Kaum eine Band wird im Internet so sehr mit Dreck beworfen wie OPETH. Nachdem sich die Schweden nach „Watershed“ vom Metal abwandten um sich ganz den Freuden des Retro-Progs zu widmen, reagierte die Mehrheit der Fans wie ein Haufen jammernder Babys. Die darauffolgen Alben wurden noch nicht mal wirklich angehört, sondern einzig und alleine auf der Grundlage verrissen, dass sie keine Growls mehr beinhalteten. Warum ein Album Growls haben muss um als „gut“ zu gelten, wird wohl Geheimnis der Trolle bleiben – aber hey. Es ist von daher also kein Wunder, dass viele die Band gar nicht mehr auf dem Schirm hatten. Dies änderte sich mit „§1“ über Nacht. Der erste Vorbote von „The Last Will And Testament“ stellt nämlich den ersten Song mit Death Growls dar, den OPETH seit 16 Jahren veröffentlicht hatten. Das Internet explodierte, die Kommentarsektionen brannten durch und die Spekulationen begannen. Würde „§1“ der einzige Song in dieser Richtung bleiben? Oder würde die Band endlich wieder Todesblei spielen?
Der Wille von OPETH?
Um die letzte Frage zu beantworten: Ja. „The Last Will And Testament“ mach SOFORT klar, dass es ein Death Metal Album und sonst nichts anderes ist. Das Mobbing im Internet hat funktioniert und die Neckbeards dieser Welt haben ihr Happy Meal bekommen. Nicht nur das, sondern OPETH haben eine ihrer fiesesten, düstersten und garstigsten Platten überhaupt veröffentlicht. Das Album wirkt so, als hätte man die Fans von „Ghost Reveries“ danach befragt, was sie an den Alben nach „Watershed“ gestört hat und dies dann ohne Rücksicht auf Verluste umgesetzt. Clean Vocals und Prog sind hier nur Beiwerk um den Death Metal im Kontrast noch brutaler und vernichtender wirken zu lassen. Für die Freunde der alten OPETH wird dies alleine Grund genug sein, diese Review nicht weiter zu lesen und sofort einen neuen Tab mit Amazon zu öffnen – doch das Album lässt sich ja auch weiter unten per Linkklick bestellen.
Unsere Leser, mögen diese Review nun antiklimaktisch finden, doch um die Scheibe genauer unter die Lupe zu nehmen, gilt es erst mal das Offensichtlichste zu benennen. Die Neuigkeit darüber, dass JETHRO TULL Mastermind IAN ANDERSON auf dem neuen Album gastieren würde, löste bei den meisten nämlich nur Enttäuschung und Achselzucken aus. Dies würde ja eigentlich bedeuten, dass die Band weiterhin den 70er-Jahre Kurs der letzten Alben durchziehen würde, oder? Pustekuchen! Brutale Gitarrenwände welche von bedrohlich klingenden Hammondorgeln und Keyboards umrahmt werden, dominieren auf „The Last Will And Testament“. Der OPETH-typische „hinterhältige“ und „betrügerisch“ wirkende Vibe zeichnet eine pechschwarze und zynische Atmosphäre, die gut zu einem Agatha Christie-Roman mit vielen Plot-Twists passt. Die cinematischen Streicherarrangements von EGG/KHAN-Mastermind Dave Stewart sorgen zudem für einzelne Momente der Majestät. Das Gastspiel von IAN ANDERSON beschränkt sich auf gelegentliche Einsprengsel und die Rolle als Erzähler.
