Naglfar - Pariah

Review

Wachablösung auf der Brücke des schwedischen Melodic-Black Flaggschiffs! Kapitän Jens Rydén hat das Deck verlassen, um sich an Land ganz seinem Studium des Grafikdesigns zu widmen, und hat seinen Posten seinem langjährigen ersten Maat Kristoffer Olivius überlassen, der die leitende Aufgabe auf dem Schiff der Toten nun hauptamtlich bekleidet. Live hat der dafür den Bass an Morgan Lie (AUBERON, bereits NAGLFAR von 1995-97) abgegeben und auch die Segel bei SETHERIAL gestrichen, bei denen er lange Jahre Kommandant der schwedischen Schwarzmeerflotte war.
Für NAGLFAR’sche Verhältnisse kommt man mit „Pariah“ nach nur zwei Jahren, die seit der letzten Veröffentlichung „Sheol“ vergangen sind, ungewohnt flott aus der Hüfte. Die bisherige Vita der Schwarzheimer ist seit eh und je durch Verzögerungen gekennzeichnet, die Releases wie „Diabolical“, dem ewig verspäteten „Ex Inferis“ oder auch besagtem „Sheol“ schon fast den Charakter von Comeback-Alben verleihen, zumal es in den Jahren dazwischen auch immer sehr still um die Band war. Die Behauptung, dass man damit einiges Potenzial verspielt hat, lässt sich wahrscheinlich nur für die Popularität der Band aufrecht erhalten. Auf die Qualität der Outputs konnte man sie bislang jedoch keinesfalls anwenden. Ein Nebeneffekt dieser großen Lücken im Veröffentlichungsrhythmus war jedoch mit Sicherheit die ausgeprägte Meinungsbildung in der Fangemeinde, die so genug Zeit hatte, über die Perlen zu diskutieren, die NAGLFAR ablieferten, wenn sie sie denn einmal ablieferten. Der Tatsache, dass „Vittra“ lange Zeit ausverkauft war und erst Jahre nach der Veröffentlichung des Zweitwerks „Diabolical“ durch einen Re-Release auf Regain Records zu neuen Ehren gelangte, dürfte es zuzuschreiben sein, dass sich die NAGLFAR Fangemeinde in zwei Lager einteilen lässt: zum einen in die Connaisseure der ersten Stunde, die dem damals bahnbrechenden Debüt seit eh und je die Treue halten, und in die verhinderten, jedoch nicht minder begeisterten Anhänger, die aufgrund der Knappheit an „Vittra“-Kopien erst zur „Diabolical“-Ära auf die Band aufmerksam wurden. Qualitativ unterscheiden sich beide Alben praktisch nicht, wohl aber stilistisch. Denn während „Vittra“ mit melodisch-atmosphärischem Black Metal begeisterte, war es bei „Diabolical“ die düster-aggressive Raserei, die für offene Münder sorgte. Klassiker finden sich unbestreitbar auf beiden Veröffentlichungen, auch wenn viele Fans des Debüts die Abkehr von den „Vittra“-typischen Trademarks beklagten.
2003 sollten sie allerdings wieder versöhnt werden, denn „Sheol“ bot bei reduziertem Härtegrad und etwas gezähmter Düsternis wieder melodische BM-Granaten, die jedem Kritiker einen Knoten in die Zunge machen sollten. Doch leider folgen NAGLFAR mit „Pariah“ dem Beispiel zahlreicher anderer Formationen und fallen der Versuchung anheim, auf Nummer sicher gehen und an den Erfolg von „Sheol“ mit verkrampfter Reproduktion anknüpfen zu wollen. Alles, was es auf „Pariah“ zu hören gibt, hat man vor zwei Jahren schon einmal gehört, mit dem kleinen aber umso gravierenderen Unterschied, dass man diesmal die Elemente, die den Vorgänger so groß gemacht haben, weggelassen hat: „Pariah“ ist das erste NAGLFAR Album ohne Hits. Abgegriffene Riffs, generische Melodien, vorhersehbare Songs und Strukturen ohne Überraschungseffekte sind Attribute, die ein Novum in der Beschreibung eines NAGLFAR-Albums darstellen, in Bezug auf „Pariah“ aber leider zutreffen. Die Scheibe hört sich beklagenswerter Weise an wie eine beliebige durchschnittliche 08/15 Melo-Black-Platte und geht nahezu spurlos am Hörer vorbei. Zwar fehlt Jens‘ markantes, unverwechselbares Gekeife, doch dem Charismadefizit in Kristoffers Stimme, die zwar keinesfalls schlecht ist, aber doch um einiges konturloser wirkt, ist die Schwäche des Albums nicht anzukreiden. Während in der Vergangenheit jedes Album vor Bombensongs nur so strotzte, schafft es nicht einmal der stärkste Song auf „Pariah“ („A Swarm Of Plagues“) an alte Glanztaten anzuknüpfen. Zwar wird das, was geboten wird, handwerklich hochwertig präsentiert und in einen transparenten Sound verpackt, doch diese kosmetischen Pluspunkte können nicht über die schwachen Songs hinwegtäuschen.
Vielleicht hätte eine längere Sendepause dem Ergebnis gut getan, wer weiß? Vielleicht mag das Album „Vittra“-Anhängern oder neu hinzugekommenen Fans gefallen, die mit „Sheol“ angefangen haben, wer weiß? Vielleicht muss man sich aber auch einfach nur von der Hoffnung auf ein „Diabolical 2“ verabschieden, wer weiß? Aber eines ist ganz klar: so darf sich eine Legende nicht selbst entmystifizieren!

13.06.2005
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