Polyphia - Remember That You Will Die

Review

Die texanischen Prog-Eklektiker POLYPHIA um die Flitzefinger Tim Henson und Scott LePage haben seit ihren Anfängen in den frühen 2010ern von reinem Tech-Prog losgesagt und vermehrt begonnen, elektronische und/oder Hip Hop-Elemente in ihren Sound zu integrieren. Das bedeutet im Bezug auf das hier vorliegende, neue Album „Remember That You Will Die“ im wesentlichen erst einmal, dass wahnsinnig virtuos gespielte Gitarren sowie ein gleichsam agiler Bass über elektronische, tight groovende Midtempo-Beats hinweg tänzeln, was in gehörter Form produktionstechnisch absolut professionell und wirklich sagenhaft gut zusammengeführt wird. Die Texaner spielen ihre Hörer wahrhaftig schwindelig und das über Synths und von Clay Aeschliman eingeklöppelte Rhythmen, die aus dem Umfeld von z. B. BONOBO oder den weniger abgedrehten Sachen von IGLOOGHOST stammen könnten, vielleicht mit einem leichten Hauch APHEX TWIN hier und da.

„Remember That You Will Die“ ist lebendiger Frickel-Prog mit Electro-Beat-Twist

Dass eine Band einen guten Anteil  der Spielzeit ihres Albums damit verbringt, sich einen abzufrickeln, birgt in sich immer ein bisschen die Gefahr, in Repetition respektive reiner und auf Empfängerseiten komplett unerwünschter Selbstbeweihräucherung zu verfallen, zumal beispielsweise die ersten vier aufeinander folgenden Tracks „Genesis“, „Playing God“, „The Audacity“ und „Reverie“ ohne höfliches Anklopfen gleich mal in all ihrer fingerfertigen Pracht auf den Hörer eingeprasselt kommen. Geklärt wird im Gesamten hier in dreierlei Hinsicht: Zunächst einmal gestaltet sich die Gesamtspielzeit mit knapp 40 Minuten recht human für so ein Album. Zum Zweiten: Im weiteren Verlauf des Albums gibt es immer wieder mal Gastsänger, die sich ein Stelldichein geben. Und drittens: Der Teufel steckt im Detail, hier im Speziellen in der Beschaffenheit der Songs.

Um mal beispielhaft beim eröffnenden Quartett zu bleiben: Der Opener „Genesis“ hebt sich dank seiner prominent eingesetzten Bläser und den kessen, eleganten Grooves prägnant ab. „Playing God“ enthält einen höheren Anteil an akustischen Gitarren und wirkt recht jazzig, dank Pfeif-Samples durchaus auch unbeschwert. „Reverie“ birgt jubilierende Melodiebögen, die aus der J-Rock-/-Metal-Szene stammen könnten, und „The Audacity“ stellt den freudig durch die Gegend slappenden Bass etwas mehr in den Vordergrund.  Doch egal in welchem Kontext, die Texaner brennen in jedem Falle ein technisches Feuerwerk besonderer Klasse ab, das im finalen, fast ironisch betitelten Track „Ego Death“ mit der Unterstützung eines gewissen Steve Vai noch einmal glorreich über die Spitze getrieben wird.

Können POLYPHIA so etwas wie Botschafter zwischen Radio-Appeal und Frickel-Prog werden?

Am meisten gehen POLYPHIA zweifelsfrei mit ihren Gastsängern und -sängerinnen auf Konfrontationskurs, die mit einer Ausnahme aus dem Hip Hop- bzw. R’n’B-Sektor stammen. Es ist interessant, neuzeitliches Radio-Appeal vor dem Hintergrund Djent-artiger Zuckelriffs zu hören, auch wenn sich diese natürlich der Poppigkeit entsprechend hauptsächlich auf rhythmische Ornamentik beschränken, um dem Gesang nicht zu sehr im Weg zu stehen. Am eindrucksvollsten klappt das vermutlich auf „ABC“ mit Sophia Black, die einige der quirligeren Licks tatsächlich ziemlich kompetent doppelt – ob mit digitalem Zielwasser oder ohne sei mal dahin gestellt. Etwas gediegener gestaltet sich das Feature von Killstation auf „Memento Mori“, lt. last.fm ein Cloud Rapper, der definitiv die poppigere Seite des weißen Raps bedient – das könnte aber immerhin auch weitaus schlimmer klingen, zumal hier erfrischende 90er-Vibes mitschwingen. Etwas moderner und animierter agiert dann wieder $not auf „Fuck Around And Find Out“. Der kontroverse Autotune-Rap ist indes durch Lil West auf „Chimera“ vertreten.

Wer dagegen komplett farblos herüberkommt ist ausgerechnet der einzige Gastsänger aus dem Metal-Milieu, Chino Moreno (DEFTONES). Seine Gesangsdarbietung auf „Bloodbath“ klingt an den Radioappeal der übrigen Sänger angepasst, seine nasale Darbietung hinterlässt leider überhaupt keinen bleibenden Eindruck und man fragt sich so ein bisschen, wo seine Schreie geblieben sind, die lediglich zu einem kurzen Backing-Vocal-Dasein verdonnert worden zu sein scheinen. Darauf sollte man aber nicht voreilig schließen, dass sich POLYPHIA dem Pop anbiedern wollen. Gut, zugegeben: Sie machen ja mehr oder weniger genau das in den besungenen Songs, aber eben auf ihre Weise und ohne ihren Tech-Metal-Aspekt zu vernachlässigen. Insofern dürfte das hier die wahrscheinlich konsequenteste, nahtloseste und hörbarste Pop-Metal-Verschmelzung sein, die zumindest unsereins jemals vernommen hat.

Eklektik pur – nichts für Scheuklappenträger und Radio-Muffel

Die Non-Metal-Sänger sind für Scheuklappenträger sicher die größte Hürde und da sollte man den Affen eben in die Seife beißen lassen können. Wer damit nicht zurecht kommt, macht einen Bogen um „Remember That You Will Die“ herum. Aber es wäre schade, die Platte allein deshalb abzuschreiben, da unsereins doch der Ansicht ist, dass POLYPHIA möglicherweise ein bisschen wie Vermittler zwischen zwei augenscheinlich inkompatiblen Musikbereichen wirken. „Remember That You Will Die“ ist ein ziemlich gelungenes, experimentelles und eklektisches Werk, das dem so verabscheuten Begriff Pop-Metal vielleicht neues Leben einhauchen könnte. Sieht man mal von Morenos fadem Ausrutscher ab, ist dieses Experiment zweifelsohne gelungen und könnte einen Beitrag dazu leisten, technischen Metal für gewöhnliche Ohren ein bisschen gaumenfreundlicher zu machen. Frickelige Tech-Riffs über moderne Electro-/R’n’B-Beats ist jedenfalls eine ziemlich originelle Sache und – wichtiger im Kontext – hier absolut tadellos umgesetzt.

30.10.2022

Redakteur für Prog, Death, Grind, Industrial, Rock und albernen Blödsinn.

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