Nevermore - The Obsidian Conspiracy

Review

Viel erwartet wird immer, selten so viel wie von NEVERMORE. Dies haben sich die Jungs aus Seattle allerdings auch selbst zuzuschreiben. Wer Album um Album ein Highlight nach dem anderen abliefert, darf sich nicht wundern, wenn bei ihrem jüngsten Werk „The Obsidian Conspiracy“ schon ein wenig genauer hingesehen wird. Und siehe da, der Blick lohnt sich.

CHRISTIAN_K:

Mit einem lauten Loom’schen Gitarren-Urknall beginnt „Termination Proclamation“. Der erste Song der neuen Scheibe der Frickel-Könige um Fronter Warrel Dane, welcher ja unlängst Solo-Pfade beschritten hat, die offensichtlich auch Spuren hinterlassen haben. Seit Jahren nun haben sich die Jungs mehr oder minder immer wieder selbst übertroffen und nach „This Godless Endeavour“ ist wahrlich mehr als genug Zeit vergangen, um sich, neben den besagten Solo-Platten auf ein neues Stück gemeinsames Qualitätsarbeit zu konzentrieren. „The Obsidian Conspiracy“ ist da. Eine dreiviertel Stunde von dem Zeug, was bisher immer süchtig machte.

Oft hatte ich darüber nachgedacht, ob es auf diesem Planeten überhaupt eine Band gibt (außer meine eigenen), die NEVERMORE in der Komplettansicht das Wasser reichen kann. Jeff Loomis als absoluter Ausnahmegitarrist, Van Williams – der Trommler vor dem Herrn, Herr Sheppard am Bass und der für mich was Emotionen, ob nun aggressiv oder gefühlvoll anbelangt, der mit beste Sänger der Welt: Warrel Dane. Zu einer Enscheidung bin ich auch gekommen: Es gibt keine. Seit geraumer Zeit spielt die Band auf höchstmöglichem Niveau, ohne einen Rückschritt hinzulegen. Der Erwartungsdruck ist also riesig und entsprechend enorm könnte eine Enttäuschung ausfallen.

Enttäuschung, die man von NEVERMORE nicht gewohnt ist auch aller Wahrscheinlichkeit in den kommenden 3000 Jahren nicht gewohnt sein wird. Nicht einmal dann, wenn sich stellenweise die Songs etwas ähneln. Der Sound von „Moonrise“ kommt beispielsweise gefährlich nahe an „Narcosynthesis“ ran. Dafür klingt der Refrain umso anders. Mindestens genau so emotional geladen wie beim Track zuvor „Your Poison Throne“, der im Gegensatz zu „Moonrise“ noch eine ganze Portion wuchtiger daher kommt. Mister Dane verrät beim zweiten Song übrigens auch lautstark, was er denn am liebsten isst. Man muss nur genau hinhören…

Spaß beiseite, „The Obsidian Conspiracy“ ist das, was die Fans brauchen. Mehr Saft fürs Leben, mehr Drogen für den Rausch, mehr Öl für den Teppich. Als ewiger Verfechter des „Dreaming Neon Black“ Albums läuft mir der Track „And The Maiden Spoke“ mit dieser progressiven, unerbittlich harten Art, die dich einfach wegbläst und dich während des Refrains dann irgendwo zwischen Ohnmacht und Tränen im Nirvana schweben lässt, besonders gut rein. Wie auf den meisten NEVERMORE Alben darf auch hier der Chartbreaker in Form von „Emptiness Unobstructed“ nicht fehlen. Der Song ist extrem eingängig, weniger progressiv, dafür sehr viel leihter zugänglicher, als die meisten anderen Tracks. Single-verdächtig.

