Die Vielfalt des Lebens – und der Musik!
Mein erster klarer Gedanke als ich NIGHTWISHs neues Album „Endless Forms Most Beautiful“ kurz vor meinem Interview hören durfte, war: Das braucht seine Zeit. Dieser Eindruck sollte sich auch beim zweiten Hören wieder bestätigen, denn eines steht fest: Trotz des bereits nach dem ersten Durchgang positiven Gesamteindrucks: Dieses Album wird mit der Zeit gewinnen.
Was aber kann ich jetzt bereits über „Endless Forms Most Beautiful“ berichten? Das Album beginnt mit einem absoluten Kracher! „Shudder Before the Beautiful“, das in der Art und Weise an „Dark Chest Of Wonders“ erinnert, welches von Floor Jansen bereits im Zuge der „Imaginaerum“-Tour großartig interpretiert wurde – das ist auch hier der Fall. Mitreißende Musik über einen nicht weniger faszinierenden Vorgang: die Entstehung des Universums.
Es folgt mit „Weak Fantasy“ ein düsterer Power-Song, der sowohl musikalisch als auch mit seinem religionskritischen Inhalt besticht und absolut mitreißend ist. Definitiv einer der stärksten Songs, dem die atmosphärisch entgegengesetzte Nummer „Élan“ folgt, bei der es sich um eine eher simple Komposition handelt, die jedoch durch ihre Eingängigkeit, die Folk-Elemente und die energetische Text-Musik-Kombination gerade als Single überzeugt. Mit „Yours Is An Empty Hope“ liefern die Finnen zudem einen der härtesten Songs in der Geschichte NIGHTWISHs, hier zieht nicht nur Marco Hietala wie in früheren NIGHTWISH-Songs ordentlich durch, sondern auch der weibliche Gesang übernimmt erstmals harte Parts, was Floor Jansen beeindruckend gelungen ist – ein sehr gutes Zusammenspiel der beiden Stimmen. Der Chorpart erinnert ein wenig an den Beginn von „Imaginaerum“ – klassischer Holopainen-Düster-Epik-Sound. Daraufhin findet mit der Ballade „Our Decades In the Sun“ erneut ein Wechsel statt. Hier singt Floor besonders gefühlvoll und transportiert so die emotionalen Worte an Mutter und Vater, besonders die Steigerung und der daraus resultierende spannungsvolle Songaufbau, machen diese Nummer zu einem gelungenen Mittelstück. Lediglich der Instrumentalteil konnte mich hier nicht ganz überzeugen. Das gilt leider auch für „My Walden“. Der Track enthält zwar sehr schöne folkloristische Elemente und eine nette Strophe, die auf mehr hoffen lässt, der Refrain enttäuscht dann aber völlig. Mehr noch ist er mit seinem „Flying higher, higher, higher“ eine nervliche Belastung, die in Kombination mit der banalen Melodie an die Grenzen des Ertragbaren geht. Der Song fängt sich erst wieder mit dem Instrumental- und dem Gesangspart gegen Ende.
Den kleinen Aussetzer können NIGHTWISH aber bereits mit dem folgenden Titelsong „Endless Forms Most Beautiful“ wiedergutmachen. Hier wird die Thematik der Eingangsnummer quasi fortgeführt. Das gelingt auch musikalisch, die Nummer überzeugt auf ganzer Linie und regt erneut zum Mitfiebern an. Mit „Edema Ruh“, das auf einer literarischen Vorlage basiert, kommt dann wieder mehr Ruhe in den Ablauf. Das Lied erinnert von der Art her an „My Walden“, der gemeinschaftlich gesungene Refrain ist ein wenig kitschig, allerdings gefällt es mir wesentlich besser, was unter anderem an dem schönen Zusammenspiel von Gitarre und Dudelsack liegt.
„Alpenglow“ konnte mich schon beim ersten Hören voll begeistern, eine sehr schöne, entschlossene Melodie und eine insgesamt kraftvolle Hommage an die Alpen/die Natur. Was mich hier mitriss, konnte mich bei „The Eyes Of Sharbat Gula“ von Beginn an berühren. Das Instrumentalstück bezieht sich auf das bekannte Foto eines Flüchtlingsmädchens. Es ist eine eher ruhige, aber intensive Nummer, die mir durch Troys Stimme und den darauf folgenden Kinderchor eine Gänsehaut verursachte. Hier wird trotz wenig spektakulären Aufbaus, einfach durch den Einsatz der Instrumente, vielleicht auch durch das Bild im Hinterkopf, berührt.
