Paradise Lost - Gothic

Review

Unter "Blast From The Past" erscheinen jeden Mittwoch Reviews zu Alben, die wir bislang nicht ausreichend gewürdigt haben. Hier gibt es alle bisher erschienenen Blast-From-The-Past-Reviews.

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Im März 1991 veröffentlichen PARADISE LOST ihr zweites Album „Gothic“, das einen regelrechten Quantensprung darstellt und schnell als Referenzwerk gilt.

Die ursprünglichen Wurzeln liegen im Death Metal der Achtziger

Mit ihrem im Februar 1990 veröffentlichten Debütalbum „Lost Paradise“ sorgten PARADISE LOST für ein erstes Ausrufezeichen im extremen Metal. Inmitten der Kakophonie von Blast Beats in der geschwindigkeitsbesessenen Welt des britischen Death Metals und Grindcore, folgten PARADISE LOST einem anderen Pfad. Noch den ursprünglichen Wurzeln des Death Metals der Achtziger verpflichtet, brachen die Engländer durch die Hinzunahme von Einflüssen des Doom Metals unter Verwendung schleppender Rhythmen und trauervoller Gitarrenleads die Grenzen des Genres auf und erfanden ein neues – den Death Doom Metal. Aufgrund noch etwas beschränkter musikalischer Fertigkeiten und mangelhafter Produktion nicht perfekt, aber mit einer klaren Vision, besonderer Originalität und einnehmend trister Atmosphäre. Solche morbiden, sinisteren Songs in derart harschem, dunklem Metal hatte man nie zuvor gehört.

PARADISE LOST gehen wieder in dasselbe Studio

Im November 1990 begeben sich PARADISE LOST erneut in die Academy Studios in West Yorkshire. Anstatt wieder auf den unerfahrenen Plattenfirmenchef Paul „Hammy“ Hamshaw zu setzen, übernimmt der Inhaber des Studios Keith Appleton die Produktion. Der versteht zwar damals wenig von Metal, bringt aber als Produzent Geduld und Sachverständnis ein, wovon „Gothic“ im Gesamten und insbesondere die für das Album so wichtigen Keyboardpassagen deutlich profitieren. Der Produktionsprozess dauert insgesamt bis Januar 1991. Die Kombination aus mehr zur Verfügung stehender Zeit, gestiegener musikalischer Reife und Erfahrung sowie Hilfe eines kompetenten Produzenten sollen sich auszahlen.

PARADISE LOST erheben sich mit „Gothic“ aus dem Death-Metal-Morast und erschaffen ein neues Genre

Die Basis ist zwar immer noch Death Doom Metal, aber mit „Gothic“ entwickeln sich PARADISE LOST enorm weiter. Zwar gibt es noch immer Death Metal typische Growls, die setzt Nick Holmes variabler, verständlicher und nicht mehr ganz so abgründig tief ein. Die schwermütigen Gitarren verlieren einiges ihrer Rohheit, haben aber immer noch genügend Härte.

Es sind die Neuerungen, die für einen regelrechten Umbruch sorgen, zu einer Weiterentwicklung, die in Folge wieder ein neues Genre definiert. PARADISE LOST verschmelzen ihre tristen, düsteren Symphonien mit deutlich häufiger eingesetzten weiblichen, theatralisch wirkenden Gesang der Sängerin Sarah Marrion, die zuvor lediglich in Indie-Bands gesungen hatte. Hinzu kommen Elemente der klassischen Musik in Form orchestraler Passagen, laut Booklet vorgetragen vom Raptured Symphony Orchestra, tatsächlich aber von symphonischen Keyboards, eingespielt meist von Appleton oder Greg Mackintosh.

Die Einflüsse von PARADISE LOST zu Zeiten von „Gothic“

Zu den vorherigen Einflüssen des Dooms gesellen sich Inspirationen aus dem Gothic Rock, insbesondere THE SISTERS OF MERCY und CHRISTIAN DEATH hinterlassen ihre Spuren. PARADISE LOST sind große Anhänger des frühen britischen Gothic Rock, daher reift in ihnen die Idee, die Erhabenheit und Melancholie des Gothic mit der Erbärmlichkeit und Schwere des Dooms und der Härte des Death Metals zu verbinden. Und wie bereits zu „Lost Paradise“ hat „Into The Pandemonium“ und „Morbid Tales“ von CELTIC FROST vorgemacht, wie man Metal mit Orchestrationen oder weiblichem Gesang verbinden kann.

Die bei „Lost Paradise“ noch zaghafte, zurückhaltende Verwendung von Frauengesang und Keyboards, lediglich kleine Farbtupfer im tiefen Schwarz, entwickeln PARADISE LOST auf „Gothic“ weiter mit der Absicht, Atmosphäre zu erschaffen. In der von PARADISE LOST umgesetzten Konstellation und Konsequenz ist das Album ein Novum im Metal. Gerade die Kombination aus Death-Growls mit weiblichem Gesang tritt in der Folge eine ganze Welle unzähliger Bands los, die dasselbe Muster verwenden. „Gothic“, damals noch als Death Doom vermarktet, wird in der Folge stilprägend und namensgebend für den Gothic Metal. Und der später entstehende Symphonic Metal erfährt hier eine erste Definition.

