MYRATH sind eine kleine Sensation. Die erste Metal-Band Tunesiens, die Profi-Niveau erreichen konnte, veröffentlichte seit 2007 fünf durchweg hochwertige Alben, tourt beständig und erfreut sich stetig wachsender Beliebtheit, ohne Teil eines temporären Hypes zu sein. Ihr eigenständiger Sound, der Progressive Metal im Stile neuerer SYMPHONY X und DREAM THEATER mit Versatzstücken nahöstlicher und nordafrikanischer Folklore verbindet, liefert perfekte Vorbedingungen für eine theatralische und ästhetisch ansprechende Show. Die erste Live-DVD von MYRATH bietet erneut durchdachte und liebevoll umgesetzte Qualitätsware, die in Zeiten abgesagter Tourneen und Festivals zumindest ein kleiner Trost sein kann.
“Live In Carthage” von MYRATH ist niveauvolles Home-Entertainment
Wie aus dem Titel hervorgeht, schnitten MYRATH für ihr erstes Live-Dokument einen speziellen Gig im antiken Karthago nahe der tunesischen Hauptstadt Tunis mit. Als Location diente ein altes Amphitheater, das für eine sehr stimmige Atmosphäre sorgt – die wird ebenso hervorragend von weiteren Gimmicks wie Teppichen, ornamentalen Torbögen, Gast-Trommlern und einer Bauchtänzerin intensiviert. Gewiss bewegt sich das latent Broadway-mäßige Ambiente sacht an der Grenze zum Kitsch. Letztlich muss man MYRATH aber anerkennen, dass sie viel Energie in ein klug durchdachtes Konzept investierten, das im Metal noch nicht oft angewandt wurde. Außerdem stellt das Ergebnis einen angenehmen Kontrast zur häufig sehr “westlich” geprägten Ästhetik der meisten Metal-Bands dar. Als Gesamtkunstwerk funktioniert “Live In Carthage” – ähnlich wie bei ORPHANED LAND – ausgezeichnet.
Nach dem verheißungsvollen Intro “Asl” machen MYRATH mit “Born To Survive” eine klare Ansage. Sound- und Bildqualität sind überragend, die Energie und Spielfreude ansteckend. Angeführt von Sänger Zaher Zorgati, der wie ein Honigkuchenpferd strahlt, liefern MYRATH eine unglaublich lässige Performance voller Tightness und Leidenschaft. Alle Musiker sind Meister ihrer Instrumente, doch der wie ein Charakter aus “Game Of Thrones” wirkende Zorgati ist mit seinen Entertainer-Fähigkeiten und der etwas an Jørn Lande erinnernden Stimme ein echter Blickfang. Trotz aller Perfektion in Ton und Bild bleibt echtes Live-Feeling durch die vielen Publikumschöre und vereinzelten Jam-Parts immer erhalten.
MYRATH machen es schwer, schlechte Laune zu bekommen
Obwohl die Musik von MYRATH voller positiver Inhalte über Frieden, Hoffnung und Selbstermächtigung ist, machen sie niemals oberflächliche Partymusik. Dafür haben die Arrangements zu viel Finesse; dafür sind die Themen ihrer Songs zu ernst. Zwar weisen einige Refrains viel Pop-Appeal auf, doch die von Band und Publikum erzeugte Energie ist im Kern die Botschaft von Heavy Metal: einer relativen Wertegemeinschaft anzugehören, die Schutz und Eskapismus vor einer zunehmend reaktionäreren Welt bietet. Songs wie “Believer” und “Dance”, das von einem durch den IS mit dem Leben bedrohten Tänzer handelt, sind dahingehend vor allem in ihrer Live-Darbietung ergreifend.
Es ist außerdem sehr sympathisch, dass MYRATH jederzeit sehr professionell, doch völlig frei von sichtbaren Rockstar-Allüren agieren. Sie zeigen sich als verbundene Einheit, in der jedes Mitglied Parts im Rampenlicht genießen kann. Besonders treten Anis Jouinis Bass-Soli wie in “Get Your Freedom Back” und der oft wichtige Harmoniegesang von Keyboarder Elyes Bouchoucha hervor.
“Live In Carthage” macht Hunger auf echte Konzerte
Man kann nur hoffen, dass es bald wieder eine konzertfähige Welt geben wird. Denn MYRATH haben hier ein superbes Live-Zeugnis vorgelegt, dass exzellent als Kaufargument für ein künftiges Konzertticket dieser Band dient. Grundsätzlich werden alle Erwartungen an eine erste Live-DVD erfüllt, die nur zwei kleine Schönheitsfehler hat: Die Untertitel blenden meist zu schnell ab, sodass es schwierig ist, den abwechselnd englischen, französischen und tunesisch-arabischen Ansagen zu folgen (im komplett französischen Making-of ist das leider auch so); außerdem ist das Artwork ein Photoshop-Schnellschuss, der der Qualität des Inhalts nicht gerecht wird.
Derlei Kritikpunkte sind bei einer Konzert-DVD allerdings zu verschmerzen. Das Package mit beiligender CD macht es überdies möglich, “Live In Carthage” in der reinen Audio-Version zu goutieren. Als klassisches Live-Album mit Kopfkino-Faktor funktioniert das aufgrund des klaren, aber sehr lebendigen Sounds vorzüglich. Bei den Publikumschören ist sowieso große Gänsehaut angesagt. Somit stimmt auf MYRATHs erster Live-Veröffentlichung gleich sehr viel: Von der abwechslungsreichen Songauswahl, die auch härtere Nummern wie “Wide Shut” oder “Merciless Times” integriert, über die Top-Produktion, hin zur mitreißenden Darbietung. Wenn Zorgati dem Publikum nach dem “Beyond The Stars”-Finale “It really warms my heart!” zuruft, kann man das nur erwidern. Obendrein rundet ein cooles Studio-Remake des “Legacy”-Tracks “Believer” mit Star-Keyboarder Don Airey (u. a. DEEP PURPLE, OZZY OSBOURNE, GARY MOORE) die beiliegende CD-Version ab.
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