Paradise Lost - Symphony For The Lost

Review

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Das Jahr 2015 läuft für Paradise Lost gelinde ausgedrückt bisher nicht allzu schlecht. Neben dem Release ihres mittlerweile schon 14. Studioalbums „The Plague Within“, welches vielerorts überragend aufgenommen wurde, absolvierte die britische Band auch zahlreiche Festivalsshows sowie eine ausgedehnte Tour zum neuen Werk. Für alle, die dennoch nicht genug von der zugegebenermaßen sympathischen Truppe um das kreative Duo Holmes/Mackintosh bekommen können, präsentieren PARADISE LOST nun pünktlich zur bevorstehenden Weihnachtszeit nach „The Anatomy Of Melancholy“ (2007) ein weiteres audiovisuelles Live-Release. Auf den ersten Blick erscheint es so, als ob die Herren die Gunst der Stunde nutzen und den Braten gerne so richtig fett machen bzw. die Kuh melken möchten, solange sie noch Milch gibt. Doch bereits der Titel „Symphony For The Lost“ lässt aufhorchen und in der Tat haben sich die Gothic Metal-Pioniere etwas Besonderes überlegt.

Für die Veröffentlichung aufgenommen wurde das Konzert in Plovdiv, Bulgarien, das 2014 in einer atemberaubenden Kulisse, einem antiken Römertheater stattfand. Damit nicht genug wurde eben jene Show vom Orchester der Staatsoper Plovdiv und dem Rodna-Pesen-Chor unterstützt, die von Dirigent Levon Manukyan, der bereits Werke von MARILYN MANSON, ALICE COOPER, NIRVANA und JUDAS PRIEST in klassische Arrangements transferiert hat, angeleitet wurden. Um vorschnelle Erwartungen direkt zu bremsen, muss allerdings gesagt werden, dass das Orchester leider nur für knapp die Hälfte der Konzertdauer auf der Bühne präsent ist, weshalb bei der abschließenden Bewertung des Gesamtwerks stark differenziert werden muss.

Die Idee für „Symphony For The Lost“ existierte anscheinend aber schon länger und, seien wir mal ehrlich, passt zumindest zu einer großen Zahl an Songs von PARADISE LOST wie der berühmte Arsch auf den Eimer. Über die gesamte Karriere hin (die Frühphase mal außer Acht gelassen) veröffentlichte die aus Halifax stammende Band stets Songs mit mal weniger und mal mehr ausgeprägter Orchestrierung. Dies auch live umzusetzen, erschien nur logisch und eine Frage der Zeit zu sein.

Wer PARADISE LOST schon einmal live gesehen hat, weiß, dass man es hier mit keiner perfekten Live-Band zu tun hat, deren Shows aber einen gewissen Spaßfaktor bereithalten und vor allem eins auszeichnet: Authentizität. Und genau dies verkörpert auch „Symphony For The Lost“. Dass die Truppe aktuell einen Höhenflug erfährt, beweist nicht nur das aktuelle Werk „The Plague Within“, sondern auch aktuelle Live-Momente. Dementsprechend ist in den knapp 90 Minuten eine Band zu erleben, die vor Selbstbewusstsein nur so strotzt und Freude am gegenwärtigen Dasein hat, was ihr auch anzumerken ist. Selbst ein ansonsten stets unterkühlter Nick Holmes hat teilweise ein leichtes Lächeln auf den Lippen. Auch der Rest der Band wirkt nahezu überwältig von der Kulisse und gibt die Songs voller Inbrunst zum Besten. Über Posen etc. lohnt es hier nicht zu schreiben, dazu sind PARADISE LOST zu lange im Geschäft, als dass sie nicht wüssten, wie man sich auf der Bühne bewegt. Am meisten Bock scheint allerdings Dirigent Levon Manukyan gehabt zu haben, so exzessiv strahlt der Herr über beide Ohren. Auch in den Gesichtern der beteiligten Orchestermusiker sieht man ob der Zuschauerreaktionen Begeisterung. Selbst die Pommesgabel sitzt bei manchen Musikern, als Nick Holmes das Orchester kurz erwähnt und dies von den Zuschauern gefeiert wird.

