Alles ist neu im Hause OBSCURA. Zum ersten Mal seit dem Durchbruchs-Album “Cosmogenesis” von 2009 nahmen die Tech-Deather nicht bei Bandkumpel V. Santura (DARK FORTRESS, TRIPTYKON) im Woodshed-Studio zu Landshut auf, sondern bei Frederik Nordström im Studio Fredman. Zum ersten Mal erscheint ein OBSCURA-Album nicht bei Relapse, sondern bei Nuclear Blast und auch auf visueller Ebene hat sich die Band verändert. Nachdem vier Alben (plus Re-Releases und Compilations) vom US-Designer Orion Landau vorwiegend digital gestaltet wurden, sorgte im Falle von “A Valediction” der derzeit schwer angesagte (und sehr fähige) israelische Künstler Eliran Kantor (u. a. HELLOWEEN, ATHEIST, HEAVEN SHALL BURN) für ein Ölgemälde in warmen Farben.
“A Valediction” – Bewährtes trifft auf Neuausrichtung
Am wichtigsten dürfte den meisten Fans die Rückkehr von Christian Münzner (ETERNITY’S END, ALKALOID, ex-NECROPHAGIST, Gitarre) und Jeroen Paul Thesseling (ex-PESTILENCE, Bass) sein, die mit ihrer starken musikalischen Identität beide zu den OBSCURA-Alben “Cosmogenesis” und “Omnivium” (2011) beigetragen haben. Nachdem sich der Opener “Forsaken” traditionell zunächst sehr episch gibt, dauert es kaum drei Sekunden, bis der einzigartige Basssound von Thesseling wiedererkannt werden kann. Keine halbe Minute später shreddet auch Münzner sämtliche vorhandenen Körperöffnungen in den offenen Zustand und es besteht kein Zweifel daran, dass OBSCURA alle Stärken, die sie schon immer auszeichneten, auch auf ihr neues Album bannen konnten.
Dabei fällt die Fredman-Produktion sofort positiv ins Gewicht. So organisch und leichtfüßig klangen OBSCURA zum letzten Mal auf “Akróasis”. Im Vergleich zu den letzten Produktionen hat “A Valediction” nur wesentlich mehr Luft zum Atmen und ist zumeist auf eher straighte Band-Arrangements ohne ein Übermaß an Overdubs ausgelegt. Mit dem furiosen Eröffnungstriple, das aus dem erwähnten Opener, dem bereits veröffentlichten “Solaris” und dem Titelsong besteht, machen OBSCURA keine Gefangenen und demonstrieren ihre Rückkehr eindrucksvoll. Viele Vibes erinnern an “Cosmogenesis”, doch ist das Songwriting inzwischen ausgereifter und facettenreicher.
OBSCURA immer noch zu Überraschungen fähig
Selbst innerhalb ihres ureigenen Sounds haben OBSCURA die Grenzen des Machbaren im Technical/Progressive Death Metal noch lange nicht erreicht. Im folgenden “When Stars Collide” glänzt die bayerisch-niederländisch-österreichische Freundschaft mit der eingängigsten Hookline ihrer Karriere, die stimmig von SOILWORK-/THE-NIGHT-FLIGHT-ORCHESTRA-Sänger Björn “Speed” Strid vorgetragen wird. “Devoured Usurper” hingegen beginnt als schleppender Slo-Mo-Groover, der in astreines Frühneunziger-Worshipping inklusive rotzigem D-Beat umschlägt. “The Beyond” und “The Neuromancer” wiederum spielen sogar das ohnehin techniklastige, vergangene Album “Diluvium” an die Wand. Das abermals episch abschließende Doppel “In Adversity” und “Heritage” weist wiederum mit interessanten Arrangements mögliche Wege für künftige Großtaten.
Über die technischen Fähigkeiten muss bei OBSCURA natürlich nicht viel gesagt werden. Neuzugang David Diepold (Drums) vereint die Stärken seiner Vorgänger Hannes Grossmann und Sebastian Lanser offensichtlich mit Leichtigkeit und addiert ihnen einen eigenständigen Groove hinzu. Es fällt auf, dass die atemberaubenden Gitarrenduelle ein neues Maß an Finesse erreicht haben. Was OBSCURA von den meisten anderen Bands im Genre abhebt, ist das Gespür für nachvollziehbares und verblüffend eingängiges Songwriting. Gleichwohl die Vier auf einem Album mehr Noten spielen als die meisten Bands in ihrer gesamten Karriere, gibt es immer wieder Parts, die zum Heben der Faust und gepflegtem Ausrasten im Konzertsaal einladen.
“A Valediction” ist ein Neubeginn in Würde
Zum Glück müssen wir den Titel “A Valediction” (“Ein Abschied”) nicht wörtlich nehmen. Dem sechsten Album OBSCURAs liegt ein loses Konzept über verschiedene Arten des Abschieds zugrunde. Auch hier zeigt sich die Band zur Veränderung bereit und stellt die nerdigen Wissenschaftskonzepte zugunsten persönlicher philosophischer Reflexionen hintenan. Gleichzeitig ist es der Auftakt einer neuen Serie von Konzeptalben. Die Kreativität scheint der Band so bald jedenfalls nicht auszugehen, was ihren Aufstieg zu einer der wichtigsten zeitgenössischen Extrem-Metal-Bands nur beschleunigen dürfte. Ihre einzige Konkurrenz stellt die Band dabei möglicherweise selbst dar: Ob man nun eine der vorigen Platten oder “A Valediction” am meisten schätzt, ist bei solch einer Menge an hochwertiger Musik einfach höllisch schwer zu beurteilen.
Sänger und Gitarrist Steffen Kummerer hat übrigens mit der Melodic-Black/Death-Metal-Band THULCANDRA gerade auch ein starkes neues Album namens “A Dying Wish” in der Pipeline, während Christian Münzner mit den Power Metallern ETERNITY’S END (inkl. zwei ehemaligen OBSCURA-Mitgliedern) auf dem aktuellen Album “Embers Of War” eine weitere Facette seines Songwritings zeigt.
Die bist dato mMn beste Obscura Platte, weil weniger verkopft, relativ straight arrangiert und maximal song-orientiert. Dazu würde der bekannte Sound um tonnenweise NWoSDM Huldigungen erweitert, sei es das Intro Riff von „When Worlds Collide“ (vgl. Gates of Ishtar „Wounds“), das ATG Riffing in Solaris, die zahlreichen Dualleads, oder die Tatsache, dass Kummerer seine Stimme in alter Tomppa-Manier unkontrolliert ausbrechen lässt. Gewürzt wird das ganze von Münzners fast schon neoklassichen Soli, Thesslings waberndem Fretless (der leider manchmal etwas untergeht) und einem David Diepold, der vllt nicht unbedingt den Groove hat, aber dafür eine technische Akkuratesse und Präzision, die der Musik genau das gibt, was sie braucht. Besser kann man die Welten von Necrophagist und Spawn of Possession und der Göteborger Schule nicht verschmelzen lassen und dafür empfinde ich nichts als Liebe.