Das schwere Erbe des Mikael Åkerfeldt
Der durchschnittliche Fan von OPETH, hatte nie die Kultiviertheit und den Geschmack, den Songwriter und Mastermind Mikael Åkerfeldt von Anfang an mitgebracht hat. Besonders der amerikanische Konsument hat ungefähr so viel Ahnung von 70er-Prog, wie ein Ochse vom Klavierspielen. Da Roadrunner Records die Band in den 2000ern im Zuge der Metalcore-Welle groß rausgebracht hat, entwickelte sich jenseits des großen Teichs eine schrecklich dämliche Erwartungshaltung, die die weitere Karriere der Schweden maßgeblich beeinträchtigt hat. „Ihr müsst mir meinen High-Gain Metal mit Growls + Clean Vocals liefern, sonst ist das Verkaufsprodukt nicht für mein persönliches Konsumverhalten geeignet.“ Dieser Satz fasst die Perspektive der meisten „Fans“ wohl ziemlich gut zusammen. Die Mentalität, Künstler als Dienstleister à la Klempner, Mechaniker oder Supermarktkassierer einzustufen, ist konträr zu jeder genuin kreativen Tätigkeit.
Deswegen ist es formidabel, dass es die Schweden trotzdem geschafft haben, ein künstlerisch wertvolles Werk hervorzubringen. Der Spagat zwischen Fanbedienung und einem verkopften Konzeptalbum, ist vollends gelungen. Besonders „§4“ schafft es, alles zu liefern, was Fans von OPETH wollen und erfindet das Rad dabei trotzdem irgendwie neu. Growls und Riffing holen alte Fans ab, während Songstruktur und Flötensound von IAN ANDERSON (inklusive hörbaren Zungenschlag), Prog-Rentner beglücken. Freunde schnellerer Kost können sich hingegen über „§6“ freuen, welches mit RAINBOW-Gedächtnis Soli auf Keyboard und Gitarre ausgestattet ist. Paragrafen anstatt Songtitel? Haben die Schweden nun etwa ihre Fanbase verklagt? Die meisten von uns bekommen bei Paragrafen nämlich direkt Lust, sich vor die U-Bahn zu schmeißen. Nun, ganz so schlimm ist es nicht. Jeder Song, stellt nämlich den Teil eines Testaments dar, welches ein verstorbener Familienvater erlassen hat. Die nach Kohle geifernde Familie bekommt den letzten Willen des Patriachen Stück für Stück offenbart und hält dabei Messer und Gift im Anschlag. Lieblich.
Im Testament bedacht?
In den 90ern redete man von „Ausverkauf“ wenn eine Band begann, weniger harte Musik zu machen und professioneller zu werden. Bei OPETH ist es ein wenig anders. Der klassische Sound der Band ist der, der von den Massen eingefordert und vehement verteidigt wird. Der „Ausverkauf“ liegt also darin, den Wünschen der Fanbase nachzugeben. Prog-Kollege Devin Townsend hat es am besten erklärt. Er meinte ein Mal, dass Metal machen, so wie eine Pornokarriere ist. Jeder Versuch einer Rehabilitation wird von der Gesellschaft nicht akzeptiert. Auf den ersten Blick kommt „The Last Will And Testament“ also so ähnlich rüber, als würde sich Mia Khalifa noch einmal dazu entschließen ihrem alten Job nachzugehen. Auf den zweiten Blick finden wir hier ein vorausschauendes Konzeptalbum, welches die alten OPETH-Elemente benötigt, um die Story zu erzählen, die es erzählt. Letztlich ist es aber egal, aus welchem Blickwinkel man es betrachtet.
Die Qualität ist einfach viel zu hoch, als dass man weniger als 8 Punkte vergeben könnte.
Mir gefiel an Opeth immer die Vielseitigkeit; das Wechselspiel zwischen leise und laut; der Kontrast zwischen warmen Melodien und hartem Death Metal. Und genau diese Vielseitigkeit ging halt verloren, als sie nur noch reinen, an die 70er Jahre angelegten Prog-Rock spielten. Das waren immer noch richtig gute Alben, aber irgendwann ging meine Begeisterung verloren. Von daher bin ich sehr gespannt, ob die alte Faszination jetzt wieder aufblühen kann.
Der Review macht jedenfalls neugierig, reitet aber auch ein bisschen zu sehr auf „sich beklagenden Fans“ herum. Das 1x zu erwähnen hätte wohl gereicht.
Freu‘ mich schon wie Bolle, zusammen mit der neuen Panzerfaust! 🤩