Paradise Lost - The Plague Within

Review

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Die Erwartungen an dieses Werk hätten größer kaum sein können: Zunächst genährt durch Gregor Mackintoshs zweite, noch ruppigere VALLENFYRE-Langrille, dann gewachsen durch Nick Holmes‘ überraschende Inkarnation als Death-Metal-Apologet bei BLOODBATH und schließlich beflügelt durch die sich seit Monaten verdichtenden Gerüchte, dass auch PARADISE LOST, die Hauptformation der zwei Herren, wieder zu ihren Anfängen im von ihnen selbst mit aus der Taufe gehobenen Death-Doom-Metal-Genre zurückkehrt, hat „The Plague Within“ im Vorfeld bereits für so manchen feuchten Traum von DEM Neuzeit-Überwerk der Briten gesorgt. Muss sich da letztlich beim Resultat, sei es auch noch so gut, nicht zwangsläufig Ernüchterung einstellen?

Nicht wenn es sich um diese Musiker aus dem mystisch-ländlichen Yorkshire handelt, die eine seit nunmehr sechs Jahren andauernde triumphale Heimkehr in den Hafen alter Glanzzeiten feiern, die glauben lässt, dass die Phrase vom zweiten Frühling einzig und allein für PARADISE LOST geschaffen worden wäre. Nach einem sehr guten Lauf mit den beiden vorzüglichen, jedoch leicht nach Stagnation riechenden Platten „Faith Divides Us – Death Unites Us“ im Jahre 2009 und „Tragic Idol“ im Jahre 2012 besinnt sich der vielleicht prächtigste Formwandler der metallenen Welt nun auf seinem bereits 14. Album zusätzlich wieder auf sein herausstechendstes Charakteristikum: die Fähigkeit zur Veränderung. Dokumentierten die zwei Vorgänger das Wiedererstarken des Doom Metal, tauchen PARADISE LOST auf „The Plague Within“ tatsächlich noch ein bisschen tiefer in die eigene Vergangenheit hinab – zu ihren Death-Metal-Wurzeln.

Man sollte natürlich nicht den Fehler begehen, hier „Lost Paradise, Teil II“ beziehungsweise Grunzgeschrote aus allen Rohren zu erwarten. Die sanfte, die Grenzen der Stromgitarrenmusik auslotende Ära um die Jahrtausendwende herum mit ihrer mild-reifen Melancholie wird der Identität des Fünfers wohl stets immanent bleiben – und so ist die neue Schöpfung mitnichten ein reinrassiges Death-Doom-Album geworden. Dafür aber ein ambitioniertes, mitunter gar überraschendes, das die jahrzehntealten Sehnsüchte einstiger Liebhaber mit unumwundener Aufrichtigkeit und gekonnt ausgespielter Erfahrung in Wohlgefallen auflösen wird. Bei aller Rückbesinnung auf alte Zeiten haben die britischen Berufspessimisten glücklicherweise das richtige Maß gefunden und die Stringenz gewahrt, klingen weder peinlich bemüht noch nach VALLENFYRE oder BLOODBATH. Obwohl sich haufenweise Zitate von „Gothic“ oder „Shades Of God“ finden lassen und Nick Holmes die Hälfte der Zeit die seit 1992 verschüttete Grummel-Griesgram-Stimme nach oben holt, ist der erstmals 1997 auf „One Second“ zu hören gewesene düstere Rock mitsamt des zerbrechlichen Klargesangs nicht völlig verschwunden. Gepaart mit der dritten, zeitlich dazwischen anzusiedelnden PARADISE LOST-Entwicklungsstufe, dem auf „Icon“ erstmals erstrahlenden, melodisch-eingängigen Doom Metal inklusive des angerauten Bellens, entsteht ein buntes Kaleidoskop der Stile. Darin finden sich bei der trotz des muskelbepackten Basses intime Einblicke erlaubenden Produktion mehr oder minder große Fragmente von fast allem, was die Mittvierziger aus Halifax in mittlerweile 27 Jahren Bandexistenz kreiert haben. Einzig die elektronischen Spielereien der „Host“-Phase fehlen.

