Schon bei der Zusammenstellung des Soundchecks meinte ein Kollege von mir, dass PAINKILLER PARTY es anscheinend ganz besonders auf den letzten Platz abgesehen haben. So ist die rote Laterne mit einem deutlichen Rückstand von 1,5 Punkten auf den vorletzten Platz auch nicht überraschend. Das liegt nicht natürlich daran, dass Deathcore mit billigen Synthesizern und der Attitüde von betrunkenen Festivalbesucher:innen nicht für unser Soundcheck-Team geschrieben wird, welches überwiegend aus Musikkritiker:innen besteht, von denen sich die meisten auf klassischen Heavy Metal oder Black Metal spezialisiert haben. Auch ich gehöre zu ihnen und konnte mir absolut nicht vorstellen, an wen sich diese Musik richten soll. Deswegen gehe ich dieser Frage nach.
Berauschte Besucher:innen von mittelgroßen bis großen Metal-Festivals: Die Anforderungen an die Musik für diese Zielgruppe bewegen sich in einer beeindruckenden Ambivalenz zwischen einer weitesgehenden Egalität des künstlerischen Anspruchs und einem engen Korsett der kompositorischen Ausgestaltung: Mitsingbare Refrains mit Ohwurm-Qualitäten sind hier das wichtigste Kriterium. Dem stehen aber die kompetenten Growls von Jenny Schulz und die vollkomene Vernachlässigung der Eingängigkeit im Weg.
Aber zumindest aufgrund ihres visuellen Konzepts dürften diese Zielgruppe der Band sympathisierend gegenüberstehen: So sind auf dem Cover Penisse und Einhörner zu sehen, die inzwischen auf dem Campground jeden größeren Festivals gehören. Dazu Humor, der von der Tabuisierung des Geschlechtsverkehrs lebt.
ESKIMO-CALLBOY-Fans: Das Trancecore-Sixtett gehört in Deutschland zu den bekanntesten Mischern von Metal und Electro. Dabei geht letzteres über billige Synthesizer hinaus und orientiert sich an zeitgenössischer Clubmusik. Dies fügen sie zu einem wesentlich harmonischeren Gesamtsound und stimmigeren Songs als die Mindener:innen zusammen, deren Stil sehr unausgegoren ist: Monotoner, beliebiger Metalcore werden mit schrillen Synthies versehen, die weder ästhetisch als auch funktional eine Wirkung entfalten.
Porngrind-Hörer:innen: Ein wichtiges lyrisches Thema stellt der Geschlechtsverkehr dar und auch der harte Sound mit runtergestimmten Gitarren und Growls lassen Ähnlichkeiten vermuten. Doch bei einem genaueren Blick fallen die Unterschiede schnell auf: Die Songs sind weder schnell noch kurz noch brutal. Auch textlich ist die Herangehensweise eine ganz andere: Im Gegensatz zum Porngrind wird nie die Grenze der handelsüblichen Hardcore-Pornografie gen Fäkalismus oder zu einer lächerlichen Gewaltdarstellung überschritten. Auch fehlt hier jeder Sprachwitz. Die Pointe ist nie mehr als die Nennung des Geschlechtsverkehrs.
Wenn diese Gruppen aber ausfallen, wer könnten denn noch in Frage kommen? Nun, die Band hat ihre Ansicht dazu sehr deutlich im Rausschmeißer ‚We’re Still Fucking True‘ formuliert:
And this is still what we do
That‘s why we‘re still fucking true
We don‘t make music just to please you
So we don‘t give a fuck about you
That‘s why we‘re still fucking true
Diese Zeilen lassen das Album für mich in einem neuen Licht erscheinen. Nachdem ich zuvor der Ansicht war, dass dieses Album völlig überflüssig ist, werde ich diese Scheibe im missionarischen Eifer allen Bekannten von mir aufschwatzen. Denn „It’s Never Too Late To Have A Happy Childhood“ ist der ultimative Beweis dafür, dass der Wert Authenzität seine positive Konnontation gar nicht verdient hat. Und somit haben die Mindener:innen doch einen wertvollen Dienst an der Szene geleistet.
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