Abgeschlossen wird sowohl die Wissenschaftstrilogie als auch das gesamte Album durch das 24-minütige Finale „The Greatest Show On Earth“ (aufgeteilt in fünf Kapitel). Eine Zeitreise und ein musikalisches Meisterstück, das so komplex ist wie sein Inhalt. Instrumentalparts wechseln sich mit klassischen Metalteilen ab, es gibt harten, klassischen und sanften sowie gesprochenen Gesang, untermalende Geräusche und Zitate. Im Prinzip wird die Geschichte der Erde mit dem Mittel der Musik erzählt, auf progressive Art und Weise, aber auch mit Eingängigkeit an der einen oder anderen Stelle. Die erste Gesangssequenz hat mich darüber hinaus ein wenig an ein Stück aus James Horners „Avatar“-Soundtrack erinnert, Vivaldis „Storm“ meine ich ebenso herausgehört zu haben – egal ob bewusst oder unbewusst, hier fügt sich alles zu einem beeindruckenden großen Ganzen zusammen. Ein besonderes Highlight ist zudem der wachsende Chor am Ende von Kapitel III, der wiederholt „We were here“ singt – überwältigend!
Die Beschreibung der Songs hat es gezeigt, so wie „The Greatest Show On Earth“ kann auch das gesamte Album beschrieben werden: Komplex. „Endless Forms Most Beautiful“ ist sehr dynamisch, sowohl songintern als auch insgesamt. Bewusste Tempo- und Intensitätswechsel machen es zu einem interessanten Werk, das mit jedem Hören besser wird. Das wird auch durch den Gesang von Floor Jansen unterstützt, die durch ihre umfangreiche Gesangsausbildung und ihren vielfältigen Stimmeinsatz NIGHTWISH durch ganz neue Varietät bereichert – ein echter Glücksgriff für die Band! Ob laut oder leise, aggressiv oder sanft, leicht oder gefühlvoll, düster oder fröhlich, klassisch oder rockig – sie beherrscht alles, was das Album erfordert.
Und noch mehr, was mich zu meinem einzigen Kritikpunkt bringt. Angeführt von dem bereits beschriebenen Refrain in „My Walden“ weist „Endless Forms Most Beautiful“ Stellen auf, die irgendwie ein bisschen zu banal und simpel sind und in denen das vorhandene Potential der einzelnen Bandmitglieder nicht voll ausgeschöpft wird. Vielleicht hätte an der einen oder anderen Stelle gekürzt oder optimiert werden können. Dies steht im Gegensatz zu der allgemeinen Komplexität, die dafür sorgt, dass das Album insgesamt trotzdem überzeugt, teilweise sogar überwältigt.
Und das nicht nur auf musikalischer, sondern auch auf inhaltlicher Ebene. Dafür wurden wie in der Vergangenheit erneut literarische Grundlagen wie Henry David Thoreau oder Patrick Rothfuss und auch zahlreiche Zitate ausgewählt, besonders Charles Darwin steht im Fokus des Songschreibers Tuomas Holopainen. Die Naturwissenschaft ist zwar Thema, es geht aber vor allem um die Schönheit des Lebens, die Schönheit in den kleinen und großen, in allen Dingen.
Möglicherweise wäre hier auch ein Konzeptalbum interessant gewesen. Fest steht, dass es sich um ein sehr ambitioniertes Werk handelt, nichts für Zwischendurch, sondern eher zum bewussten Hören. Dann wird es mit der Zeit auch seine volle Wirkung entfalten.
Ich kann das Album also vor allem anspruchsvollen Hörern empfehlen, die sich auch ein bisschen länger damit befassen möchten. Allerdings wird auch der „Klischee-Metaller“ bei der einen oder anderen Nummer gerade durch Floors Power-Stimme und eingängige Riffs auf seinen Geschmack kommen. Auf jeden Fall bleibt NIGHTWISH weiterhin NIGHTWISH, bereichert durch eine begabte und ausdrucksstarke Sängerin.
Meine persönliche Empfehlung ist zudem, ein paar Euro mehr in eine der Spezialeditionen zu stecken, die Earbooks punkten mit schönem Artwork und dem Album in drei Versionen – das Original, eine Instrumental- und eine Orchestral-Fassung.
Mit Verlaub: Was soll diese grauenhafte Textformatierung? Schwer verliebt in die Bild? Das zerstört jeglichen Lesefluss…
Man kommt sich wirklich stark bevormundet vor, wenn einem die Autorin hier jeden Zusammenhang fett markiert, weil sie offenbar den Eindruck hat, Metal.de-Leser wären zu doof, diese selbst zu finden.
Vielen Dank für die Hinweise. Wir haben die Formatierung überarbeitet.
Die Berwertung spare ich mir, denn ich kann dieses Album nicht bewerten. Nach dem sechsten Durchlauf muss ich sagen, dieses Album ist schlichtweg Tranig. Es zündet einfach überhaupt nicht.
Als ich Imaginaerium zum ersten Mal hörte, war ich auch etwas verwirrt, aber als ich erkannte in welche Richtung es ging und ich nochmal reingehört habe, holla!
Im Vergleich dazu ist das hier einfach nur pure nichtssagende Ödnis.