Und dann waren da noch NO-MAN
Am Anfang von Steven Wilson waren PORCUPINE TREE und NO-MAN, zwei Projekte, die der Mann um 1987 herum gründete. Beide Projekte begleiteten ihn über einen Großteil seiner Schaffenszeit hindurch und machten dabei ihrerseits selbstredend Entwicklungen durch. Dennoch standen NO-MAN, bestehend aus Wilson selbst und Tim Bowness, eher im Schatten des wesentlich erfolgreicheren Stachelschweinbaums. Dabei könnte das Schaffen der Band im Lichte von Wilsons jüngsten Aktivitäten, namentlich „To The Bone“, relevanter kaum sein, denn NO-MAN hatten sich dem Artpop verschrieben und diesen im Laufe ihrer Diskografie erschöpfend erkundet.
Nun hat KScope das Album „Returning Jesus“ von 2001 neu aufgelegt und mit massig Bonusmaterial versehen – und das im gleichen Jahr, in dem Wilson seine neue Solo-Platte „To The Bone“ veröffentlicht und damit für reichlich Diskussionsstoff gesorgt hat. Wir reden bei letzterer hier von einer Platte, die zwar bei einer großen Zahl an Presseerzeugnissen die gewohnten, stehenden Ovationen eingefahren hat, in der Prog-Szene (zumindest der deutschprachigen) mitunter jedoch regelrecht zerpflückt worden ist. Vor allem der Mangel an dem, für das der Name Steven Wilson nun mal steht und immer wieder in Verbindung gebracht wird – der Prog – stieß hier sauer auf. Und einer der weiteren Steine des Anstoßes war Wilsons Auftritt im Morgenmagazin. Sowohl der Umstand als auch die vorgetragenen Songs sind aus der Sicht des Prog mindestens eine mittelschwere Katastrophe. Hinzu kommt, dass Wilson relativ offen mit dem Pop-Anteil der Platte gewesen ist. Und zumindest damit ist „To The Bone“ auf den ersten Blick näher an NO-MAN als an PORCUPINE TREE gebaut.
Ein Wilson-Klassiker zum Neuentdecken
Dennoch steckt in „Returning Jesus“ deutlich mehr klassischer Wilson drin als in „To The Bone“. Letzteres orientierte sich ja bewusst am anspruchsvolleren Pop-Rock der Achtziger, ist entsprechend sehr geradlinig und eingängig ausgefallen. „Returning Jesus“ unternimmt zwar auch keine allzu auffälligen Verrenkungen, ist aber andererseits deutlich im Artpop verwurzelt und als solches vielschichtiger und intensiver unterwegs. Die Songs sind allesamt sehr ruhig und springen einem nicht so offensiv ins Gesicht. Das Duo experimentiert hier mit Elementen von Jazz und Klassik, die in den recht geräumigen Sound eingeflochten worden sind. Das Ergebnis ist eine sehr luftig klingende Angelegenheit, die ihre Hörer nicht immer auf Anhieb abzuholen vermag, weshalb es auch schwierig ist, einzelne Songs herauszupicken. Das Album fließt einfach so dahin, was nicht negativ gemeint ist. Aber es ist eben kein Earcatcher vor dem Herren, sondern stimmungsorientierte Musik für ruhige Momente. Bowness schwebt mit seiner sanften Stimme förmlich über die filigranen Arrangemets, die ihm Wilson serviert. Man fühlt sich hier mehr an vertonte Dichtung denn an Musik per se erinnert, seltener auch an „Islands“ von KING CRIMSON. Die Songs perlen förmlich aus den Boxen heraus, elegant und grazil, aber auch unaufgeregt und nicht immer um die Aufmerksamkeit des Hörers bemüht.
Doch was gibt es fernab dessen zu entdecken und lohnt sich das? Die Bonus-CD ist bis zum Rand gefüllt mit alternativen Mixen, Demos und B-Seiten, die das Sammlerherz höher schlagen lassen. Manchmal sind es auch Outtakes, so scheint „Carolina Reprise“ ursprünglich mal für das Album gedacht worden zu sein als – natürlich – Reprise oder Outro des Songs „Carolina Skeletons“. Und in bester Wilson-Tradition hat das alles einen sauberen, wahnsinnig klaren Sound verpasst bekommen. Es lohnt sich also durchaus für Kenner der Platte, dieser Neuauflage das ein oder andere Ohr zu leihen. Für Neulinge gilt: Das Album selbst ist natürlich auch sehr gut, erfordert aber einiges an Geduld und ist als solche nicht jedermanns Sache. Trotzdem: Wem als Wilson-Fan „To The Bone“ zu flach gewesen ist, der findet mit der Neuauflage von „Returning Jesus“ ein mehr als zufriedenstellendes Trostpflaster.
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