Die besten Supergroups sind sicher diejenigen, denen man nicht anhört, dass sie ein personelles Gimmick antreibt – O.R.K. sind eine solche Band, die aus internationalen Hochkarätern besteht und doch einen vollkommen eigenständigen Rock-Sound aufs Parkett zaubert. Hierhinter stehen nach wie vor Pat Mastelotto (KING CRIMSON), Colin Edwin (PORCUPINE TREE) sowie Sänger Lorenzo Esposito Fornasari (im weiteren Verlauf nur LEF genannt) und Gitarrist Carmelo Pipitone, beides ausgesprochen talentierte Musiker, die bereits auf zwei Alben dieses Projektes zeigten, dass sie locker auf Augenhöhe mit ihren prominenteren Kollegen stehen.
Der nächste Schritt ist ein Subtiler
Mit „Ramagehead“ folgt das verflixte dritte Album – und das macht ein paar Sachen anders als die beiden Vorgänger, die sich soundtechnisch mehr oder weniger ergänzt haben. Markantes Merkmal auf „Inflamed Rides“ und „Soul Of An Octopus“ war eine organische Herangehensweise an den Rock, der akustische Momente mit wilderen, expressiveren Ausbrüchen praktisch nahtlos miteinander verknüpfte und zu erfrischend eingängigen, hinreichend progressiven Songs verwob. Schon hier zeigte sich die ungeheure Chemie zwischen den Musikern, die jedoch nicht nur auf Konserve, sondern auch auf Bühne hervorragend funktionierte. „Ramagehead“ wählt dagegen einen Ansatz, der mehr die progressiven Qualitäten der Band in den Vordergrund stellt.
Das Ergebnis kann man auf dem ersten Blick fast als „Art Grunge“ bezeichnen. Auch wenn der Begriff ein bisschen aus der Luft gegriffen wirkt, so sind die Anzeichen doch da. Die Songs sind deutlich wirkungsorientierter unterwegs, scheinen mehr düstere Vibes denn eingängige Songs transportieren zu wollen. Die Produktion ist weit kälter und dreckiger ausgefallen als bei den Vorgängern, teilweise gar mit leichtem Hang zum Industrial, besonders wenn sich Mastelotto mit seinem chirurgisch präzisen, perkussiven Spiel einem menschlichen Metronom gleich ein paar zugleich geräumige und doch geschäftige Rhythmen aus den Handgelenken schüttelt.
Mit technischer Grazie und emotionalem Tiefgang
Beeindruckend ist auch wieder Pipitones unglaublich impulsives Gitarrenspiel. Besonders stark nimmt er seine Klampfe etwa bei „Signals Erased“ in die Mangel, in dem er die Saiten regelrecht malträtiert. Aus den Tönen, die er aus der Gitarre kitzelt, formt er so ein sehr unruhiges, kreischendes Hauptriff, das sich dennoch wunderbar in diesen schweren Rocker einfügt. Bei „Strangeled Words“ wechselt er eher dagegen mehr zwischen fast folkiger Akustikgitarre und Grunge-artigem, schneidendem Riffing, das zuvor schön durch den Distortion-Schlamm gezogen worden ist.
Meistens untermalt er das Geschehen aber stimmungsvoll mit seinem rhythmisch betonten Spiel, das er für großflächige Parts auch gerne mal etwas weiter öffnet. Edwin bleibt indes ein verlässlicher, tieftöniger Konturenzeichner, der sich eher unterstützend im Hintergrund aufhält. Unterdessen liefert LEF eine gesangliche Glanzleistung ab, beschwört in seinen rauer krächzenden Momenten gar seine beste Chris Cornell-Impression und erweckt sie etwa zum Ende von „Beyond Sight“ hin mit dem nötigen Charisma und dem nötigen Stimmvolumen eindrucksvoll zum Leben.
„Ramagehead“ nimmt den Hörer mit
Und doch setzen sich diese Momente von purer, musikalischer Schönheit gegen das raue, schmutzige Betondickicht durch, werden durch diese in ihrer Effektivität gar verstärkt. Besagte, großflächige Passagen werden üblicherweise von Pipitones ikonischen Akustik- oder Clean-Zupfereien getragen und von LEFs beseelter, glasklarer Gesangsdarbietung veredelt. Hier liefern auch samtige Synthesizer tatkräftige Unterstützung, die das Bild von einer farbenprächtig blühenden Naturlandschaft inmitten einer rauen Betonwüste zeichnen. Es klingt auf dem Papier zugegeben klischeehafter als es in der Praxis umgesetzt ist, in der einem die Übergange praktisch gar nicht auffallen.
