Oak - The Quiet Rebellion Of Compromise

Review

„Manchmal kommt eben einfach das richtige Album zur richtigen Zeit“ – mit diesen Zeilen eröffnete unsereins die Besprechung des im tiefsten Oktober 2018 erschienenen OAK-Albums „False Memory Archive“. Vier Jahre zogen ins Land, eines vertretbarerweise bescheidener als das andere. Und nun, im tiefsten Herbst des Jahres 2022, ist es wieder so weit. Die Norweger lassen erneut das richtige Album zur richtigen Zeit auf die Welt los. Wieder einmal können sich interessierte Hörer auf gute 50 Minuten feinste, skandinavische Melancholie gefasst machen, bei der die Schwere dieses Mal besonders offen zur Schau getragen wird, nicht nur anhand der tief in Moll getränkten Harmonien, die das Album bevölkern.

OAK liefern erneut das richtige Album zur richtigen Zeit

Denn wer sich das Cover anschaut und das entsprechende Hintergrundwissen hat, kann sich denken, dass es textlich hier irgendwie um das Thema Suizid gehen wird, ziert schließlich die berühmte Totenmaske der Unbekannten aus der Seine das Cover des dritten Albums, das auf den Namen „The Quiet Rebellion Of Compromise“ hört. Dabei scheinen die Norweger hier und da auf jenes Mysterium anzuspielen, was Schriftsteller im Bezug auf die Totenmaske oft herumtreibt: Woher kommt dieser seltsam glückselig wirkende Gesichtsausdruck? Wiederkehrende Elemente sind neben einer damit vage angedeuteten Hoffnung sowie natürlich der allgegenwärtigen Vergänglichkeit auch Orientierungslosigkeit und damit auch Depression – alles ansprechend verpackt in musischen Textzeilen, die mit dem rechten, lyrischen Respekt an diese schwierige Thematik herangehen.

Personell hat sich ebenfalls etwas getan. Die Band ist in der Zwischenzeit vom Trio zu einem Quartett herangewachsen. Simen Valldal Johannessen, Oystein Sootholtet und Sigbjorn Reiakwam stellen nach wie vor den gesanglichen respektive instrumentalen Kern dar, der durch seine organischen Instrumente zwischen dominantem Klavier, stimmungsvollem Schlagzeug, warmem Bass und diverser, flirrender Klanggeflechte besticht. Neu dabei ist Stephan Hvinden an der Klampfe, der von FLOYDigen Soli bis hin zu etwas schrofferen aber nicht zu heftig bratenden Riffs eine ganze Menge neuer Texturen, aber an einigen Stellen auch einen neuen Nachdruck in den Sound der Norweger einbringt. So ganz Metal ist „The Quiet Rebellion Of Compromise“ dadurch nicht, aber so kommen die Norweger dem Prädikat „Art Rock für KATAONIA-Fans“ schon einmal näher.

Mit Hvindens Gitarre haben sich die Norweger einige songschreiberische Türen geöffnet

Aber „The Quiet Rebellion Of Compromise“ ist so viel mehr als nur das. Zunächst einmal hat das dritte Album die schwierige Aufgabe, einem Album wie „False Memory Archive“ einen würdigen Nachfolger zu stellen. Doch allein die personelle Ergänzung verhindert eine allzu offensichtliche Wiederholung. Der Zuwachs durch Hvinden macht sich beim Opener „Highest Tower, Deepest Well“ recht zügig bemerkbar. Nachdem weiche Klaviertupfer einleitend durch die Boxen perlen, setzt Hvindens Gitarre direkt ein paar kantige Stiche, bevor der wie nicht anders zu erwarten tiefst in Moll getränkte Song seinen schleppenden Lauf nimmt. Johannessen erhebt seine klare, tiefe Baritonstimme, lässt sich weiterhin von den Klavier-Texturen tragen, während im weiteren Verlauf ein Mellotron stimmungsvoll auftaucht. Und dann kommt die Hook – Gänsehaut pur!

Mit ebenso purer Gänsehaut geht es dann von einem Magic Moment zum nächsten, während man immer wieder Einflüsse neuerer ULVER oder dunklerer PORCUPINE TREE – man denke an einen Song der Marke „Anesthetize“ – wahrnehmen kann. Gleichzeitig blüht die Musik dank des dominanten Klaviers und generellen, produktionstechnischen Wärme in ihrer dunklen, herbstlichen Pracht richtig schön auf. „Quiet Rebellion“ atmet dank der mehrstimmigen Gesangspassagen ein bisschen EMPYRIUM, während die Gitarre im Hintergrund immer mal wieder sachte aufheult und das Schlagzeug durch Ergänzung von Claps einen angenehm geschäftigen Rhythmus heraufbeschwört. Im folgenden „Dreamless Sleep“, einer der vergleichsweise direkteren Tracks der Platte, tritt das Mellotron in Kombination mit scharf pulsierenden Synths in bedrohlicher Manier in Erscheinung und kreiert mit Unterstützung durch subtile Drones im Hintergrund eine wahrhaftig ominöse Atmosphäre.