„The Blue Marble And The New Soul“, welches langsam und ruhig fließend zwischen Beklemmung und Befreiung wechselt, ist nichts für Freunde aus der Easy-Listening Fraktion. Nicht einmal dann, wenn nach guten drei Minuten der Schalter zur endgültgen Freiheit umgelegt wird. Ja, den Sinn für ergreifende Momente, sei es während Refrains oder auch nur bei Sekunde XY hat die Band definitiv raus. So auch bei „Without Morals“, das sich angenehm packend durch den Gehörgang stampft. Nicht bunt, sondern eher schwarz mit unendlich vielen Grautönen treiben sie es während „She Comes In Colors“. Welcher nun tatsächlich der beste Song der Scheibe ist, ob es überhaupt einen gibt, darauf möchte ich mich jetzt nicht festnageln lassen. Fest steht aber, dass der Titeltrack ganz weit mit vorne mitspielt. „The Obsidian Conspiracy“ vereint einfach alles, wofür dieses Album und die Kapazitäten der Band steht. Witzig auch der letztes Satz des Songs:“These Are My Last Words!“ Und schneller als gedacht ist der Silberling einmal durch.

Fassen wir also zusammen: Auf der einen Seite steht ein neues Album einer unschlagbaren Band. Es gibt keinen einzigen lahmen Song, dafür Höhepunkte verschiedenster Art und Weise in exorbitantem Umfang. Instrumenten-Fanatikern und der Shredding-Fraktion geht sowieso einer ab und allen anderen, ob sie nun die Band kennen oder nicht, aller Wahrscheinlichkeit nach auch. Extremgefrickel und Songs der Kategorie „Dich erkenn‘ ich eh erst nach X Durchläufen“ waren bisher immer vorhanden, auch in diesem Fall. Auf der anderen Seite stehen solch kleine Wiederholungen wie bei „Moonrise“. Abgesehen davon hört sich der Start des Titelsongs wie „Needled 24/7“ von CHILDREN OF BODOM an. Was ist denn da kaputt? An Warrels Stimme auf „The Obsidian Conspiracy“ muss man sich auch erst gewöhnen. Wer sein Solo Album kennt, wird überrascht sein, wie sehr sich die einstigen Höhenflüge mit dem eher ruhig-getragenen Gesang von „Praises To The Warmachine“ vermischen. Wir werden eben alle etwas älter, nicht wahr?

Wer bei NEVERMORE jedoch auf ein schlechtes Album wartet, kann warten bis er schwarz wird. Auch wenn dieses Album in meinen Augen keine Höchstnote verdient hat, lautet die Devise klarerweise: Ab in den Plattenalden! Sollte sich irgendwann einmal jemand das Album „aus Versehen“ kaufen, bleibt „Moonrise“ zu zitieren: „Welcome to your beautiful mistake.“ Übrigens, die vorliegende Version beinhaltet nicht die beiden Bonussongs von THE DOORS und THE TEA PARTY. Den Bonussong „Crystal Ship“, ursprünglich von THE DOORS gibt es auf der Myspace – Seite von Warrel Dane zu hören. Ich persönlich bleibe im Fall dieses Coversongs, wie bei NEVERMORE selbst, lieber beim Original.

8/10

HEIKO:

Ich könnte jetzt seitenlang darüber philosophieren, warum NEVERMORE meine persönliche Metal-Konsensband darstellen und ungefragt in Lobhudeleien verfallen. Ich könnte die Ungeduld beschreiben, die mich die letzten fünf Jahre immer heimgesucht hat, seit die Band ihr letztes Meisterwerk veröffentlicht hat, und die Aufregung, als die ersten Töne von „The Obsidian Conspiracy“ über mich herein fielen. Ich erspare euch diesen allzu persönlichen Ansatz, der den größten Teil von euch eh nicht interessiert, komme zum Punkt und beantworte die Frage, die sich die NEVERMORE-Fans stellen, die genauso ungeduldig auf das neue Lebenszeichen ihrer Heroes hin fiebern: „The Obsidian Conspiracy“ ist, zumindest aus meiner Sicht, erneut ein schwermetallischer Meilenstein.

