Klassik meets Depressive Black Metal – ob das gut geht? Diese Frage drängt sich mir sofort auf, noch während ich den Promo-Flyer zum Erstling des französischen Soloprojektes PENSÉES NOCTURNES lese. Naja, warum eigentlich nicht? Es wäre doch wirklich was Feines, wenn das vor sich hin dümpelnde Depressive Black Metal-Genre ein paar neue Impulse bekommen würde, anstatt immer weiter im eigenen Saft zu schmoren. Bei weiterer Überlegung fallen mir mindestens zwei Aspekte ein, die sich bei der Verschmelzung klassischer Musik mit depressivem Black Metal als problematisch erweisen könnten – und leider scheitert der kreative Kopf hinter PENSÉES NOCTURNES, Vaerhon, an der Lösung dieser Probleme, wenngleich dieses Scheitern nicht das einzige ist, das “Vacuum“ von einem Aufstieg in meine persönliche Black Metal-Bundesliga fernhält.
Das erste Problem, dem sich Vaerhon unweigerlich ausgesetzt sieht, erschließt sich aus einem direkten Vergleich der grundsätzlichen Herangehensweisen an die zu verbindenden Stilarten: Klassische Musik ist durch Variation der Motive, durch Dynamik in Klangfarbe, Lautstärke und Geschwindigkeit geprägt – im depressiven Black Metal findet sich dagegen hauptsächlich eines als Stilmittel: Monotonie. Variation oder gar Dynamik sind für gewöhnlich keine gern gesehenen Gäste bei depressiven Schwarzwurzeln. Sicherlich ist dieser Versuch eines Vergleichs sehr pauschal – es gibt in beiden Genres einen Haufen Ausnahmen, aber das allgemein gehaltene Bild macht schon deutlich, worauf ich hinauswill.
Was macht Vaerhon nun? Er beginnt mit klassischer Musik und macht das auf den ersten Blick auch richtig gut! Ein melancholisches Motiv erklingt, das von verschiedensten (echten!) klassischen Instrumenten interpretiert wird, dabei hat Vaerhon anscheinend echt Ahnung vom Satz klassischer Musik; der erste Song “Lune malade“ (dessen Text ein Gedicht von Albert Giraud ist) ist zwar weit entfernt von der Kompositionskunst eines Johann Sebastian Bach, aber das schafft heutzutage sowieso keiner mehr.
Doch dann mischt sich der Black Metal ein – und es passiert irgendwie überhaupt nichts mehr. Sicherlich kann der gute Mann Gitarre spielen, auch der Bass ist gut arrangiert und sauber gespielt – aber auch das beste klassisch inspirierte Motiv (von Riff kann man hier nicht wirklich sprechen) wird nach über elf Minuten langweilig. Ja, richtig gelesen, “Lune malade“ besteht aus einem einzigen Motiv, das zwar variiert wird und dadurch ein wenig Dynamik bekommt (der schwarzmetallische Anteil nimmt zwischendurch auch wieder ab und wieder zu und wieder ab und…), aber letztendlich kann auch das nicht darüber hinwegtäuschen, dass dahinter keine Substanz steckt. Oder um es mit Abe Simpson zu sagen: “Maaaaaatlock!“ Das bleibt übrigens auch in den folgenden Stücken so, Vaerhon arrangiert die klassischen und (weitestgehend) die schwarzmetallischen Anteile ganz ordentlich, hat aber zu wenige Ideen, um die Songs auch in Überlänge spannend zu gestalten. Mein ganz persönlicher “Favorit“ ist “Dés-espoir“, das auf Chopins “Nocturne“, Op. 55, No. 1, basiert – und dabei fast nur das Eingangsmotiv verwendet und auf dieselbe langweilige Art verwurstet wie “Lune malade“. Das ist – obwohl ich kein großer Fan Chopins bin – schon fast Blasphemie.
Das zweite Fettnäpfchen, in das Vaerhon bei seinen Bemühungen tritt, ist die Instrumentierung. Wenn ich mal geistig klassische Instrumente durchgehe und auf ihre “Eignung“ für depressive Musik abklopfe, dann dürfen Streichinstrumente wie Geigen und Celli nicht fehlen. Auch das Klavier, die Klarinette, die Oboe und das Fagott sind durch geeigneten Einsatz durchaus in der Lage, melancholische Stimmung zu erzeugen. Aber Glockenspiel? Horn? Eine Piccolo-Flöte? Es ist ja toll, dass Vaerhon Freunde hat, die diese Instrumente beherrschen – aber muss er sie deshalb auch verwenden? Gut gut, auch ein Horn kann man auf melancholische Weise einsetzen – was ich aber auf “Vacuum“ an Blechbläsern höre, hat diesen typischen triumphalen Charakter, den man von DIMMU BORGIR oder SATYRICON kennt. Die Antwort “Weil ich’s kann!“ ist also nicht unbedingt ein ausreichender Grund, bestimmte Instrumente zu verwenden.
Soweit, so ernüchternd. Abgesehen von der erschreckenden Ideenlosigkeit bei offensichtlich vorhandenem Talent zum Arrangement von Musikstücken gibt es im Wesentlichen noch zwei Aspekte des Albums, die mich davon abhalten, “Vacuum“ noch öfter rotieren zu lassen: Zum einen ist das der Gesang, der irgendwo zwischen SILENCER und BURZUM einzuordnen wäre und einfach nur peinlich wirkt. Da hockt ein armer, verzweifelter Black Metaller irgendwo in Frankreich und heult ins Mikro. Tut mir Leid, aber das wirkt nicht “Depressive“, sondern einfach nur albern. Böse Zungen könnten behaupten, dass er wohl gemerkt hat, wie einfallslos die Stücke sind – und daher rumheult. Der andere Punkt ist das beschissen programmierte Schlagzeug. Da hat Vaerhon sich so viel Mühe gegeben, die Instrumente vernünftig zu arrangieren – hätte er da nicht noch ein bisschen Zeit investieren können, um den Drums ein bisschen mehr Würze, ein bisschen mehr Dynamik zu verleihen? Vielleicht hätte der Kumpel mit dem Glockenspiel sich lieber ans Drumkit gesetzt? So klingt das jedenfalls grausam – was man von der Produktion zwar nicht direkt behaupten kann, aber gerade der Black Metal-Anteil klingt relativ bescheiden.
Nein, so viel versprechend Vaerhons Ansatz auch ist, so wenig kann er bei näherer Betrachtung halten. Wenn ich eine gelungene Verbindung zwischen klassischer Musik und Black Metal hören will, greife ich lieber zu LA RUMEUR DES CHAÎNES, die können das nämlich um einige Klassen besser. Ein Lob gibt’s für den unternommenen Versuch, den Depressive Black Metal zu bereichern – und vielleicht geht’s mit PENSÉES NOCTURNES ja noch aufwärts. Das wirklich Schlimme ist ja auch eigentlich, dass “Vacuum“ trotz der eklatanten Schwächen immer noch spannender klingt als 95 Prozent der (Depressive) Black Metal-Veröffentlichungen heutzutage.
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