Auffällig ist, dass die zehn Lieder weniger formelhaft-vorhersehbar als zuletzt geraten sind, sondern die Nordengländer von fast jeglichen (vielleicht unterbewussten) Zwängen befreit zeigen. Insbesondere das Tempo variiert mehr denn je. Nur wenig klingt hier gleich und vieles scheint möglich – dennoch wirkt alles wie aus einem Guss. So fließen sie wieder ineinander, die Momente der Niedergeschlagenheit, die der keimenden Hoffnung und schließlich jene der alle Fesseln zu Boden werfenden Erhabenheit, die den Geist in höchste Höhen trägt. Neben Holmes‘ variabel wie nie zuvor erklingendem Gesang natürlich hauptverantwortlich dafür: das unverkennbare und begnadete Gitarrenspiel Gregor Mackintoshs, das nach weit mehr als zwei Dekaden immer noch vollkommen beseelt klingt. Der Eingängigkeitsgrad der Vorgängerscheiben wird insgesamt nur marginal unterschritten, wenngleich des Öfteren die schwere Keule früher Tage ausgepackt wird.

Drei Kompositionen seien an dieser Stelle exemplarisch für die stimmige Mannigfaltigkeit von „The Plague Within“ zwischen kleinen Finessen, metallischer Härte und betörender Elegie: Im Chorus des mit orchestralen Arrangements dezent verfeinerten „An Eternity Of Lies“ etwa liefert sich Holmes mit Mackintosh-Gattin Heather ein wohldosiertes Die-Schöne-und-das-Biest-Duett – ohne jeglichen Anflug von Kitsch und beinahe so packend in Szene gesetzt wie 1991 auf der Göttergabe „The Painless“. Die finster-rasante Todesblei-Urgewalt „Flesh From Bone“ hingegen fällt als das zweifelsfrei kompromissloseste Stück Musik, das PARADISE LOST seit einem Vierteljahrhundert aufgenommen haben, über den Hörer her. „Beneath Broken Earth“ blickt ähnlich weit zurück, wirft aber gleich drei tonnenschwere Felsblöcke aufs Bremspedal: Der irgendwo zwischen „Lost Paradise“ und „Gothic“ in der PARADISE LOST-Ursuppe fischende Death-Doom-Monolith überwältigt mit seinen zart durchscheinenden, aller Trostlosigkeit trotzenden elysischen Momenten („You Wish To Diieeeee“). Die Textzeile „The Circle Is Done“ darf dabei gerne als programmatisch für die Diskographie ihrer Urheber gelesen werden. Ein mächtiges, an alle Zweifler adressiertes Ausrufezeichen und eine neue Kostbarkeit für die mit „Our Saviour“, „Eternal“, „Pity The Sadness“, „Embers Fire“ und etlichen anderen Juwelen schon illuster besetzte PARADISE LOST-Krone.

Ja, sie haben es wirklich getan! PARADISE LOST bestätigen abermals ihre atemberaubende Formkurve und verdichten auf „The Plague Within“ all ihre großartigen Neunziger-Jahre-Alben auf 50 Minuten; präsentieren hier die Quintessenz aus „Gothic“, „Icon“ und „One Second“. Eine komplette Werkschau im Taschenformat und zugleich die potenteste Manifestierung des mürrischen PARADISE LOSTschen Ethos seit zwei Dekaden. Sie bezeugt die endgültige Renaissance einer der prägendsten Metal-Gruppen der frühen Neunziger. Die anderweltliche Magie der beiden in jenen Thronbesteigungsjahren aus unbekümmertem Tatendrang geborenen Opi Magni „Gothic“ und „Icon“ ist zwar unwiederbringlich verloren, dafür jedoch ist dieses (Alters-)Werk das definitiv vielfältigste und kontrastreichste einer langen, höchst spannenden Karriere. Als Sahnehäubchen gibt es das ebenso detailreiche wie faszinierend-morbide Umschlagbild des polnischen Künstlers Zbigniew M. Bielak obendrauf – eines der stimmungsvollsten, die PARADISE LOST jemals hatten. Bei alledem ist völlig egal, warum Nick, Gregor, Aaron und Stephen (bei wechselnden Schlagzeugern) nach so vielen Jahren – manche mögen sie fälschlicherweise Jahre der Irrungen und Wirrungen nennen – wieder bis fast ganz an den Anfang zurückkehren. Mag es die Mittlebenskrise und die daraus resultierende Flucht in Nostalgie verheißende Klänge sein; das verzweifelte Greifen nach einer immer weiter verblassenden Jugend. Wunderbar, wenn das zu einem solchen Resultat führt. Hauptsache, PARADISE LOST haben es getan. Hauptsache, sie haben allen, die es annehmen möchten, dieses Geschenk gemacht.