Diese beiden Seiten des O.R.K.-Sounds vereinen sich auf „Ramagehead“ zu einer zugleich rauen und doch ästhetisch höchst ansprechenden Tour de Force, in denen die Songs ihre Details und ihre Größe erst nach mehreren Durchgängen offen legen und sich erst dann langfristig in den Gehörgängen festsetzen – das aber dann unter Hinterlassenschaft eines bleibenden Eindruckes. Die Musik ist technisch, aber zu keiner Zeit masturbativ. Die Songs haben etwas Repetitives an sich und nutzen dies auf unterschiedliche Weise zu ihrem Vorteil.
Abwechslungsreiches Spiel mit den Stimmungen
So hat der Opener „Kneel To Nothing“ ein bisschen was vom selbstetitelten Album von ALICE IN CHAINS mit seinem stoisch anmutenden Rhythmus und den maschinellen Gitarren. Das Grundgerüst wird dank Mastelottos geschäftiger Perkussionsarbeit und nicht zuletzt LEFs expressivem Gesang jedoch mehr als genug mit orkischem Eigenleben gefüllt. Eine wabernde Synthlinie übt zudem einen hypnotischen Sog aus, der sich wunderbar mit besagter Stoik ergänzt. Und ab dem Mittelteil findet der Song schließlich zu seiner wahren, bombastischen Größe.
Von nahezu unwirklicher Schönheit erweist sich bei „Time Corroded“ das Zusammenspiel der cleanen bzw. im weiteren Verlauf angezerrten Gitarrenlinien mit den atmosphärischen Synthesizern und der ansteigenden Intensität, mit der LEF zur Hook hin singt. Fast ein bisschen altmodisch psychedelisch kommt „Down The Road“ daher, ehe der Song mit kurzfristig aber effektiv einsetzenden Synth-Streichern im Mittelteil wieder für einen hinreißenden Gänsehautmoment sorgt, ehe der Song an Aufregung hinzu gewinnt und mit seinen Backing Vocals zum Ende hin fast ein bisschen Gospel mitschwingen lässt. Ganz großes Stimmungstennis.
Von Höhepunkt zu Höhepunkt
Einer der mit Abstand schönsten Momente von „Ramagehead“ ereignet sich auf „Black Blooms“, das mit seinen beinahe schüchternen ersten Tönen ein bisschen in schwelgerische Post-Rock-Gefilde vorstößt mit stimmungsvollen Klavier-Tupfern und fast schwerelos anmutenden Reverse-Gitarren. Und nicht zuletzt wartet der Song mit einem überragenden Gastbeitrag von keinem geringeren als Serj Tankian (SYSTEM OF A DOWN) auf. Der Track stellt das atmosphärische, zum Dahinschmelzen schöne Highlight in einer Trackliste voller magischer Momente dar, in dem LEF und Tankian im Duett eine gesangliche Meisterleistung abliefern. Das zweiteilige „Some Other Rainbow“ schließlich rundet das Album noch einmal mit einer eindringlichen Art-Pop-Einlage ab.
Und es ist erstaunlich, dass das Album bei alledem, was hier drin steckt, doch so kurz ausgefallen ist. Dadurch umgehen O.R.K. die gängige Stolperfalle von unnötigem Füllmaterial und reihen stattdessen einen großen Moment an den anderen, lassen ein Highlight auf dem anderen folgen und dabei die Spannungskurve doch auf- und absteigen. Durch Kontraste treffen die rockigen Passagen umso heftiger ins Mark, während die kunstvolleren Parts neben den erdigen Rock-Parts umso schöner und lebhafter Wirken.
O.R.K. übertreffen sich selbst
Weshalb „Some Other Rainbow“ zweigeteilt worden ist, erschließt sich allein nicht direkt aus dem Album heraus. Abgesehen davon haben O.R.K. ein mächtiges Album aufgenommen, bei dem praktisch alles an der rechten Stelle sitzt. Nach kurzer Eingewöhnungszeit springt der Funke über und man ist von „Ramagehead“ schlicht und ergreifend gefesselt. Vor dieser Leistung kann man eigentlich nur den Hut ziehen.
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