Dennoch bleiben faszinierende, herbstliche Klanglandschaften  das Herzstück des Sounds

In „Sunday 8 AM“, speziell dessen zweiter Hälfte, scheinen die angesprochenen PORCUPINE TREE-Vibes besonders prägnant durch, wobei hier sogar Post-Rock-artige Gitarrenleads sekundieren und zu einem intensiven, instrumentalen Finale beitragen. Auch ein Saxofon, das zuvor im Track für ein prägnantes Lick in Erscheinung getreten ist, kommt zurück für ein stimmungsvolles, jazziges Solo. Richtig hymnisch, geradezu uncharakteristisch erbaulich gestaltet sich die Hook des folgenden „Demagogue Communion“, die durch gesangliche Falsett-Schlenker einen kleinen Wink in Richtung des eröffnenden „Highest Tower, Deepest Well“ platziert. Hier in genau dieser Hook tritt wiederum Hvindens Gitarre besonders markant ins Rampenlicht mit bratenden Riffs, die ganze Arbeit leisten, um den Refrain mit angemessenem Schmackes in die Gehörgänge zu zwängen.

Zu kompositorischen Höchstleistungen schwingen sich OAK schließlich für das kanpp 14-minütige „Paperwings“ auf, das zugegeben ein bisschen gewöhnungsbedürftig beginnt. Ein elektronischer Beat, der ein bisschen an Trap gemahnt, eröffnet, während Johannessen mit einer Spoken-Word-Darbietung darüber raunt. Von hier an führen OAK ihre Hörer durch einen vielschichtigen Track, der von elegischen FLOYDisms im hinteren Ende des Songs hin zu einem sorgfältig vor- und stimmungsvoll aufbereiteten, geradezu nach Alternative klingenden Riff-Ausbruch um die 4:45-Marke einiges mitnimmt. Als Rausschmeißer krönen die Norweger dieses melancholische Bouquet schließlich mit „Guest Of Honor“, das wiederum diese wohligen Lagerfeuer-Momente des Vorgängers wiederaufleben lässt.

Damit gelingt den Norwegern mit „The Quiet Rebellion Of Compromise“ eine Fortentwicklung wie aus dem Bilderbuch

Anfänglich benötigt „The Quiet Rebellion Of Compromise“ tatsächlich etwas mehr Eingewöhnung als „False Memory Archive“, was sicherlich ein Stück weit bedingt ist durch die etwas höhere Fokussierung auf den Rock-Aspekt, aber auch durch einige progressivere Ideen. Damit haben sich OAK offenbar ein Paar Türen für komplexeres Songwriting geöffnet, durch welche die Herren auch ziemlich mutig geschritten sind. Sie wenden sich des Öfteren mal von traditionellen Songstrukturen ab, aber bleiben ihrer klanglichen Ästhetik durchgehend treu und empfangen ihre Hörer letztendlich doch mit offenen Armen. Und dennoch gibt es wahnsinnig viel Neues zu entdecken, da das Quartett einfach so viele Details in ihre Musik hineingestopft haben, ohne sie zu überwältigend zu gestalten.

Hier zahlt sich der nach wie vor hohe Anteil an organischer Instrumentierung aus. Denn auch wenn die Ergänzung durch Hvinden deutlich mehr Rock in den Sound hinein gebracht hat und das Songwriting geprägt zu haben scheint, so bleiben die herbstlichen Klanglandschaften doch das musikalische wie emotionale Zentrum von „The Quiet Rebellion Of Compromise“. Sie sind zusammen mit Johannessens erneut herausragender Gesangsdarbietung Dreh- und Angelpunkt der intensivsten Momente der Platte. Die Rock-Komponente bringt einfach an den richtigen Stellen den nötigen Zwang mit rein, um das Album erfolgreich nach vorne zu bringen. Damit haben OAK ihre Mission erfüllt und ihrem ohnehin schon nahezu perfekten Album „False Memory Archive“ einen Nachfolger an die Seite gestellt, der den Sound an den richtigen Stellen feinjustiert und eine neue Komponente gewinnbringend hinzugefügt hat.

OAK liefern den richtigen Nachfolger für „False Memory Archive“

Es ist das richtige Album, um an verregneten Herbsttagen in der Wohnung zu bleiben, die Kopfhörer aufzusetzen und abzutauchen. Trotz der finsteren Thematik der Texte versprüht „The Quiet Rebellion Of Compromise“ eine wohlig melancholische Wärme, bringt damit also diese mysteriöse Ambivalenz der Unbekannten aus der Seine musikalisch auf den Punkt. OAK ist es gelungen, „False Memory Archive“ tatsächlich einen mindestens ebenbürtigen Nachfolger zur Seite zu stellen, der jedoch genug Änderungen im Sound birgt, sodass die Norweger musikalisch nicht auf der Stelle treten. Es ist eine wunderbare Mischung aus düstereren PORCUPINE TREE-Momenten, KATATONIA-isms und vielleicht sogar neueren ULVER, die man sich als Freund melancholischer Klänge nicht entgehen lassen sollte.

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02.12.2022

Redakteur für Prog, Death, Grind, Industrial, Rock und albernen Blödsinn.

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