PARADISE LOST wagen mehr Melodie

PARADISE LOST haben sich in jeglicher Hinsicht weiterentwickelt. Insbesondere die melancholischen Gitarrenmelodien in Moll sind auf „Gothic“ noch viel prägnanter und häufiger. Gregs feines Gespür für höchst eingängige und tieftraurige Harmonien, sein kummervolles Vibrato kommen hier erstmals richtig zur Geltung und entfalten voll ihre intensive Wirkung. Dies sollten später zig Bands adaptieren, die mehr Melodien und Melancholie in ihrem (Melodic) Death (Doom/Gothic) Metal zuließen, ein prominentes Beispiel wären die frühen KATATONIA oder AMORPHIS.

Deutlich variableres Songwriting und verschiedene Rhythmen, von langsam doomig bis Midtempo, oder 6/8 Takte, zeugen ebenfalls von der Weiterbildung der Musiker.

Die düsteren Symphonien der gefallenen Engel

Der Titelsong beginnt mit wimmernder Leadgitarre, die für Tristesse sorgt. Mackintosh gibt die eingängige, düstere Melodie vor, Holmes röhrt finster gemartert, dazu gesellt sich die hohe Stimme von Marrion. Orchestrale Passagen erhöhen die Intensität. Willkommen in diesem wahrhaft verlorenen Paradies. „Dead Emotion“ ist geprägt von einem stakkato artigem Leitmotiv, zweistimmigen Moll-Melodien, zähen Doom-Riffs und wieder der Gastgesang von Sarah. Mit „Shattered“ bringen PARADISE LOST das simpelste Stück des Albums. Das Lied besteht aus einigen wenigen aber effektiven Elementen, die heraufbeschworene Atmosphäre erinnert an alte Horrorfilme. Nick tönt leidvoll, das Ende lebt von aufwühlenden Obertonharmonien. „Rapture“ schreitet zunächst quälend langsam, ehe Stephen Edmonson mit einem flotten Bass Solo in schwungvollere Rhythmen überleitet. Getragen wird das Stück von den melancholischen Moll-Harmonien.

Dann ein regelrechter Hit, das eingängige „Eternal“ lebt von seinen satten Riffs und dem bedrohlich wirkenden, symphonischen Keyboardmotiv, das im Mittelpunkt steht. Hier wurden PARADISE LOST vermutlich von der „The Reptile House E.P.“ von THE SISTERS OF MERCY inspiriert. „Falling Forever“ ist dagegen ein durchschnittlicher, sägender Stampfer. Demgegenüber zeigt „Angel Tears“ mit stark verhallten Leads harmonisches Feingefühl. „Silent“ ist geprägt von klassischen Doom-Riffs, tristen Melodien und enthält den ersten gesprochenen Part von Holmes. Bei „The Painless“ sind es wieder die melancholischen Leads und ein überragendes melodisches Break nach ca. anderthalb Minuten sowie das bittere Duett zwischen Marrion und Holmes, die das Stück zu etwas Besonderem machen und für Atmosphäre sorgen. Das Stück überzeugt derart, dass sich der Fanclub von PARADISE LOST danach benennt. Das Finale bildet das instrumentale, orchestrale Outro „Desolate“.

Einordnung von „Gothic“

Der Schwerpunkt des Albums liegt klar auf den intensiven, melancholischen Lead-Melodien von Mackintosh. Der schöne Gastgesang von Sarah und die Keyboards bringen zusätzliche melodische Aspekte und stellen einen neuen Ansatz im extremen Metal dar. PARADISE LOST erreichen mit dem innovativen, originellen und stilprägenden „Gothic“ eine neue Stufe der Vielfalt, Melodie, vertonter Melancholie und einnehmender Atmosphäre und verändern damit den Metal für immer. Das Album ist ein Referenzwerk, auf das sich viele nachfolgende Bands berufen. In ihrer eigenen Diskografie, die oftmals durch steten Wandel geprägt ist, bildet „Gothic“ das Bindeglied zwischen den Wurzeln im Death Metal und der in Folge deutlich melodischeren Ausrichtung von PARADISE LOST. So ganz lässt die düsteren Briten ihre Todesblei-Vergangenheit zunächst nicht los. Der Nachfolger „Shades Of God“ sollte da noch was bieten, aber die Geschichte erzählen wir ein anderes Mal.

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31.01.2024

Geschäftsführender Redakteur (stellv. Redaktionsleitung, News-Planung)

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5 Kommentare zu Paradise Lost - Gothic

  1. Lysolium 68 sagt:

    Werde ich immer in Ehren halten! Dieses album und das folgende haben alles weshalb ich Paradise Lost über alles liebe. Amen!!!

    10/10
  2. noehli69 sagt:

    Heute wie damals zum Niederknien.
    Ich geh noch’n Schritt weiter als der Kollege vor mir und leg noch zwei weitere Alben obendrauf. Die 4 Scheiben laufen seit 3 Dekaden regelmäßig, klar die Hochphase der Band.

    10/10
  3. Pumpkineater sagt:

    Unglaublich charismatisches Album. Habe es zwar länger nicht mehr gehört, aber der Track „Silent“ ist auch heute noch in vielen meiner Playlists. PL forever!

    9/10
  4. imwald sagt:

    gehört definitv zu meinen Lieblingsalben im Gothik Metal, My Dying Bride – Symphonaire Infernus et Spera Empyrium und Type o Negativ´s Bloody Kisses stehen aber auf der selben Stufe

    10/10
  5. marcmorgenstern sagt:

    Paradise Lost habe ich mit der „Shades Of God“ kennen – und lieben – gelernt. „Gothic“ also erst im Anschluss und insbesondere „Eternal“ und der Titeltrack lief in der Dauerschleife. 🙂 Schönes Review, ich glaube ich lege die Scheibe demnächst wieder mal auf. 🙂

    9/10