Der zuerst offensichtliche Ansatz ist gegenüber „This Godless Endeavor“ ein anderer: „The Obsidian Conspiracy“ erscheint auf den ersten Eindruck eingängiger, kommerzieller schon fast. Wer NEVERMORE kennt weiß jedoch, dass der erste Eindruck nicht der ist, auf den man vertrauen sollte, denn nach dem fünften Durchlauf etwa, vielleicht nach dem sechsten, kommen die ganzen liebgewonnenen Details zum Vorschein, und trotz des altbekannten typischen NEVERMORE-Sounds gibt es auch diesmal wieder ein paar langsam aufblühende Überraschungen.

Ich habe in den letzten Tagen sozusagen das komplette Album erforscht, untersucht, gedreht und gewendet, und es gibt immer noch keinen einzigen Song, bei dem ich größere Kritik für angebracht halte. Im Gegenteil: Ohnehin schon großartige Nummern werden mit jedem Durchlauf stärker, während die Konkurrenz (sofern es die überhaupt gibt) immer mehr in Neid zu erblassen scheint. Vielleicht ist die Scheibe sogar die vielseitigste NEVERMORE-Scheibe bisher, ich habe den Eindruck, dass in dieser Dreiviertelstunde die gesamte Palette des Bandsounds abgegrast wird. Der Opener „Termination Proclamation“ ist eingängig, direkt, düster und dank Warrels etwas anders gearteter, etwas an sein Solowerk „Praises To The Warmachine“ erinnernder Vocals auch wieder ein klein wenig zynisch im Gesamtbild. „Your Poison Throne“ ist ein Thrasher im Dead Heart-Stil, bei dem dann auch wieder der Sinn der Band für ganz und gar großartige Hooklines mit Super-Refrains zum Tragen kommt. Jeff’s Gitarrenspiel ist aus Tausenden zu erkennen, bis zu diesem Zeitpunkt klingen NEVERMORE auf „The Obsidian Conspiracy“ in gewisser Weise wütender und zorniger als zuvor. Ein Eindruck, der vom abschließenden Titelsong unterstrichen wird, bei dem die Band nochmal sämtliche Register zieht und den Hörer plötzlich und ungeahnt in Schockstarre zurück lässt. Heavy, anspruchsvoll, hymnisch – und diese unvergleichlichen Melodiebögen. Alles dazwischen ist keinen Deut schlechter. „And The Maiden Spoke“ erinnert an den Vorgänger und glänzt mit Progressivität und latenter Sperrigkeit, „Emptiness Unobstructed“ bietet Gänsehaut-Emotion, die nur diese Band zu kreieren im Stande ist. Und der Rest! Bei „She Comes In Colors“ mit seinem Wechselbad der Gefühle entsteht ein „Into The Mirror-Black“-Deja-Vu, „Without Morals“ kann alles, „The Day The Built The Wall“ groovt gefährlich wie ein auf der Mission befindlicher Serienkiller vor sich hin, und „Moonrise“ beschwört die Dunkelheit herauf. Und dann ist da ja noch das Balladeske „The Blue Marble And The New Soul“ bei dem sich vor allem Warrel seiner Vorliebe für psychedelische 60ies-Sounds hinzugeben scheint. Eine anspruchsvolle ruhige Nummer, die wiederum ein paar Durchläufe braucht.

Bei „The Obsidian Conspiracy“ sitzt jede einzelne Note, die Produktion von SOILWORK-Gitarrist Peter Wichers klingt weniger klinisch als die von Andy Sneap (der diesmal immerhin noch für den Mix zuständig war), und dass Warrels Gesang hin und wieder an seine Soloscheibe erinnert, ist für mich in jedem Fall eine Bereicherung. Selbst als Die-Hard-Fan habe ich womöglich etwas kleinlich nach Schwachpunkten gesucht, um meine Rezension so objektiv wie möglich erscheinen zu lassen, gefunden indes habe ich keine. Mir bleibt nichts anderes übrig als die glatte Zehn, NEVERMORE klangen nie runder, vielseitiger – und nie klang jede einzelne Sekunde so unverzichtbar. NEVERMORE-Fans werden „The Obsidian Conspiracy“ lieben.

10/10

14.05.2010
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