Opeth - Damnation

Review

Es ist einer dieser Tage. Meine Glieder tragen mich nur widerwillig durch den grauen Vormittagsregen, der in langen Fäden aus den Wolken herabhängt und auf die Lider drückt. Trüber Herbsttag mitten im Mai. Der kühle Wind durchzittert die gerade ergrünte Straßenbirke, im nassen Grau des Asphalts spiegelt sich der Tag. Und auf einmal werde ich dieses sanften Liedes gewahr, das wohl schon seit ich losging meine Gedanken färbte. Opeth, Damnation. So wie solche Tage in den Frühling wehen, halten Veröffentlichungen wie Damnation zwischen all den euphorischen Frühlingsgefühlen inne und würdigen die milde Melancholie ihres verregneten Abbilds. – Schon immer waren Opeth Meister des Kontrasts, doch stellten sie bislang stets beide Seiten dar. Doch Damnation ist nicht, wie man meinen könnte, was übrig bleibt, wenn Opeth jegliche Aggression ausklammern; das waren „Patterns In The Ivy II“ und das atemberaubende „Still Day Beneath The Sun“. Dieses Werk sammelt sich vollständig auf der gedankenversunkenen Seite und lebt die neugewonnene Ruhe in vollen Zügen und facettenreicher denn je, endlich einmal ohne sich der anspannenden Erwartung bis zur nächsten Eruption aussetzen zu müssen. Dabei wohnt dem Album eine Atmosphäre inne, die sich diesem englisch-diesigen Klima PORCUPINE TREEs bis auf wenige Meter nähert – und doch erheblich vereinsamter spricht. Vor allem die märchenhaft einnehmende Solo-Gitarre Åkerfeldts führt in jedem einzelnen Kapitel liebevoll über menschenleere Melodie-Stiegen („Ending Credits“, „Windowpane“) und vorbei an unwirklichen Piano-Klängen. Und auf einmal bieten vorsichtig Synthesizer und Hammondorgel den akustischen Gitarren sachtes Geleit, grenzenlos der sanften Melancholie dienend in „In My Time Of Need“ oder dem märchenhaften „To Rid The Disease“. Åkerfeldts Stimme weckt mild die verweinten Augen, steigt mit zauberhafter Behutsamkeit durch die traurigen Harmonien, oft nebelhaft verschleiert durch einen hier endlich heilsam eingebrachten Filter-Effekt. Dazu setzen die Drums zumeist leise, gefühlvolle, nicht selten auch überraschende Akzente, umrahmen die einzelnen Gemälde zu jeder Zeit perfekt und ohne Machtstreben. – Damnation ertastet die Schönheit des Alltags wie eine entfernte Erinnerung, die sich aber nur selten – wie in „Weakness“ – in tieftraurige Isolation zurückzieht. Hat man sich einmal von dem freigemacht, wofür der Begriff Opeth einstmals stand, und gesteht man Damnation jene nicht unbedeutende Zündungsdauer zu, beginnt jene wärmende Erkenntnis zu reifen: Opeth haben die erschreckende Stagnation der vergangenen Jahre seit Still Life mit diesem Ausbrechen aus selbstfesselnden Konventionen auf leisen Sohlen überwunden und mit diesem Album ihr Bestreben nach musikalischer Zufriedenheit in ein überwältigendes und dennoch leises Monument umgesetzt.

13.05.2003
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