Der Sound wird dabei überraschend roh gehalten, was aber mit der zuvor angesprochenen Authentizität hervorragend harmoniert. Kleine Spielfehler oder leicht schiefer Gesang wurden im Nachhinein nicht bearbeitet oder herausgebügelt. Der Hörer bzw. Zuschauer bekommt das, wofür PARADISE LOST derzeitig stehen – mit bestmöglichem Live-Feeling. So steht das Projekt teilweise auch auf etwas wackeligen Beinen, bleibt dadurch jedoch insbesondere bei der ersten Betrachtung ungemein spannend. Insbesondere für den Orchester-Part hat die Band diejenigen Songs herausgepickt, die am besten dafür geeignet sind. Und so werden nach dem Gänsehaut-Einstieg mit „Tragic Idol“ auch Stücke zum Besten gegeben, die nicht bei jedem Konzert in der Setlist anzutreffen sind; das mitreißende „Last Regret“ sei hier als Beispiel genannt. „Victim Of The Past“, welches im Grunde für den Zusammenschluss mit einem klassischen Orchester geschrieben wurde, konnte vor offiziellem Release des neuen Albums sogar erstmalig aufgeführt werden.

Immer wieder schieben sich einzelne Instrumente in den Vordergrund, sei es nun der Konzertflügel bei „Tragic Idol“ oder die Bläser in „Your Own Reality“. Daraus resultieren Momente, die einfach zum niederknien sind, einen teilweise aber auch etwas gespalten zurücklassen. „Joys Of Emptiness“ erstrahlt beispielsweise in gänzlich neuem Licht. Inwiefern das Experiment an dieser Stelle geglückt ist, muss jeder selbst entscheiden, jedoch geht die düstere Note dieses an sich großartigen Songs ein Stück weit verloren. Auch die alternative Version von „Soul Couragoues“ ist geradezu aberwitzig und könnte in etwas gezügelterer Form fast schon auf jedem Schulfest mit Big Band zelebriert werden. Zudem versäumen es PARADISE LOST, bei nahezu perfekten Voraussetzungen endlich mal auch den weiblichen Gesang bei unsterblichen Songs wie „Gothic“ live darzubieten. Wenn nicht hier mit einem einsatzbereiten Chor, wann dann?!

Das Publikum vor Ort hält es jedoch bereits zu Beginn des feierlichen Konzertabends nicht mehr auf den Sitzen. Mit euphorischem Applaus nach jedem Song und zahlreichen Sprechchören schwappt die Stimmung auch durch’s heimische Wohnzimmer – hier wurde produktionstechnisch ganze Arbeit geleistet. Besonders positiv zu vermerken ist, dass die Kameras nicht immer nur Close-Ups liefern, sondern das Geschehen als Ganzes einfangen. Der rundum positive Eindruck, ja die Begeisterung wird jedoch durch den nicht wirklich nachvollziehbaren Einsatz von teils farbigen, teils schwarz-weißen Bildern geschmälert. Nostalgie gut und gerne, aber bitte nicht so. Eine einheitliche Darstellung wäre da deutlich stimmungsvoller gewesen.

Der zweite Teil des Konzerts ohne Orchester und Chor darf hingegen als Standardkost bezeichnet werden (was sich böser anhört, als es gemeint ist). Der Sound sitzt selbstverständlich immer noch gut und die Stimmung wird weiterhin auf ansehnlichem Level gehalten. Hier wird ein solides Live-Set mit Songs geboten, welche auch heute noch immer wieder in aktuellen Setlists vorzufinden sind. Bei vielen der Titel hätte man sich ebenso eine Orchester-Interpretation gewünscht (z.B. „Faith Divides Us Death Unites Us“). Zudem wirken PARADISE LOST auf der mittlerweile aufgrund der Abstinenz des Orchesters immens groß und weitläufig wirkenden Bühne etwas verloren.

Abgerundet wird „Symphony For The Lost“ durch eine kurze und daher glücklicherweise auch knackige Dokumentation zur Entstehung des Konzerts. Diverse Beteiligte kommen zu Wort und gewähren, trotz teils schwer verständlichem Akzent, Einblicke hinter die Kulisse. Auch hier wird nochmal deutlich, dass PARADISE LOST selbst voll und ganz von diesem Abend überwältigt waren, z.B. wenn Greg Mackintosh das Konzert retrospektive als eins der besten fünf Ereignisse seines Lebens einordnet.

Am Ende bleibt mit „Symphony For The Lost“ ein sowohl optisch, als auch akustisch beeindruckendes Werk von PARADISE LOST, welches sich kleine Verbesserungsvorschläge gefallen lassen muss, insgesamt aber (v.a. aufgrund des ersten Abschnitts) überzeugt und sein Geld wert ist.

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15.11.2015

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