My Dying Bride - A Mortal Binding

Review

Warnung an alle Optimisten und Frohnaturen: Finger weg von MY DYING BRIDE und ihrem Frühlingsgruß „A Mortal Binding“! Wer hingegen sein musikalisches Heil in professionell zelebriertem Herzeleid findet: Hier bitte, Eure Dosis!

Taktisch kluge Promo

Beide vorab gelegten Fährten gaben bereits entscheidende Hinweise auf den neuen Stoff. „Thornwyck Hymn“ – ein schwerer Brecher mit Doublebass, tiefen Gitarren, der markanten Violine und Aaron Stainthorpes unverwechselbarer Stimme ist ein Wrap-up dessen, was die Band ausmacht.

„The 2nd Of Three Bells“ besticht dagegen durch seine getragene Stimmung, die im zweiten Drittel kurzzeitig in gutes altes Death-Doom-Gewalze umschlägt. Der Begriff „Hymne“ passt hier in der Gesamtbetrachtung sogar besser als beim vorgenannten Track.

Oftmals verschießen Künstler ihr Pulver bereits mit den Vorabsingles, nicht so MY DYING BRIDE. Bewusst oder unbewusst – beide Stücke waren taktisch clever gewählt, um vielversprechende Eindrücke vom neuen Material zu vermitteln, ohne gleich alle Karten auf den Tisch zu packen.

Doom ist eben nicht gleich Doom

Gemessen an den beiden Appetizern überrascht beispielsweise der Opener mit doomiger Monstrosität. Schleppendes Neckbreaker-Riffing und gemächliches Tempo eröffnen das 15. Studioalbum der Schwarzmaler aus Halifax. „Her Dominion“ ist der einzige Song auf „A Mortal Binding“ mit ausschließlich harschen Vocals.

„Unthroned Creed“ setzt wiederum mehr auf klassisch-düstere MY DYING BRIDE-Dynamik, ergänzt um einen Hauch von Mystik mit nebulösen Keyboardsounds und zum Teil geflüsterten/gesprochenen Passagen.

Mit über elf Minuten Länge erfordert „The Apocalyptist“ zwar mehr Durchhaltevermögen als die übrigen Titel, hält aber das Aufmerksamkeitslevel aufgrund seiner bipolaren Dramaturgie und der daraus resultierenden Stimmungswechsel durchweg hoch.

„A Starving Heart“ und das abschließende „Crushed Embers“ gehören in die Kategorie „Darf‘s noch ein bisschen mehr Pathos sein?“ – elegísch, melodiös und Shaun MacGowans traurige Violine spielt buchstäblich die erste Geige, wenn es um die musikalische Übersetzung der Emotionen geht.

Am Ende holen uns MY DYING BRIDE mit einem abrupten Cut dermaßen hart in die Realität zurück, dass man sich nach dem ganzen geblasenen Trübsal erstmal sammeln muss. Im Grunde kein schlechter Schachzug, denn man ist sofort geneigt, noch einmal „nachzuhören“.

MY DYING BRIDE haben ihre Rezeptur gefunden

Es benötigt ein paar Spins, sich „A Mortal Binding“ zu erschließen, das Werk ist aber längst nicht so sperrig wie manche Scheiben zuvor. Kenner der Band wissen, dass ihre Diskografie durchaus unkonventionelle Outputs enthält, „A Mortal Binding“ gehört definitiv nicht dazu. Die Briten kochen ihr Doom-Süppchen mit den gewohnten Grundzutaten, mischen diese aber immer wieder neu zusammen und erweitern ihr Portfolio, wenn auch nur in homöopathischen Dosen.

Sie haben sich auf eine ausgewogene Mitte zwischen ihrem 90er Death-Doom-Sound und der Gothic-Pathetik späterer Alben eingepegelt, sind weder zu furios noch zu wehleidig. „A Mortal Binding“ ist vertonte Gemütsschwankung, wobei standesgemäß die breite Palette negativer Zustände zum Tragen kommt. Die Songs fesseln mit der Simplizität repetitiver Riffs ebenso wie mit komplexen Melodiearrangements. Dazu spielt Aaron Stainthorpe bewusst mit allen Facetten seines Gesangsrepertoires, um bestimmten Zeilen den passenden Ausdruck zu verleihen, und er liefert nach wie vor mit Herzblut und bewundernswertem Mut zur Imperfektion.

In „Crushed Embers“ heißt es „all this aching must find an end“ – rein im musikalischen Kontext muss die Antwort allerdings lauten: Nein, bitte nicht!

20.04.2024
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