. Den Stil, den die Band schon auf den vorigen Alben verfolgte, perfektionierte sie mit „Lightbulb Sun“ – nur um sich danach den komplexen und weit ausschweifenden Stücken eher abzuwenden und zu einem direkteren, härteren Stil zu wechseln. Zum Missfallen einiger Fans.
„Lightbulb Sun“, das lange Zeit ausverkauft war und nur zu horrenden Preisen über die virtuelle Ebay-Ladentheke ging, ist nun endlich wieder erhältlich. Um auf der Höhe der Zeit zu sein, kommt die Wiederveröffentlichung nicht nur in schicker Neuaufmachung – im Super Jewel Case, eine Verpackungsvariante die mir sehr zusagt – daher, sondern beinhaltet obendrein eine DVD-Audio mit 5.1-Mix und drei Bonussongs, „Disappear“, „Buying New Soul“ und „Cure For Optimism“, ebenfalls im 5.1-Mix. Für den Hörer, der über die notwendigen Abspielgeräte verfügt, bietet sich damit tatsächlich eine hörbare Verbesserung – leider allerdings ist die DVD-Audio hierzulande eher ein Nischenprodukt und wird längst nicht von allen DVD-Playern unterstützt. Mit einer anständigen Soundkarte und einem 5.1-System lässt sich die DVD-Audio allerdings auf den meisten PCs wiedergeben.

Nun aber zum eigentlich wichtigen Teil: Der Musik. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, beinhaltet „Lightbulb Sun“ eine ganze Reihe Meisterwerke. „Four Chords That Made A Million“ ist, wenngleich es als OASIS-Schelte verstanden werden darf und daher in dieser Form schon wieder Sinn ergibt, einfach zu poppig, zu mainstreamtauglich. Gut, irgendwo hat es Ohrwurmfaktor – aber, gerade im Vergleich zu den anderen Stücken des Albums, letztlich wirkt es einfach zu belanglos. Ganz anders ist der folgende Song „Shesmovedon“, der erste richtige Knaller auf dem Album und nach etlichen Durchläufen immer noch eines meiner favorisierten Stücke. Das eingängige Zupfen auf der kaum verzerrten Gitarre ist, zusammen mit dem leisen, fast schüchternen Gesang, das Fundament und Grundgerüst des Songs. Subtil halten Bass und Schlagzeug sich im Hintergrund. Auf diese herrlich eingängige, fast leichtfüßige Art und Weise wird die ganze Zeit eine Spannung aufrechterhalten, die sich im sehr melancholischen Refrain zum ersten Mal entlädt. Der Song ebbt ab, türmt sich wieder auf, bleibt spannend, und mündet, gipfelt im finalen Solo. Das ist nicht nur ein großartiges Rocksolo, sondern tatsächlich die konsequente Weiterführung des Songs, die die Stimmung bis zur letzten gezupften Saite bewahrt. Vergleiche zu PINK FLOYD sind immer gewagt, bei diesem Solo allerdings sicher nicht unangebracht.
„The Rest Will Flow“ zeigt PORCUPINE TREE von einer optimistischen Seite, die man so kaum kennt. Man könnte fast meinen, dass hier wieder ein belangloses Stück lauert. Weit gefehlt! Die wunderschönen Details und die gefühlvoll arrangierten Streicher verleihen dem Song sowohl Tiefe, als auch Charakter. Wirklich progressiv wird die Band dann mit dem „Hatesong“. Der Bass brummt sich als im Vordergrund stehendes Instrument ins Ohr, die anderen Instrumente halten sich anfangs im Hintergrund. Nach dreieinhalb Minuten kippt der Song, von Vocals und Bass im Vordergrund hat man sich verabschiedet – stattdessen folgt ein instrumentales Fest, das mit ungewöhnlichen Arrangements erst abschreckt, nach etwas Einhören jedoch fesselt und begeistert. Schon nach „Hatesong“, das immerhin acht Minuten lang ist, ist man versucht, die Behauptung aufzustellen: In langen Stücken kommt PORCUPINE TREEs Genialität am stärksten zum Vorschein. Ist das nach dem Hasssong noch eine vage Vermutung, bestätigt das nachfolgende „Russia On Ice“ – der absolute Topsong des Albums – diesen Eindruck. Weil zwei Stücke dieses Ausmaßes auf einmal fast zu viel wären, findet sich dazwischen noch „Where We Would Be“. Wehmütige Erinnerungen an eine verflossene Liebe beleuchtet der Text – und genau das wurde musikalisch umgesetzt. Die Stimmung wurde optimal umgesetzt, was, wie ich behaupte, große Musiker tatsächlich ausmacht.

Nun aber zu „Russia On Ice“. Schwere Kost, die die Beschäftigung dennoch, oder grade deswegen, mehr als wert ist. Fast eine Viertelstunde Zeit lässt sich die Band mit dem Song – und diese Zeit braucht er auch. Erst ganz leise deutet sich das Lied nur an, der Gesang schwebt irgendwo zwischen abgrundtiefer Trauer und knallharter Gleichgültigkeit, das Gitarrenriff – Achtung, Ohrwurmfaktor sehr hoch! – ist erst kaum vernehmbar, doch irgendwann passiert, worauf man schon die ganze Zeit wartet: Der Song bricht aus, wirft sein Exoskelett ab, und wird lauter. Nach etwa sieben Minuten ist genug gesagt, fortan spricht die Musik für sich selbst. Auch wenn mit „Russia On Ice“ ein Drinkl gemeint ist, kann man sich bei den weitläufigen Soundlandschaften fast vorstellen, durch weite, vereiste Ebenen Russlands zu wandern. Ein bisschen PETER GABRIEL, ein wenig PINK FLOYD und ziemlich viel PORCUPINE TREE findet sich nun in der Komposition, die so berauschend ist, dass tatsächlich nur die Aufforderung angebracht ist: selber anhören! Und zwar unbedingt.
„Russia On Ice“ ist unmöglich noch zu toppen. Ein Glück: Das versucht die Band überhaupt nicht. Der letzte Song „Feel So Low“ ist die kurze Vertonung einer unerfüllte Liebe. Ein Gefühl, das über allem schwebt: Schwermut. Mit dieser Melancholie und bunt gemischten Höreindrücken von etwa einer Stunde Musik verlässt man die Welt von „Lightbulb Sun“, und taucht höchstwahrscheinlich sofort wieder in sie ein.

Hätten alle Songs die Größe von Kompositionen wie „Shesmovedon“, „Hatesong“ oder „Russia On Ice“, zückte ich entzückt die Höchstnote. So reicht es allerdings immer noch locker für 8.5 Punkte, die dank schönem Artwork, dem 5.1-Mix und den Bonussongs auf der DVD, auf die ich beim Review nicht weiter eingegangen bin, da sie für mich bei der Bewertung keine Rolle spielen, zu einer Neun aufgerundet werden. Für Freunde solcher Musik, die das Album nicht ohnehin schon haben, ein Pflichtkauf.

01.06.2008
Exit mobile version