Nasum - Human 2.0

Review

Erinnert sich noch jemand an den Y2K-Bug? Das hatte um die Jahrtausendwende eine ziemliche Massenhysterie ausgelöst, über die man heute – speziell in den Jahren nach den durch COVID verursachten Lockdowns – nur noch müde lachen kann. Aber heute sind wir und die Computer-Systeme auch viel schlauer. Nicht, dass dieses Ereignis direkt mit dem hier zu besprechenden NASUM-Klassiker „Human 2.0“ zu tun hätte, aber es heißt, dass der Albumtitel u. a. eine Referenz auf ebenjene Hysterie gewesen sei, was im oftmals gesellschafts-, polit- und kommerzkritischen Tenor des Grindcore ja durchaus Sinn ergibt. Sicher kommt es daher auch nicht von ungefähr, dass ein solches Album von einem Song namens „Mass Hypnosis“ eingeleitet wird.

NASUM nutzten das Moment ihres Debüts und schufen einen monströsen Zweitling

Das zweite Vollzeitscheibchen der Herren um den 2004 in Thailand während des verheerenden, durch das Sumatra-Andamanen-Beben ausgelösten Tsunamis tödlich verunglückten Mieszko Talarczyk folgte relativ zügig auf den ersten Streich. Nachdem die Schweden 1998 ihr Full-Length-Debüt „Inhale/Exhale“ veröffentlicht haben und damit auf Tour gegangen sind, konnte man 1999 den BURST-Bassisten Jesper Liveröd fest ins Lineup aufnehmen. Die Haudraufs aus Örebro haben das Moment entsprechend genutzt, um nach dem wüsten Debüt ein neues Album aufzunehmen. Gesagt, getan: Die Aufnahmen wurden im Herbst und Winter 1999 in Talarczyks heimatlichen Soundlab-Studio eingetütet, wo auch die Folgealben „Helvete“ und „Shift“ entstehen sollten.

„Human 2.0“ ist ein wahnsinnig wildes, barbarisch drauf los dreschendes Stück Grindcore, das keine Gefangenen macht und den Kalk nur so aus den Ohren rieseln lässt. Aggression und eine wahrhaftig unwirtlich klingende Produktion greifen ineinander, um ein Monstrum auf die Hörerschaft loszulassen, das sich keineswegs auf Anhieb verdauen lässt, sondern seine Hörer mit dem Zorn unzähliger Seelen zu überwältigen sucht. Gitarren und Bass formieren sich zu einem gewaltigen Distortion-Hybrid zusammen und sägen sich unerbittlich durch die Magengrube, während Anders Jakobson an den Fellen und Kesseln passend dazu alles kurz und klein haut. Der Sound übersteuert teilweise wirklich massivst, aber bei der Intensität gehört das irgendwie schon dazu.

„Human 2.0“ ist ein abartiges Biest mit einem kranken Sound

Doch bei aller Aggressivität blitzen immer wieder kleine aber feine Hinhör-Momente auf, die bereits wenn auch nur vereinzelt eine wachsende Reife der Schweden in Sachen Songwriting aufzeigen sollte. Und das sind nicht nur ominöse Downtempo-Passagen wie zu Beginn von „Multinational Murderers Network“ oder ein massiv groovender Break wie in „Sixteen“. In „Shadows“ beispielsweise begegnet der Hörerschaft eine fast schon irgendwie melancholisch klingende Harmonie, für deren Effektsteigerung sich NASUM trotz der kurzen (für Grindcore-Verhältnisse natürlich langen) Trackspielzeit von etwas über zwei Minuten tatsächlich Zeit nehmen und den Song geschmackvoll drauf zusteuern lassen.

Die eröffnende Passage von „Alarm“ könnte so sogar auch auf einem Atmo-Black-Album stehen. Naja, zumindest bis die Schweden ab der 36-Sekunden-Marke wieder alles kurz und klein holzen. Auch nett sind rhythmische Variationen wie der fast rockende Drive, den „Detonator“ entwickelt. Wären die Schweden damit nicht so vehement mit Bleifuß unterwegs gewesen, wäre das Ding alternativ auch als kompetent groovender Death n‘ Roller zu gebrauchen. Apropos Groove: „The Idiot Parade“ bekommt in der zweiten Hälfte des Tracks kurzzeitig einen fast Groove-Metal-artigen Downtempo-Part verpasst, der so richtig schön in die Nackengegend fährt.

Süchtig machende Aggression mit vereinzelten Nuancen

Solche Momente sollten natürlich nicht von dem Klang gewordenen Gemetzel ablenken, das „Human 2.0“ in seiner großteiligen Gesamtheit nun mal ist. Wie könnten sie auch. Cuts wie „Parting Is Such Sweet Sorrow“, „Nar Dargana …“, „Den Svarta Fanan“ oder „Riot“ prügeln die Flusen dermaßen hart aus der Hörerschaft raus, dass nur verbrannte Erde übrig bleibt. Talarczyks biestige Schreie und Growls überschlagen sich bei der irrsinnigen Geschwindigkeit regelrecht, was den enormen Furor hinter dieser Veröffentlichung nur noch mehr verstärkt. NASUM schufen mit „Human 2.0“ schlicht ein Album, dass durch sperrige Aggression brillierte, jedoch bereits ein Händchen für dramatischere Momente bewies, die auf den beiden Folgenalben noch weiter erforscht werden sollten. „Human 2.0“ ist ein zeitloses Grind-Blutbad, das man sich wenigstens einmal gegeben haben sollte. Und dann noch mal. Und dann noch mal …

09.10.2024

Redakteur für Prog, Death, Grind, Industrial, Rock und albernen Blödsinn.

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