Neck Of The Woods - The Annex Of Ire

Review

Das Pelagic-Label von THE-OCEAN-Mastermind Robin Staps hat die nette Angewohnheit, häufig Bands zu veröffentlichen, die selbst schon ein wenig wie eine Facette im farbenprächtigen Sound der Post-Metal-Giganten klingen. Im Falle der Kanadier NECK OF THE WOODS betrifft das die Kombination von relativ typischen New-School-Hardcore-Parts mit atmosphärischen und progressiven Momenten, die durchaus an THE OCEAN erinnern. Doch NECK OF THE WOODS begnügen sich nicht mit nur dieser einen Zutat, sondern würzen und verfeinern; demonstrieren ihre Einflüsse und entwickeln sie weiter.

Was sind NECK OF THE WOODS eigentlich?

Überraschen können die Vancouver-Boys auf alle Fälle. “The Annex Of Ire” beginnt mit dem Titelsong – ein apokalyptisches, multi-segmentales Post-Hardcore-Epos, das neben Ballerparts stilvolle Akustikgitarren, elegische Leads und einen tollen Fretless Bass offenbart. Vor allem fällt auch der wuchtige und gleichzeitig sehr warme Sound auf, der – inzwischen sicher wenig überraschend – ebenso an jüngste THE-OCEAN-Ergüsse erinnert. Bei den folgenden Tracks “Ambivalence” und “Skin Your Teeth” addieren sich streckenweise gar Einflüsse à la LAMB OF GOD und DEVILDRIVER hinzu. Das wäre eigentlich ausgekaut und unspektakulär, wenn NECK OF THE WOODS dabei nicht hie und da ziemlich durchdacht progressive Elemente einflechten würden. So erinnern besonders die Gitarrensoli an ältere BETWEEN THE BURIED AND ME und gelegentlich sogar an NE OBLIVISCARIS.

Die latente Schwäche der Platte liegt allerdings in der Tatsache, dass “The Annex Of Ire” ein unglaublich gut komponierter Song und Opener ist, dessen Abgeschlossenheit und Schlagkraft keiner der folgenden Songs mehr entfalten kann. Dennoch hält das Album noch viel Gutes bereit. “Vision Loser” begeistert mit vielen getragenen Parts und einem interessanten Arrangement; “Strange Consolation” hat einen witzigen Up-Beat und im Mittelteil sogar modernisierte Seventies-Prog-Einschübe. Der letzte Song “The Tower” demonstriert das deutliche Potential von NECK OF THE WOODS noch mal eindrücklich und schafft es, Tech-Death-Riffs sogar ein bisschen catchy klingen zu lassen. Was sich möglicherweise wie eine völlig wirre Ansammlung von Einflüssen und Elementen liest, lässt sich soziologisch mit “nunmehr erwachsen gewordene Strickmützenfraktion frönt neben neuen Einflüssen nostalgisch der eigenen Skateboard-Vergangenheit” halbwegs in ein grobes Raster packen. In der Realität klingt das gar nicht so abwegig.

“The Annex Of Ire” – unglaubliches Potential, doch (noch) nicht voll genutzt

Was NECK OF THE WOODS hier abliefern, ist enorm kompetent und hat augenscheinlich auch ideell Hand und Fuß. Dennoch muss auf zwei weitere Kritikpunkte eingegangen werden. Am meisten stört an “The Annex Of Ire”, dass es sich selbst nie Zeit lässt. Kaum geht ein anspruchsvoller Part ins Ohr, wurde er der Band offenbar zu öde und sie schießen sofort einen hektischen Break, ein neues Riff oder einen kompletten Themenwechsel hinterher. Zudem hat Fronter Jeff Radomsky ein mächtiges Organ, das er nur leider fast immer gleich einsetzt. So ätzen die sehr beeindruckenden Shouts nach etwa der Hälfte des Albums ein wenig.

Dennoch sei NECK OF THE WOODS ohne Zweifel zugestanden, dass sie gelungene, anspruchsvolle Musik machen, die in allen, die ein Herz für verspleente Nischen haben, die Zielgruppe finden dürfte. Es ist absolut nicht auszuschließen, dass NECK OF THE WOODS die vorhandenen Möglichkeiten beim nächsten Album weiter auskosten. Es könnte aber auch ebenso das Gegenteil eintreffen und die Band entschließt sich, hektischer, schneller und technischer zu werden – was sie nicht unbedingt nötig hätte.

10.06.2020

Redakteur | Koordination Themenplanung & Interviews

Exit mobile version