P.H.O.B.O.S. - Anoedipal

Review

Ein kranker Kopf schlägt wieder zu. Frederic Sacri hat ein eigenes Label, seine Band ist nur Er allein, ein Kontrollfreak, ein Genie. Wer den Vorgänger “Tectonics“ kennt und liebt, kommt um die Anschaffung des neuen Werkes nicht herum, soviel gleich vorweg. Für die, die noch nie etwas von P.H.O.B.O.S. gehört haben, sei dies gesagt: der Genuss dieser Scheibe kann zu ernsthaften psychischen sowie körperlichen Symptomen führen, angefangen bei Angstschweißbildung, apathisch-klonischem Kopfnicken, Bewusstseinserweiterung, Tunnelblick, bis hin zur absoluten Sucht. Oder für die andere Fraktion: Ohrensausen, Ausschlag, Hass, destruktive Wutausbrüche bis hin zum gewaltsamen Entfernen der CD aus der Anlage.

Daher ist dieses Album in zwei Worten zu beschreiben: “extrem“ und “unkonventionell“. Auch die Kombination beider Wörter, in beliebiger Reihenfolge, lässt sich anwenden. Es walzen sich dermaßen dichte, stinklangsame Lärm/Klangmassen durch die Gehörgänge, dass man das Gefühl bekommt, soeben habe man sämtliche Gesteinsschichten der Erde in geschmolzenem Zustand inhaliert und in seiner Lunge wieder in den Ursprungszustand verwandelt. Erdrückend, urgewaltig und absolut zerstörerisch. Eine bloße Kopie des Vorgängers ist “Anoedipal“ aber auf keinen Fall. Die Weiterentwicklung ist enorm: die Produktion ist um ein ganzes Stück klarer, sprich: druckvoller, die ausufernd-wabernden Soundteppiche beginnen von Anfang an, nicht erst ab der Mitte des Albums und im Songwriting kann man einen noch deutlicheren Hang zur Monotonie finden bei gleichzeitiger Verbesserung der Eingängigkeit. Klingt jetzt alles haarsträubend paradox? Reinhören, dann nochmal urteilen!

“Anoedipal“ – Titel und Untertitel von Album und Songs verwenden Begriffe der Psychologie, thematisch steht auch eben dieser Konflikt der ödipalen Phase im Vordergrund: das sich-hingezogen-fühlen zum andersgeschlechtlichem Elternteil bei gleichzeitigem Betrachten des gleichgeschlechtlichem Elternteils als Rivalen/Rivalin im Alter von etwa 4-7 Jahren ist ein Konflikt, der aufgelöst werden muss, damit sich der Mensch normal entwickelt. Bei Nichtauflösung entstehen unter anderem hysterische Charakterzüge, neben Sexualstörungen oder weiteren Abweichungen (Psychologie-Profis dürfen gerne noch zusätzliche Symptome anführen). Hysterisch ist der Gesang des Frederic Sacri auf jeden Fall, auch wenn er mit nichts Bekanntem zu vergleichen ist. Giftig, dominant, sadistisch – die drei Worte beschreiben die Stimme noch am ehesten, man darf trotzdem kein Black Metal-Gekeife erwarten. Das Artwork des exklusiv gestalteten, hochformatigem Digipacks ist auf subtile, verstörende Art sexueller Natur – im Inneren des großformatigen Booklets wird auf vielerlei Arten Ablehnung und Faszination gleichzeitig provoziert, ohne plakative oder plumpe Darstellungen. Das so oft beschworene Gesamtbild von Ton, Bild und Text ergibt in diesem Fall wirklich ein Kunstwerk sehr spezieller Natur.

Die einen werden dieses Werk als Lärm, Schrott, sinnlose Aneinanderreihung seltsamer Geräusche in viel zu hoher Lautstärke abtun, aber für die Freunde des Genres ist dieser abstoßend hässliche Klumpen Kunst die Offenbarung in Sachen Doom/Drone. Vergleichbare Bands? Nun, da fallen mir ernsthaft keine ein. Vielleicht noch SUNN O))), zumindest vom Schwärzegrad her, aber glaubt mir, wenn ich euch sage, dass das, was hier zelebriert wird, in dieser Form absolut einzigartig ist!
Trotzdem sehe ich da immer noch Luft nach oben bei Frederic Sacri, weshalb die Höchstnote noch nicht ganz gerechtfertigt ist. In ein paar Jahren wissen wir mehr!

22.11.2008
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