Derzeit sind opulente Rockopern ja wieder mächtig angesagt und nachdem uns Altmeister Arjen Anthony Lucassen mit seinem AYREON-Zirkus bzw. Tobias Sammet mit seinem dritten AVANTASIA-Machwerk kürzlich die Ohren durchpusteten, gibt’s nun Nachschub in Form von NEVERLAND, was im übrigen nicht das geringste mit Michael Jacksons ehemaligem, ähem, „Kinderparadies“ zu tun hat. NEVERLAND – das sind vorrangig die Musikanten der türkischen Band DREAMTONE (noch nie von gehört, wenn ich ehrlich bin) sowie die griechische Sängerin Iris Mavraki (mir ebenfalls kein Begriff gewesen). Und damit es sich auch Rockoper nennen darf, bedarf es ein paar prominenten Gästen, wobei bei NEVERLAND wahrscheinlich schon aus finanziellen Gründen kein Overkill herrscht, sondern man sich mit Hansi Kürsch (BLIND GUARDIAN), Tom Englund (EVERGREY), Mike Baker und Gary Wehrkamp (beide SHADOW GALLERY) begnügt. Dafür aber mussten NEVERLAND bei den obligatorischen Orchesterparts nicht auf Konserve zurückgreifen, sondern konnten mit dem Istanbuler Symphonie Orchester klassische Musiker aus Fleisch und Blut anheuern. Ob es sich bei NEVERLAND nun um ein Projekt oder eine echte Band handelt, sei dahingestellt, „Reversing Time“ ist nun mal das Debütalbum und es ist ein wahrlich gelungenes, auch wenn es mit den Referenzbands dieser Sparte nicht ganz mithalten kann.
Eigentlich bin ich mir gar nicht so sicher, ob es sich bei „Reversing Time“ überhaupt um eine Rockoper handeln soll. Zumindest gibt man sich musikalisch sehr ambitioniert, während sich das Textkonzept um die Umkehrung der Zeit dreht. Musikalisch wirkt das ganze deswegen so eifrig, weil im Grunde genommen alles drin steckt, was drin stecken kann: Power, Melodic, Progressive, Folk, Klassik, Akustik, gar ein Hauch Gotencharme. Wer mit so vielen Zutaten um sich schmeißt, sollte auch das Rezept richtig gelesen haben und hier ist die Überraschung: NEVERLAND verfügen über ausgezeichnete Songwritingfähigkeiten! Fand ich das Album anfangs noch etwas wirr, wuchs die Scheibe mit jedem Durchlauf. Doch NEVERLAND schaffen es tatsächlich, Anspruch mit Eingängigkeit zu paaren, die Liebe zu den Details nicht aus den Augen zu verlieren und das alles in packende und teils dramatische Strukturen zu pressen. Vielleicht kommt ihnen dabei zu gute, dass sie eben nicht auf 15-minütige Monstersongs setzen, sondern sich eher kurz (so im 5-Minuten-Bereich im Schnitt) halten und dennoch dabei einen sehr epischen Eindruck hinterlassen. Bestes Beispiel dafür ist der Titelsong, der von den SHADOW GALLERY-Jungs und dem hervorragend eingesetzten Orchester geprägt wird. Symphonische Passagen, große Melodien, klasse Vocals und als i-Tüpfelchen ein erhabenes Gitarrensolo. Ein Highlight! Überhaupt gehören die Tracks, bei denen die Gastmusiker zu hören sind, zu den besten Stücken von NEVERLAND, „To Lose The Sun“ beispielsweise, welches exakt auf Hansi Kürsch zugeschnitten wurde und dieser sich mit einer außergewöhnlichen Performance artig bedankt. Oder das von Tom Englund genial gesungene „World Beyond These Walls“. Doch auch die „eigenen“ Songs können größtenteils überzeugen, sei es der mitreißende Opener „Shooting Star“ (erneut mit herrlichen Orchesterparts versehen) oder das überragende Abschlussinstrumental „Transcending Miracle“.
Abzüge in der B-Note gibt’s für die eher schwachen, sehr an langweilige NIGHTWISH oder ANTICRISIS (vom Gesang her) erinnernden Balladen „Everlasting Tranquillity“ und „Mountain Of Judgement“ sowie für „Mountain Of Joy“, das mir etwas zu sehr nach RHAPSODY-Kitsch-Happy-Metal stinkt. Zudem muss man eingestehen, dass die gesanglichen Fähigkeiten von Iris Mavraki (gut, aber unauffällig) und DREAMTONE’s Ognas Canatan (schwach) eher von begrenztem Wert sind. Nichtsdestotrotz ein gelungener Einstand mit einigen wirklich grandiosen Songs. Die Zielgruppe sollte reinschnuppern!
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