14 Jahre nach der Bandgründung erst mit dem zweiten Album voller Länge aufzuwarten: Das zeugt entweder von widrigen Umständen oder großen Ambitionen. Nach Genuss von „Tourments et Perdition“ vermutet man eher Letzteres.
Mit Vergleichen tut man sich bei ORAKLE nicht schwer, obwohl keiner von ihnen so richtig zutreffen mag. Im Vergleich zu ARCTURUS fehlt ihnen die ganz große orchestrale Geste, bei EMPEROR ist es die entfesselte Raserei und bei den Landsmännern LA RUMEUR DES CHAÎNES der unbändige Wille zum Experiment. Überhaupt suchen ORAKLE weniger die Extreme als vielmehr ein ausgewogenes Mittelmaß. Das klingt kompromissbereiter, als es in Wahrheit ist und tatsächlich findet sich der Black Metal, unter dessen Etikette „Tourments et Perdition“ bereitwillig vermarktet wird, nur noch rudimentär wieder und wurde stattdessen in ein lose progressives Gewand gekleidet. Das macht die Franzosen mainstreamtauglicher, bescheinigt ihnen, die sie beispielsweise auch schon BURZUMs „A Lost Forgotten Sad Spirit“ Tribut gezollt haben, aber auch mehr Willen zum Abweichen, als das vom Standpunkt normalen Progressive Metals aus zu vermuten wäre. Exotische Melodien, sanfte Rhythmen, theatralische Anflüge in Klargesang und verzweifeltem Geschrei, Zwischenspiele, hintergründige Keyboardkaskaden und allgegenwärtig die französische Sprache, in die man durchweg kleine Gedichte verpackt hat, machen das Album sehr facettenreich. Das Ambiente ist trotzdem wie aus einem Guss und verliert sich fast beängstigend sicher in leiser Melancholie und verzweifelter Tragik.
Dass die Band in ihren Grundzügen seit Mitte der Neunziger besteht, merkt man dem Trupp jederzeit an, obwohl das allein natürlich noch kein Qualitätsgarant wäre. ORAKLE lassen sich zwischen den durchkomponierten Strängen von „Tourments et Perdition“ genug Freiraum, um mit viel Spontaneität genügend Abstand zu den allzu schematisch berechneten Strukturen zu wahren, die melodischen Black Metal so häufig verunzieren.
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