Nachtgeschrei - Aus Schwärzester Nacht

Review

Galerie mit 21 Bildern: Nachtgeschrei auf dem Summer Breeze Open Air 2017

Der Schritt von „Ardeo“ zu „Aus schwärzester Nacht“ lässt sich für NACHTGESCHREI kaum besser zusammenfassen, als mit einer Textzeile wie „Im Feuer gebadet steigen wir auf!“. Als der damalige Sänger und Sympathieträger Hotti die Band verließ, kamen von allen Seiten Unkenrufe ob der Ersetzbarkeit seines Organs. Zuweilen spukte gar das Gerücht umher, die Frankfurter Mittelalter-Band löse sich auf, doch diese Rechnung wurde ohne die Band gemacht. In Martin LeMar (MEKONG DELTA) fand man Ersatz. Ersatz, der auf Album Nummer Vier sein Debüt feiert.

Und nun, im März 2013, wollen die sieben Musiker wieder voll angreifen und Mittelalterrock-Fans ein weiteres gutklassiges Werk bieten. Wo viele Kritiker NACHTGESCHREI gerne als Randerscheinung abstempeln wollen, haben sie meiner Auffassung nach aufgrund ihrer frischen Ideen bzw. neuen Ansätzen mit „Ardeo“ seinerzeit einen wahren Achtungserfolg gelandet und damit mehr als nur eine „simple“ Daseinsberechtigung. Selbst wenn ihnen der großflächige Erfolg verwehrt blieb. Es ist der Spagat aus Mittelalter und Moderne, den die Recken wie keine zweite Band beherrschen – auch auf „Aus schwärzester Nacht“.

Dabei muss ich zugeben, dass sich beim Opener „Sirene“ schon eine vage Skepsis breit machte. Alarmierend tönende Gitarren im Wechselspiel, leichter Dudelsackeinsatz im Hintergrund und die bis dato ungewohnte Stimme – schlecht gemacht ist das nicht, im Gegenteil. Als Einführung versagt das Stück aber darin, einen gewissen Spannungsbogen aufzubauen. Folgendes „Die Geister, die uns riefen“ offenbart da schon deutlich mehr Potenzial, und spielt gleichzeitig zum ersten mal die Trümphe der Band so richtig aus. Die dezent eigenwillige Melancholie gepaart mit metallischen Gitarren und eingängigem Refrain. All das, was viele Größen in diesem Bereich nur im Teilangebot haben, vereinen NACHTGESCHREI hier. Das erlaubt gleichzeitig aber eine gewisse Ambivalenz, dass man sich etwas weniger tiefgründig offenbart, doch selbst in diesem Bereich hat man sich weiterentwickelt bzw. verbessert. Mit Martin LeMar ist zudem vor allem im lyrischen Bereich ein Fortschritt zu erkennen, fügt sich doch seine Stimme äußerst ansprechend ins Gesamtbild der Band ein, und verleiht den Stücken einen zusätzlichen, völlig neuen Charme – ohne sich dabei künstlich anzupassen bzw. seine Tätigkeiten in anderen Genres zu verleugnen.

Die Folk-/Mittelalter-Instrumentation ist abermals sehr eigenwillig komponiert, wobei das Akkordeon im rein instrumentalen „Na Sdorowje!“ (dürfte live sicher für genügend Publikumsinteraktion sorgen) oder dem demütigen „In der Schwärze der Nacht“ nach wie vor seinen Platz im Soundgefüge findet. Präsenter ist auch der Einsatz der Drehleier geworden, welche „Der Ruf“ ein starkes Intro verleiht und häufig für einen prägnanten Background sorgt. So richtig interessant und fast schon abgedreht ist hier der für diese Musikrichtung völlig untypische Breakdown, welcher aber keineswegs gezwungen oder deplatziert wirkt, sondern durchaus ein überrascht-anerkennendes Nicken entlockt.

Durchaus überambitioniert ist die Länge des Albums, die sich auf eine gute Stunde abrunden lässt, aber dabei zwei bis drei Stücke enthält, die das ansonsten hohe Niveau von „Aus schwärzester Nacht“ nicht halten können und eher übersprungen werden wollen. Verübeln kann man das dem Septett allerdings nicht, da ihnen trotz dessen eine überzeugende Scheibe gelungen ist, die vor Leidenschaft und Spielfreude nur so strotzt. Und in diesem Punkt hat die Plattenfirma nicht übertrieben: NACHTGESCHREI sind „kämpferisch, leidenschaftlich, echt und persönlich“ und „fernab weichgespülter Formatmusik oder metduseliger Tavernenseligkeit“. Touché, aber besser hätte man’s nicht formulieren können.

13.03.2013

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