Ordo Draconis - Camera Obscura Part 1: The Star Chamber Reviews

Review

Ein Mammutprojekt erfordert wohl offensichtlich auch ein Mammutreview – zumindest vom Aufwand her, sich mit dem Stoff auseinander zu setzen. Was ORDO DRACONIS mit ihrem zweiten (und dritten?!) Album „Camera Obscura“ aufbieten ist dermaßen ambitioniert, vielschichtig und tiefreichend, dass einem vielleicht schon als Konsument, spätestens aber als Musikjournalist die Muffe geht, ob man diesem Giganten gewachsen ist. Die Ambition beginnt beim Line-Up, das vom holländischen Kern der Band über Sänger Tyrann (von den Luxemburgern VINDSVAL) und den österreichischen Drummer Moritz Neuner, der aktuell mit Bands wie LEAVES‘ EYES oder ATROCITY unterwegs ist bis zu einer illustren Gästeschar reicht, die allerdings namentlich nicht immer genannt sein möchte. Das deutet bereits auf Großes hin und bestätigt sich, wenn man den ersten Teil des Albums, „The Star Chamber Reviews“, in den Player bugsiert. Hier beginnt das „Project: Eject!“ mit dem unglaublich schrägen Intro „Espionage“, das eine Art Freejazz mit Duett- und Chorgesängen darstellt, die allerdings zur Genüge mit Vocodern und sonstigen Effekten angereichert sind. Übersteht man diese ersten drei Minuten, geht es mit „Mock Trial“ weiter, dessen verspieltes Black-Metal-Gemisch denjenigen bekannt vorkommen könnte, die sich noch an die früheren Werke „The Wing and the Burden“ und „In Speculis Noctis“ erinnern können. In eine ähnliche Kerbe schlagen auch „Writhing Tongue“ und das zehnminütige „Neuron Gutter, Neutron Star“: vertrackte Drumpatterns, donnernde Rhythmusgitarre, verspielte Leadmelodien, Synthesizer und Chöre en masse, dass man nicht weiß wo man zuerst hinhören soll. Hat man sich an den einen Part gewöhnt, folgt schon der nächste und wirft die Stimmung vollkommen um. Auch Elektroparts, wunderschöne verträumte Akutikpassagen, schwelgende Soli oder A-capella-Gesangsparts sind kein Tabu und werden fließend in die größtenteils sehr langen Stücke eingearbeitet. Als wäre all das noch nicht genug, haben ORDO DRACONIS mit ihrem congenialen Produzenten Patrick Damiani, der unter anderem auch solche Kaliber wie FALKENBACH und SECRETS OF THE MOON unter seinen Fittichen hat, exzessiven Gebrauch von ungefähr siebenundvierzig Milliarden Samples, meisterhaften Effektdetails (fantastisch: Rückspuleffekt in „Neuron Gutter, Neutron Star“) und vor allem Gesangsstilen gemacht. Neben der sehr durchsetzungsfähigen, fiesen Kreischstimme Tyranns haben auch alle anderen Mitglieder ihr Scherflein zur Vokalvielfalt beigetragen und sorgen trotzdem für etwas, das man einer so extremen Avantgarde-Musik gar nicht zutrauen würde: Fluss. Unfassbar, aber nach dem zweiten, dritten Hördurchgang bleiben die Stücke hängen, fügen sich zu einem wirklichen Album zusammen und wirken kein bisschen zerstückelt oder überzüchtet. Diesen Effekt kann man neben der Produktionsmeisterleistung und den sehr stimmungsvollen Bindegliedern „[Vesper X]“ (gregorianisch arrangierte Chöre mit Streichquartettunterstützung), „[Angeldust]“ (Elektrostück mit elegischer Sphärenwirkung und damit das, was so viele reine Elektrobands immer wollten…) und „[Debris]“, ein bedrohliches, tiefergestimmtes Horrorfilmambiente – und vor allem der visionären Kompositionsfähigkeit der Band zurechnen, die meines Wissens nach im Dunstkreis der Metalszene, sogar unter Einbeziehung von ARCTURUS und EPHEL DUATH, absolut einmalig ist. Es gibt vielleicht Bands, die in vier Jahren ein vierzigminütiges Album ähnlichen Kalibers hervorbringen könnten – aber ORDO DRACONIS haben immerhin ganze zwei CDs zur selben Zeit veröffentlicht. Schauen wir doch mal weiter, was das andere Album an Überraschungen bereit hält. Da werde ich dann auch noch einige Sätze zu den beachtenswerten Texten und den Layouts der Scheiben verlieren.

22.09.2005

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