Myra - Valley

Review

Scheiße! Scheißeeeee! Noch einmal der hektische Blick zur Uhr. Mist – es ist wirklich schon so spät. Zu spät. Die Nachbarn stehen vermutlich schon längst kerzengerade in ihren Betten und haben den Schock ihres Lebens erlitten. Kann ihnen auch keiner verübeln, bei diesem Geplautze. Schnell, verdammt nochmal, schnell!! Leiser drehen! Dreh endlich leiser! Ok, alles klar, ok. Du hast leiser gedreht. Kurz durchatmen. Erstmal vorsichtig horchen. Die kommen jetzt klingeln. Die müssen einfach klingeln kommen. Und die von untendrunter wahrscheinlich auch. Scheiße. Wärst du mal ein bisschen vorsichtiger gewesen.

Klar, die Namen Jacob Bredahl und Tue Madsen hätten ein Warnung sein können. Wie gesagt: hätten. Aber in Zeiten, in denen jede zweite Platte mit „crushing“, „devastating“ oder „demolishing“ beworben wird, sich dann aber als laues Lüftchen herausstellt, hat man einfach eine gewisse Gleichgültigkeit entwickelt, was bunte Aufkleber mit lobpreisenden Produktinformationen anbelangt. Nunja, im Falle von „Valley“ war das mal ein richtiger Griff ins Klo.

Denn die Scheibe der Leipziger Krawallbrüder MYRA kracht dermaßen vehement aus den Boxen, dass dir der Sprudel aus dem Pils pfeift. Das ist vor allem insofern bemerkenswert, als dass den Sachsen nach dem 2010er Album „Godspeed“ zuerst der Drummer und dann der Sänger abhanden kam und die Truppe anschließend vier Jahre lang brauchte, um sich neu aufzustellen und ihr neues Werk einzutrümmern. Geschadet hat die Personalrochade nicht, eher im Gegenteil. Zudem holte sich die Band in eingangs erwähnten Herrschaften aus Dänemark sowie dem Leipziger Soundpionier Andy Schmidt (u.a. DISILLUSION) für die Produktion ihrer dritten Scheibe ausgesprochen fähige Leute hinters Pult – ein Schritt, der sich im Klang der Platte bemerkbar macht: „Valley“ kommt mit einer wuchtigen, modernen Produktion daher: untenrum richtig fies und obenrum mit genug Raum für die Entfaltung der Feinheiten des Instrumentariums.

Im Laufe der knapp 40 Minuten servieren MYRA eine brachiale Mixtur aus zeitgemäßem, bodenständigen Metal und wütendem Hardcore. Hinzu gesellen sich immer wieder melodisch eingängige Passagen, in denen auch mal – was Klangfarbe und Flair angeht – in Richtung Melodic Death (SOILWORK, IN FLAMES, etc.) geschielt wird. Gelegentlich erinnert das Ganze auch an polternde HATESPHERE-Taten, aber auch diverse Truppen aus der Modern-Metal-Riege wie DEADLOCK und Artverwandte dürften ihre Spuren im Sound des Fünfers hinterlassen haben. Was das Songwriting generell anbelangt, greifen die Leipziger auf „Valley“ oft zur altbewährten Formel: hämmernde, aggressive Strophen und melodisch gehaltene Refrains, gern auch garniert mit ein paar schmissigen Gang Shouts.

Erst die gute Nachricht: Auf der Scheibe findet sich kein einziger, wirklich schlechter Song (den schwächsten Eindruck macht noch das instrumental-balladeske „Earth“ – die Nummer als „Ausfall“ zu bezeichnen, wäre aber zu hart). Die schlechte: Trotz der beeindruckenden Durchschlagskraft der Tracks ist auch kein wirklicher Knaller dabei. Klar – „Blind“ beispielsweise geht mit griffigem Drei-Akkord-Auftakt und anschließend flottem Riffing gut ins Ohr, Groove und Tempo werden im weiteren Verlauf gekonnt variiert – und auch der (Wir-brüllen-alle-gemeinsam-den-)Refrain trifft ins Schwarze. „Abyss“ mit Gastsänger Michael Huber alias Michelle Darkness (END OF GREEN) wiederum punktet mit prägnantem Anders-Fridén-Refrain und „Crown“ gefällt mit einem gelungenen Wechselspiel aus Blast-Strophen und melodisch stampfendem Riffing.

Aber: MYRA wollten ein Hit-Album schreiben, haben sich dafür von kompetentem Personal beraten lassen – und trotzdem geht das Konzept am Ende nicht vollständig auf. Vornehmlicher Grund ist, dass der neue Fronter Florian Batze zwar mit respektablem Einsatz und großer Leidenschaft agiert, stimmlich aber nicht in der Lage ist, den Songs die Krone aufzusetzen. Der Mann brüllt und brüllt und singt – und doch fehlt ihm (auch vor dem Hintergrund seiner mächtig lärmenden Mitstreiter) einfach das letzte Quäntchen Kraft und Charakter, um sich im Bandgefüge durchzusetzen. So bleibt der Gesang auf „Valley“ zumeist formlos, manchmal beschleicht einen sogar das Gefühl, dass sich Batze in den Refrains hinter dem oft bemühten Chor seiner Kollegen versteckt – oder verstecken muss.

Letztlich reicht das hier Gebotene für gute sechs Punkte. Und die gibt es für eine Platte, die mit hörbarer Hingabe geschrieben und eingespielt wurde, der aber das Markante und auch ein wenig Identität fehlt. Für eine Platte, die richtig Dampf auf dem Kessel hat und phänomenal produziert ist. Für ein paar wirklich gute Songs. Und für meine Nachbarn.

04.02.2015

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