Neal Morse - No Hill For A Climber

Review

NEAL MORSE ist nicht nur für seine Zeit bei den legendären 90er-Proggern SPOCKS BEARD bekannt, sondern auch für seine überaus umfangreiche Solokarriere. Seine Freundschaft zu DREAM THEATER-Trommler Mike Portnoy, mündete überdies in der renommierten Supergroup TRANSATLANTIC. Bei so viel Umtriebigkeit ist es klar, dass man nicht konstant gleich viel Kreativität aufbieten kann. Oder kann man das? Für sein neues Album „No Hill for A Climber“, hat sich der Amerikaner nämlich einer wortwörtlichen Frischzellenkur unterzogen. Das Album ist das Resultat der Zusammenarbeit, mit mehreren jüngeren Musikern die er in seine Wahlheimat Nashville rekrutiert hat.

Ist „No Hill For A Climber“ nur ein Ameisenhügel? Oder ein Hügel, an dem es sich lohnt sein Leben auszuhauchen? 

Das und vieles mehr, erfahrt ihr in dieser Review.

NEAL MORSE und die Retro-Prog Formel

Wer kennt nicht die klassische Formel für Prog-Alben? Zwei überlange Tracks markieren den ersten sowie den letzten Track. 2-3 Songs werden dazwischen gesandwhiched und fertig ist die Scheibe. Pink Floyd haben diese Idee 1975 auf „Wish You Were Here“ perfektioniert. Auch Bands wie DREAM THEATER übernahmen diesen Einfall. Apropos: Busenfreund Mike Portnoy steht aufgrund seiner Rückkehr zu seiner Stammband nicht zur Verfügung. Was eigentlich schade ist, gereicht „No Hill For A Climber“ aber zum Erfolg. Der Neuling Philip Martin macht seine Sache hinter den Kesseln ausgesprochen gut. Auch die anderen Neuzugänge sind nicht von schlechten Eltern. Die Single „All The Rage“ lebt von der tollen Stimme von Johnny Bisaha und hebt hervor, warum die neue Backingband ein echter Volltreffer ist.

„Eternity In Your Eyes“ schenkt dem Zuhörer gar nichts und begräbt ihn direkt unter seiner vollen Prog-Wucht. Es ist eine klare Machtdemonstration des NEAL MORSE, der hier seine musikalischen Muskeln auspackt und zeigt, wer hier die Hosen anhat. Hat das Genre 2024 besseres zu bieten? Man muss schon mit der Lupe suchen. Manch einer würde meinen, dass das Pulver nach einem 22-minütigen Song verschossen ist. Die drei kurzen Stücke beweisen allerdings direkt, dass dem nicht so ist. „Thief“ ist eine coole Nummer, die so tönt, als wäre sie einem Gangster-Film entsprungen. Dabei macht sie einige Twists and Turns. „Ever Interceeding“ hingegen, ist ein reduzierter, akustisch dominierter Song mit einer unwiderstehlichen Melodie. Da ist man schon fast versucht, sich ein Album mit mehr Stücke in dieser Richtung zu wünschen – fast.

Ein Kolossaler Berg für die Fans

Mit dem Titeltrack „No Hill For A Climber“ erreicht das Album seine Kulmination. Weil dieser Koloss 28 Minuten lang ist, passt er noch nicht mal auf eine Schallplattenseite. In diesem sechsteiligen Epos geben NEAL MORSE und seine Gefährten Vollgas und versuchen den Opener in allen Belangen zu übertrumpfen. Der Glaube des NEAL MORSE ist hier, genau so wie auf dem ganzen Rest der Scheibe, ebenfalls das zentrale Thema. Morse macht hier allerdings nicht den Fehler mit der Holzhammer-Methode vorzugehen, sondern führt die Hörer auf seine Art daran heran. Wer hier schon meckert, sollte sich an die eigene Nase fassen und fragen, warum man im Gegenzug Leute wie Nergal von BEHEMOTH oder den veritablen Hochgradfreimaurer Tobias Forge von GHOST tolerieren sollte. Wenn die Musikszene solche Kaliber akzeptiert, muss sie eben auch einen kleinen Christen aus Nashville aushalten können.

Ideologische Scheuklappen sollten niemals der Standard sein, nach der man Kunst bewertet. Denn die Musik auf „No Hill For A Climber“ ist objektiv gut, unabhängig davon, was man glaubt. Der druckvolle und cleane Mix bietet den Rahmen, der dies beweist. Das frische Klangbild hindert NEAL MORSE daran, hüftsteif oder zu angestaubt zu wirken. Viele Altergenossen wirken im Vergleich zu ihm einfach wie Fossile. Die Frischzellenkur hat sich trotz des tradierten Stils, klar ausgezahlt.

An der Spitze des Bergs

Alles in allem handelt es sich bei „No Hill For A Climber um ein solides Acht-Punkte Werk – doch wieso gibt es dann nur sieben Punkte? Nun, es hat mit dem Anspruch des Genres zu tun. Es ist offensichtlich, dass Neal Morse auch nach 25 Jahren Solokarriere, keinerlei Ermüdungserscheinungen zeigt. Doch es ist im Grunde nicht Progressive-, sondern Stagno-Rock. Die Vertreter des Progs, machten sich in den 70ern auf, die Idee von Musik zu erweitern und konstante Innovationen voranzutreiben. Von dieser Idee ist allerdings heute nichts mehr übrig. „No Hill For A Climber“ ist ein tolles Album, welches allerdings immer noch von Konzepten lebt, die zuletzt in den 70ern neu gewesen sind. Der dezente Trip-Hop Beat in „Thief“ ist schon das höchste der Gefühle – zumindest wenn man „Progression“ im Songwriting hören will.

Trotzdem hat man hier ein exzellent gespieltes und produziertes Stück Musik für alle, die nicht genug Retro-Prog haben können.

03.11.2024

Werbetexter und Metalhead aus NRW.

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