Unter "Blast From The Past" erscheinen jeden Mittwoch Reviews zu Alben, die wir bislang nicht ausreichend gewürdigt haben. Hier gibt es alle bisher erschienenen Blast-From-The-Past-Reviews.
„As The Flower Withers” war im Mai 1992 der offizielle Startschuss für MY DYING BRIDE, einer Band, die vom ersten Moment ihre eigene Nische finden wollte. 1990 gegründet, verfeinerte die Formation aus Halifax in West-Yorkshire den allgegenwärtigen Death Metal um doomige Elemente und ließ sich mehr von dem leiten, was sie ausdrücken wollte, als das, was gerade der Norm entsprach.
Im März 1992, und damit nur zwei Monate vor dem Debütalbum, veröffentlichte das um den Geiger (und Keyboarder) Martin Powell erweiterte Quintett eine Zwei-Track-EP mit dem bedeutungsschwangeren Titel „Symphonaire Infernus Et Spera Empyrium“, bei dem sie ihren Death Metal mit allerlei Zutaten zu einer teils mittelalterlichen, teils barocken Angelegenheit machten: Mit Geigenklängen, Glocken und Chören – und vor allem einer einsamen und abgründigen Atmosphäre.
MY DYING BRIDE lieben es abgründig
Das Debütalbum geht diesen Weg weiter: Auch hier findet sich bisweilen schrotiger Death Metal mit flirrenden Gitarren (wenn man bei tiefergestimmten Saiten von Flirren sprechen mag) und einem Double-Bass-Gewitter, während Sänger Aaron Stainthorpe seine verhallten Grunzvocals eher ausspeit als genussvoll formt. Dafür steht beispielsweise das Stück „The Forever People“. Im Gedächtnis bleiben hier aber eher die einzelnen Töne auf der Gitarre, die mit einem angedeuteten „singenden“ Squeal gespielt werden und den Flow der Double-Bass-Drums kurzfristig abstoppen.
Noch prägnanter sind aber die komplett doomigen Passagen, die teilweise reduziert arrangiert sind, sich dafür umso mehr entfalten können. Ein Beispiel dafür ist „Sear Me“, bei dem zunächst der Drummer solo mit einem Drumfill einsetzt, bevor nacheinander Bass, schließlich die Gitarren und dann Geige und Keyboards einsetzen. Mit minimalen Mittel wird maximale Atmosphäre erzeugt. Und ganz der Lehre des Dooms ensprechend nehmen sich MY DYING BRIDE Zeit, die Spannung aufzubauen.
Dass die Musiker aber Kinder des Death Metal sind, können sie nicht verleugnen: Allein die abrupten Brüche, wo der Song plötzlich mit einem neuen Riff in eine komplett andere Richtung geht (um dann langsam zum ersten Motiv zurückzukehren), begegnet ja häufig in der Frühphase des Death Metals. Damals war alles neu, und die Bands hauten gerne auch mal im Dutzend neue Riffs in einen Song.
Abrupte Brüche und reduzierte Arrangements
Mit „As The Flower Withers” loteten MY DYING BRIDE jedenfalls die Möglichkeiten aus, mit vorhandenen Stilmitteln und ungewöhnlichen Zutaten ihre Gedanken und Gefühle so auszudrücken, dass daraus etwas Unerhörtes entstand. Ein Prozess, der im Laufe der ersten Jahre immer weiter verfeinert wurde. Sänger Aaron Stainthorpe äußerte sich später einmal sinngemäß so, dass sie an viele Ideen etwas grobschlächtig herangegangen seien; so wie ein Handwerker, der das falsche oder zu große Werkzeug wählt. Deshalb war der Sänger später zwischenzeitlich komplett auf Klargesang umgeschwenkt.
In der Retrospektive ist es aber gerade dieses Unbehauene, dieser Kontrast, der die Faszination ausmacht: „As The Flower Withers” wäre nicht so abgründig, wenn nicht zwischendurch auch gehobelt würde. Die Atmosphäre wäre nicht so eindringlich, wenn die Melodien nicht manchmal nur unter einer Verzerrerschicht zu erahnen und die Geige nicht so sparsam eingesetzt worden wäre. Das Album lebt von Andeutungen, die auf den späteren Alben sicherlich feiner, aber dadurch vielleicht auch konformer ausgearbeitet wurden.
Und natürlich ist es auch so, dass „As The Flower Withers” nicht nur vertontes Leiden ist, bzw. „vertonte Bitterkeit, immer am schmalen Grat zur Zerbrechlichkeit wandernd“, wie es ex-Kollege Popp in seiner Review zum Nachfolger „Turn Loose The Swans“ ausdrückt. In den sieben Songs (der CD-Version, die LP hatte nur sechs) spiegelt sich ziemlich viel jugendlicher Elan wider, ja sogar Wut: Die Texte handeln erstaunlich oft von der Infragestellung oder Ablehnung des Christentums („The Forever People“, „Erotic Literature“). Die morbid-romantischen Verknüpfungen späterer Texte finden sich hier eher angedeutet wieder.
„As The Flower Withers” deutet an
Wenn man über Andeutungen spricht, ist es natürlich auch das Artwork, das hier genannt werden muss: Das Inbezugsetzen von unterschiedlichen Gegenständen, die gewollte Unschärfe, beispielsweise der Fotografie mit dem Frauentorso und der Maske und dem Vogel im … Es ist nicht genau zu erkennen, was da genau zu sehen ist, aber jeder macht sich ganz automatisch seine eigenen Gedanken. Jeder knüpft Verbindungen aus seinem eigenen Erfahrungsschatz. Und dieses Angedeutete, in mancher Hinsicht Unfertige, Offene ist ja auch eine Freiheit, die das Album lässt.
Alles in allem klingt „As The Flower Withers” ein wenig wie die Rohvariante späterer MY DYING BRIDE, aber das hat ja durchaus seinen Reiz. Und Sänger Aaron Stainthorpe blickt auch sehr positiv auf sein Debüt zurück: „Ich war angenehm überrascht über die Qualität mancher Ideen […]. Bei manchen Passagen aus unserer Frühphase haben Andy und ich nur anerkennend genickt und uns gefragt: ‚Wie haben wir das hinbekommen […]?‘“ Dass die Briten aber noch nicht ihr Pulver verschossen hatten und schon ein Jahr später noch einen draufsetzen würden, das war eigentlich auch schon damals klar.
Auch wenn der Nachfolger besser alterte und man hier noch nicht qualitativ zu PL hatte aufschließen können, ist Flowers immer wieder eine Hörreise wert. Selige Peaceville Glorie, die für immer ein Teil von mir sein wird. Und jetzt erstmal uralte Anathema ❤️
In times before the light!
<3
Gefühlt kenn ich den Großteil aller schwedischen oder finnischen DM Kapellen, die sich anfang der 90er formiert haben, aber die Engländer sind komischerweise komplett an mir vorbeigegangen. Selbst PL sind erst vor nem Jahr auf meinem Radar aufgetaucht. Schön, wenn man auch im gesetzten Alter noch was neues Altes für sich entdecken kann. Sehr gute Rubrik dafür !
Ich habe MDB immer unter Gothic Metal eingeordnet, seit einiger Zeit würde man wohl eher Dark Metal als Schublade wählen.