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20.05.2015

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8 Kommentare zu Paradise Lost - The Plague Within

  1. greedoch sagt:

    ist vielleicht nur ein unwichtiges detail, aber hier ist auch wieder der alte logo-schriftzug vorhanden wie bei tragic idol 🙂

  2. Satanas sagt:

    Das Album ist wirklich gelungen. Als Fan der ersten 3 Alben, der danach nur noch sporadisch rein hört wenn PL was neues rausbringt, konnte man beim letzten Release ja schon das ein oder andere Mal aufhorchen. Tragic Idol hielt sich jedoch nicht lange in der Rotation meines Players. Ich bin zuversichtlich, dass The Plague Within nicht das selbe Schicksal teilen wird. Beneath Broken Earth z.B. hat eindeutigen Klassiker-Character und macht richtig Lust mal wieder Shades Of God mit ins Auto zu nehmen 😉 Mein Fav: Cry Out – dieser Stil hätte auch gut dem Bloodbath Album gestanden, welches mich leider enttäuscht hat.

  3. Doktor von Pain sagt:

    ich bin ein wenig enttäuscht vom neuen PL-Album. Auch nach mehrmaligem Hören wollen die Songs (bis auf den Opener) nicht wirklich zünden. Da fand ich die Vorgänger klar besser. Meine Wertung: 6,5/10.

  4. Master sagt:

    Tja, so unterschiedlich kann man das sehen.
    Für mich ist es das erste Album seit „Icon“, dass mal wieder so richtig zündet.
    Fantastisch! Hätte ich nicht mehr erwartet und man könnte es fast zwischen „Shades of god“ und „Icon“ einordnen.
    Da war selbst „Draconian Times“ schon viel mehr nach Reißbrett konstruiert und vorhersehbarer mit seinen 3-4 Minuten Verse, Refrain, Verse, Refrain, Solo, Refrain Songs.
    Nun gibt es endlich wieder richtige Songs wo man auch was entdecken kann und wo nicht alles nach Pop-Song Schema abläuft.

    10/10
    1. S.G. sagt:

      das mit Draconian stimmt eigentlich, dennoch packten da einige songs. The plague within packte nur bei zwei bis drei liedchen (return to the sun sei erwähnt). Tragic Idol hatte gleich 5 starke songs. auf mich wirkt Plague Within chaotisch zusammengewürfelt und hoffe auf ein nachfolgealbum im stil von beneath brocken earth….

  5. Cing Cola sagt:

    Sorry……aber echt alle Lieder Schrott auf dieser Scheibe!

  6. Evilized sagt:

    Die beste Paradise Lost Platte der letzten 20 Jahre. Besonders Nick Holmes ist in absoluter Topform.

  7. S.G. sagt:

    Nach tragic idol hatte ich mir einiges von Old Nick und PL erhofft. Das album hat mich dennoch etwas entäuscht. Im Nachhinein gesehen, wirkt das Album auf mich, als ob PL nicht wussten, was sie eigentlich mit dem album wollen. Zwei drachenstarke Doom-Death Hymnen mit Beneath Broken Earth und No Hope in Sight machen lust auf mehr. Wenn man diesen edlen Doom Death Metal mag und schätzt, ist man über diese Oden an die Verzweiflung erfreut, aber zumindest ich, betätige bei den meisten anderen songs dieser CD sehr oft die Skipp Taste.
    10 Punkte für die erwähnten beiden Hymnen.
    4 Punkte für den Rest und das nur aus Respekt (eigentlich tendiere ich zu einem Punkt)

    7/10