Neal Morse - Sola Scriptura

Review

Über den Künstler NEAL MORSE brauche ich an dieser Stelle wahrscheinlich nicht viele Worte verlieren. Der Prog-Großmeister ist wohl jedem ein Begriff, spielte er doch über zehn Jahre bei SPOCK’S BEARD und weitere drei bei dem Allstarprojekt TRANSATLANTIC. Seit vier Jahren nun wandelt er auf Solopfaden, 2003 erschien sein Solodebüt „Testimony“. Mit „Sola Scriptura“ liegt nun das neuste Werk des christlichen Komponisten vor. Was an dieser Stelle der Verweis auf den religiösen Hintergrund soll, wird schnell klar, richtet man sein Augenmerk auf die Thematik, die NEAL für das neue Album erwählte; „Sola Scriptura“ kommt aus dem Lateinischen und bedeutet „nur nach der Schrift“. Somit geht es also um den Reformator Martin Luther, der erkannte und verkündete, dass „man ausschließlich nach den in der Heiligen Schrift niedergelegten Worten und nicht nach den von Klerikern verlautbaren Dogmen leben soll.“ So jedenfalls beschreibt der Künstler selbst die Thematik seines neuesten Albums.

Nun aber genug der Worte zu Vergangenheit und Thematik. Zeit, sich der Musik zu widmen, die, bei allem gebührenden Respekt, einfach ein ziemlicher Knaller ist. Nur vier Stücke umfasst „Sola Scriptura“. Vier Stücke? Da wird manch einer sich sicher fragen, ob er es nun mit einem Full-Length-Album oder doch nur einer EP zu tun hat. Der Sachverhalt klärt sich schnell, wenn man die beachtliche Länge der einzelnen Stücke betrachtet; über 75 epische Minuten umfasst das Werk, wobei der Opener „The Door“ mit gigantischen 29 Minuten schon weit länger ist als so manche Scheibe eines Grindkommandos mit gut zehn Stücken. Besonders beachtlich ist die Gitarrenarbeit. Für seine neueste CD hat MORSE sich Paul Gilbert ins Boot geholt, welcher als Meister seines Fachs stets Highlights zu setzen weiß. Progfans dürften sich in die komplexen Riffs, die einfach nur geile Wahwah-Gitarre und die schicken Unisonos sofort verlieben. Gilbert ist einfach ein Virtuose der sechs Saiten und beweist eindrucksvoll, wie man filigran das Griffbrett rauf und runter rutschen kann. Auch die anderen Musiker lassen keine großartige Kritik zu, dümpeln jedoch weitestgehend, was schade ist, im Belanglosen. Mike Portnoy von DREAM THEATER spielt natürlich absolut sauber, aber mehr als vor sich hin plätschern tut das Drumming nicht wirklich, Highlights zu setzen vermag man dieses mal im Schlagzeugspiel jedenfalls nicht. Abermals bezaubernd ist natürlich auch die Stimme von NEAL selbst; bei soviel Charme in den Vocals könnte man die dumpfen, kitschtriefenden Lyrics fast schon verzeihen. Ich habe nichts gegen religiöse Überzeugung einzuwenden, zumal, bin ich von dem liederlichen Pseudosatanismus im Black Metal schon übersättigt, das Christliche in der Musik auch mal eine willkommene Abwechslung darstellt. Was ich mich allerdings frage, ist, ob es nötig ist, jährlich mit Alben missionieren zu gehen und sich damit selbst schon zu karikieren. In den vorigen Alben leitet der Songwriter mit Erlösungsvisionen wahrscheinlich die Gründung einer eigenen Sekte ein, diesmal zeigt er, dass er von der Geschichte keine Ahnung hat. Luther wird sich im Grabe umdrehen und Jesus auf das Kreuze zurückspringen. Halleluja – was für ein Fauxpas!

Ob ich mich an dieser Stelle nun genug über die herrlich nervigen Texte ausgelassen habe? Im Grunde nicht, aber man soll ja immer dann aufhören, wenn es grade am Schönsten ist. Hach!, was bin ich froh, dass wenigstens der Rest der Musik Klasse hat! Hatte ich jemals ein Album zu rezensieren, dem gegenüber meine Gefühle absolut ambivalent sind, so ist es dieses hier! So weh es mir im Herzen tut – NEAL MORSE ist und bleibt einfach ein Meister des Prog und begeistert jedes Mal aufs Neue mit genialen Kompositionen. Schattenseite ist eine gewisse Stagnation, vielleicht aber hat er auch einfach ein Level erreicht, auf welchem angelangt ein anderes zu erreichen schwer fällt. Dass der Musiker sich selbst kopiert wäre allerdings auch falsch, er ist wohl einfach stilecht – fast eine Ikone. Auf „Sola Scriptura“ gibt er sich weitaus straighter und rockiger als etwa auf dem klassisch angehauchten „?“. Musikalisch wird dabei wohl jedes Proggerherz erwärmt, zumal MORSE eine weite Bandbreite abdeckt. Filigrane Soli von Großmeister Gilbert, sanfte Melodien, wahnsinnige Pickings, komplexe Riffwände – das, meine Herren, ist Prog! Willkommene Abwechslung bietet auch das sanfte „Heaven In My Heart“. Eine wunderschöne Pianoballade, unterstützt von Streichern. Lassen wir die plakative Thematik mal außen vor, ist auch das ein klasse Stück. Nun ist es Zeit für das Fazit, obwohl ich mich noch seitenlang über Klasse und Nervigkeit des Albums auslassen könnte. So viel Kritik ich an einzelnen Aspekten auch habe, „Sola Scriptura“ ist absolute Pflicht, Reinhören ein Muss! Abschließend bleibt nur zu sagen, dass NEAL MORSE abermals Freunden und Feinden seiner Musik ein gefundenes Fressen schenkt, für mich lautet die Devise also „Lyrics vergessen, Musik genießen!“.

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04.03.2007

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