Napalm Death - Scum (20th Anniversary)

Review

Was muss man noch über NAPALM DEATH sagen, was noch nicht erzählt wurde? Vermutlich nicht viel, dennoch möchte ich ein wenig über die Geschichte des Albums und natürlich das Album selbst erzählen.

„Scum“. Ein Album, das 1987 zunächst die englische Punk-Szene erschütterte und kurz darauf auch im Rest der Welt einiges an Aufsehen erregte. Bis dato hatte noch keine Band einen dermaßen heftigen Feger auf Vinyl gezaubert. Sicher gab es Bands wie DISCHARGE, REPULSION, EXTREME NOISE TERROR und und und, aber entweder kamen sie alle nicht aus dem Quark, waren zu unbekannt oder einfach noch nicht soweit. Nachdem auch ein gewisser Typ namens John Peel auf NAPALM DEATH aufmerksam wurde, war das der erste Schritt in die breitere Öffentlichkeit. Als „totaler Krach“, „Lärm ohne Sinn und Verstand“ oder „alles Schlechte der Musik versammelt in einem Album“ wurde „Scum“ von den Kritikern verschrien, dafür aber als „brachiale Offenbarung“ oder „das Non-Plus-Ultra in Sachen Hardcore“ von den Fans gelobt.

Dieser infernale Alarm war für die damalige Zeit etwas vollkommen Neues und unerwartetes. Besonders hervorstechend waren das kompromisslose High-Speed-Drumming, das fiese Geratter auf den Gitarren und der blubbernde Bass, sowie das extreme Gekeife des Sängers. Was heute dummerweise pauschal als Blastbeat bezeichnet wird (dumm deshalb, weil es grundverschiedene Arten des High-Speed-Drumming gibt, die mit der Bezeichnung Blast Beat alle über einen Kamm geschoren werden), galt damals als eine Art Revolution der extremen Musik. Grindbeat sagten wir seinerzeit oder einfach Grindcore. Diesen Begriff hatten wir von ein paar englischen Freunden übernommen, die uns auf einer Party seinerzeit damit vollsülzten (schon mal versucht, ’nem besoffenen Engländer aus der Londoner Umgebung zuzuhören? Das ist in etwa so, als wenn dir ein Zahnarztpatient mit Maulsperre zu erklären versucht, warum sein Fußballverein das letzte Mal nicht wirklich gewonnen hat und halt ganz knapp mit 0:4 Toren nach Hause fahren musste…) und uns erklärten, dass NAPALM DEATH das große Ding in der Punk-Szene drüben wären. Neben der extremen Musik waren auch besonders die Texte ausschlaggebend für den „Erfolg“ der Band. Es ging nicht um Horrorgeschichten oder anderen Blödsinn, sondern um politische und sozialkritische Inhalte und Themen, die zum Nachdenken anregten. NAPALM DEATH hatten den Zeitgeist getroffen.

„Scum“ war in weiterer Hinsicht ein besonderes Album. Man könnte fast soweit gehen und behaupten, dass es von zwei verschiedenen Bands eingespielt worden ist. Die erste Seite, aufgenommen im August 1986, hobelten Nik Bullen (Gesang, Bass), Justin Broadrick (Gitarre, Ex-GODFLESH, JESU) und Mick Harris (Schlagzeug, SCORN) ein. Danach zerbrach die Band und die zweite Seite wurde im Mai 1987 (deshalb sind auch zwei unterschiedliche Sounds auf der Scheibe zu hören) unter der folgenden Besetzung eingehämmert: Mick Harris: Drums, Bill Steer: Gitarre, Lee Dorrian: Gesang, Jim Whitely: Bass. Bekannt dürften einigen hier die Namen Bill Steer sowie Lee Dorrian sein. Während Steer nach (bzw. während) seiner Zeit bei NAPALM DEATH sein Glück mit CARCASS versuchte (und eine weitere Legende aus der Traufe hob), widmete sich Dorrian den eher düster schleppenden Klängen und gründete CATHEDRAL.

Auf „Scum“ stehen dann auch Band-Klassiker wie das Titelstück, „The Kill“, „Life“, „Deceiver“, „Siege Of Power“ oder der eineinhalb Sekunden lange Track „You Suffer“, alles Lieder, die auch heutzutage noch auf NAPALM-DEATH-Konzerten ins Publikum geschossen werden.
Teilweise etwas seltsam anmutend, wenn man bedenkt, dass mittlerweile kein einziges Band-Mitglied aus der „Scum“-Zeit mehr dabei ist.

Natürlich muss man dieses Album der damaligen Zeit entsprechend werten und darf nicht den Fehler begehen, moderne Grindcore-Alben als Vergleich heranzuziehen. Was 1987 ein Killersound war, würde heute vermutlich nicht einmal mehr belächelt werden. Trotzdem hat „Scum“ Musikgeschichte geschrieben und die Pforten einer neuen, extremen Szene, eines ganzen Genres geöffnet. Der Grindcore war offiziell geboren und es sollte nicht lange dauern, bis weitere Bands Blut leckten. Der Rest ist bekanntlich Geschichte…

Das original Album, ohne Veränderungen am Sound, kommt als Dual Disc mit der DVD-Seite „The Scum Story“, einer Dokumentation über das Album inklusive einem sehr detaillierten, rund 45minütigen Interview mit dem damaligen NAPALM-DEATH-Drummer Mick Harris. Sehr sehenswert; sicherlich nicht nur für Anhänger der Band und Nostalgiker. Wenn man sich erstmal mit dem Akzent von Harris (aus Birmingham) angefreundet hat, klappt das mit dem Verständnis auch ganz gut.
Im Booklet kann man sich die Texte mit einer Lupe durchlesen und diverse Fotos von damals begutachten. Alles in allem eine rundum gelungene Würdigung dieses Klassikers.

01.04.2007
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