Immer wenn ich traurig bin, trink ich einen Korn. Das hat vielleicht beim guten Heinz Erhardt funktioniert, aber ich kann an das Gesöff einfach nicht so richtig ran. Da lege ich dann doch lieber eine gute Doom-Death-Scheibe auf. Wobei, stimmt auch nicht so ganz, denn um die zu hören, muss ich nicht unbedingt traurig sein. Egal. „Turn Loose The Swans“ von MY DYING BRIDE ist beispielweise so eine Scheibe, welche sich immer wieder in schöner Regelmäßigkeit durch meine Gehörgänge schleppt. Und das ist auch nicht weiter verwunderlich, denn was die britischen Trauerweiden hier 1993 veröffentlicht haben, zählt ohne Wenn und Aber zu besten Doom-Death-Platten überhaupt.
Doom Death in höchster Vollendung
Peaceville Records hatten ja Anfang und Mitte der 90er-Jahre quasi ein Monopol auf nahezu sämtliche geniale Scheiben dieses Genres, man denke da nur an PARADISE LOST oder ANATHEMA. Dass jedoch MY DYING BRIDE bereits mit dem Zweitling ihr Meisterwerk abliefern würden, konnten wir zum damaligen Zeitpunkt natürlich nicht wissen. Doch die musikalische Genialität von „Turn Loose The Swans“ stand von Anfang an nicht im Zweifel. Man höre sich nur diesen tieftraurigen Beginn des Openers „Sear Me MCMXCIII“ an, dieses unnachahmliche Violinen-Thema, dazu Aaron Stainthorpes genial leidender Gesang. Wer da keine Gänsehaut bekommt, ist entweder taub oder härter als Granit.
Man rezitiert einfach immer wieder das Hauptthema des Song und unterlegt dies nur mit einigen dezenten Piano- und Bläserpassagen. So minimalistisch das ist, so unglaublich wirkungsvoll ist es auch. Der Klassiker „Your River“ bringt dann jedoch den Death in den Doom. Zunächst leidet Aaron wieder herzergreifend, und mir fällt kaum jemand ein, der dies so überzeugend rüberbringt, wie er. Die Musik ist erneut vertonte Bitterkeit, immer am schmalen Grat zur Zerbrechlichkeit wandernd. Dennoch gibt es immer wieder zarte Hoffnungsschimmer und klitzekleine Lichtblicke. Diese werden jedoch umgehend durch die ersten punktgenau eingestreuten Growls wieder in die Schatten verwiesen.
Zu „The Songless Bird“ hatten die Jungs damals ein Video veröffentlicht, in dem allerdings im Gegensatz zum Song jetzt nicht allzu viel passiert. Dieser besticht nämlich mit seinem coolen Mix vom Death Metal des Debüts „As The Flower Withers“ mit extrem doomigen Passagen. Ähnlich geht auch „The Snow In My Hand“ zu Werke. Hier wechseln sich ebenfalls garstige, todesmetallische Elemente mit anderen ab, die dich wie zwei riesige Mühlsteine unbarmherzig einsaugen und ganz langsam zermalmen.
„The Crown Of Sympathy“ ist dann nicht nur der längste Song der Scheibe, sondern auch jener, welcher am deutlichsten im „reinen“ Doom wildert. Hier präsentieren sich Musik und Gesang dermaßen melancholisch, dass man immer wieder das Gefühl hat, Sänger Aaron würde jeden Moment abklappen. Hier offenbart sich mal wieder der berühmte Unterschied zwischen Musik spielen und Musik leben. Und immer wenn man denkt, langsamer und zäher geht’s nun wirklich nicht mehr, schalten MY DYING BRIDE doch noch einen Gang runter. Die erneut dezent eingestreuten Fanfaren unterstreichen die Majestät passend zum Titel nur noch zusätzlich. Somit wäre der schwarze Teppich für das absolute Highlight der Scheibe ausgerollt, den die Band dann auch sofort zielsicher beschreitet.
See the light and feel my warm desire…
Der Titelsong ist ein wahres Meisterwerk! Dieses hypnotische Riff zu Beginn, die langsam einsetzende jammernde Violine und der sich stetig steigernde Doom Death, das ist wahrlich was für die großen Bühnen. Dann der Bruch, Regen und Gewitter setzen ein und erneut übernimmt die Geige den Übergang zum hochmelodischen Teil. Dieser wird wieder dominiert von äußerst fragilem Klargesang. Dann der erneute Bruch, und alleine schon wie Aaron dann die Zeile „Turn Loose The Swans“ growlt, das ist schlicht genial. Einen perfekteren Übergang zwischen zwei Stilen habe ich nie wieder gehört.
Das diese Göttergabe beschließende Outro „Black God“ ist dann wieder in der Tradition des Openers ein aufs Notwendigste reduziertes Stück und schließt somit perfekt den Reigen der Trauer. Hier hört man nur Piano, Violine, weiblichen Gesang und Aarons sprechend-flüsternde Stimme, der perfekte Ausklang. Und dann ist man sich plötzlich nicht mehr sicher, ob alles wirklich so hoffnungslos ist oder man doch lieber die Repeat-Taste drücken soll …
MY DYING BRIDE hatten mit „Turn Loose The Swans“ den Death-Anteil zugunsten des Doom um einiges reduziert. Trotzdem ist die Scheibe fest in beiden Genres verankert und bietet eine vollauf gelungene Mischung zwischen den beiden. Da ist jeder einzelne Ton wohlüberlegt, jede einzelne Note perfekt platziert. Und die genial eingesetzte Violine verlieh dem Ganzen nicht nur damals eine ganz besondere Note. Für mich ist diese Scheibe bis heute ein, wenn nicht sogar das Referenz-Werk, an dem sich die anderen die Zähne ausbeißen.
Da kann es natürlich nichts anderes als die Höchstnote geben!
Diese Review erschien zuerst im Rahmen des Specials „Weltschmerz: Unsere liebsten Doom-Perlen„.
Jepp, alles andere als eine „zehn“ ist … fällt mir nix zu ein, das würde halt einfach nicht richtig sein 🙂
ES gibt Scheiben die schlecht altern und manche gut.Diese CD dreht sich auch noch ab und zu in meinem Player,ein Meisterwerk, wie fast alles von MDB.