Oblivion Protocol - The Fall Of The Shires

Review

Auf den ersten Blick könnte man OBLIVION PROTOCOL für ein weiteres Prog-Metal-Supergroup-Projekt halten, in dem sich vier Musiker abseits ihrer namhaften Hauptarbeitgeber gemeinsam austoben wollen. Tatsächlich handelt es sich aber vielmehr um das Herzblutprojekt von Keyboarder Richard West, der mit „The Fall Of The Shires“ jene Fortsetzung des 2017er „Legends Of The Shires“-Konzeptalbums abliefert, auf die seine THRESHOLD-Kollegen keine Lust hatten. Bei den „drei guten Freunden“, die West daraufhin als Kollaborateure auswählte, handelt es sich um Gitarrist Ruud Jolie (WITHIN TEMPTATION), Bassist Simon Andersson (DARKWATER) und Drummer Darby Todd (DEVIN TOWNSEND), somit das Supergroup-Kriterium letztlich also dennoch erfüllt wäre.

OBLIVION PROTOCOL entwickeln die „Legends Of The Shires“-Motive weiter

Böses Blut zwischen Richard West und seinen THRESHOLD-Kollegen gibt es offensichtlich nicht, schließlich unterstützt deren Gitarrist und Bandgründer Karl Groom OBLIVION PROTOCOL auf „The Fall Of The Shires“ durch das Beisteuern mehrerer Gitarrensoli. Auch ohne diese Querverbindung sind die THRESHOLD-Parallelen indes unüberhörbar. Wests unverkennbares Gespür für vollkommen kitschbefreite Zaubermelodien dominiert eine Scheibe, deren ausgewogener Sound weniger auf aggressive Gitarren-Breitseiten als auf atmosphärische Keyboardteppiche setzt. Dabei ist es dem Tastenmagier hoch anzurechnen, dass er bewusst auf das Albumformat setzt und einen in sich geschlossenen Liedzyklus abliefert, dessen einzelne Stücke erst im Zusammenspiel die volle Klangwirkung entfalten.

Als Fortsetzung der „Legends Of The Shires“-Konzeptgeschichte sind die musikalischen wie lyrischen Parallelen natürlich unverkennbar. Daraus machen OBLIVION PROTOCOL keinen Hehl und entwickeln die bekannten Motive konsequent weiter. Den Gesang übernimmt Richard West der Einfachheit halber selbst und erreicht dabei zwar nicht ganz die Klasse seines THRESHOLD-Counterparts Glynn Morgan, punktet aber mit ordentlich Charisma und einer omnipräsenten Melancholie. Passend zur tieferen Stimmlage setzen OBLIVION PROTOCOL verstärkt auf tiefergestimmte Gitarren und Bässe, was den Eindruck der in luftigen Höhen schwebenden Keyboard-Virtuositäten noch unterstreicht.

Das Konzept-Gesamtwerk weckt herbstliche Gefühle

So stark „The Fall Of The Shires“ als Konzept-Gesamtwerk wirkt, so schwer haben es die Stücke hingegen auf sich alleine gestellt. Lediglich „This Is Not A Test“ verströmt ein hinreichend eigenständiges Hit-Potential, um auch als Einzelstück zu funktionieren, die übrigen Tracks bauen so stark auf einander und dem gemeinsamen Spannungsbogen auf, dass hier beim schnellen Durchskippen kaum etwas hängen bleiben dürfte. Den geneigten Prog-Fan wird dies indes wenig stören, dürfte er doch ohnehin über einen langen Atem verfügen und das gesamte Album in die Dauerschleife versetzen. Dass OBLIVION PROTCOL mit ihren melancholisch verträumten Melodien beim Zuhörer eher herbstliche Gefühle wecken (steht ja irgendwie auch schon so im Albumtitel – Anm. d. Red.), erscheint angesichts des ziemlich verregneten Sommers dann auch irgendwie passend.

Selbstverfreilich komme ich abschließend nicht umhin, einmal mehr anzumerken, wie sträflich der dennoch hochgeschätzte Kollege Klaas mit seinem Review der 2017er THRESHOLD-Scheibe „Legends Of The Shires“ doch Unrecht tat. Immerhin: Noch ist es nicht zu spät, das Büßergewand an- und „The Fall Of The Shires“ aufzulegen um dem großen Bruderalbum damit stellvertretend die längstens verdiente Anerkennung zukommen zu lassen…

14.08.2023
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