Múr - Múr

Review

MÚR sind eine neue Band aus Island und scheinen sich für den Newcomer des ausklingenden Jahres zu bewerben.

Eine Band entsteht – MÚR

Frontmann Kári Haraldsson (Gesang, Keytar, Synthesizer), der seit früher Kindheit Musik lernte, veröffentlichte als Soloprojekt unter seinem Vornamen das Album „Bláþræðir“ (2020), hierzu drehte Regisseur Hrafnkell Tumi Georgsson einen animierten Kurzfilm. Eine Zusammenarbeit, die auch später für MÚR zum Tragen kam. Weiter konnte Haraldsson die Musik für zwei Projekte schreiben – den isländischen Spielfilm „Harmur“ (2021) und die isländische Fernsehserie „Gestir“ (2024).

Die beiden Gitarristen Hilmir Árnason und Jón Ísak Ragnarsson erhielten unter anderem Anleitung von Þráinn Árni Baldvinsson von SKÁLMÖLD, der auch bei der Gründung von MÚR eine Rolle spielte. Beide studierten Jazz und absolvierten ihre Ausbildung an den isländischen Musikschulen Tónlistarskóli FÍH und Menntaskóli í Tónlist. Schlagzeuger Árni Jökull Guðbjartsson spielte zuvor bei KROWNEST und BLÓĐMÖR. Bassist Ívar Klausen studierte ebenfalls Jazzgitarre an der Musikschule, war als Gitarrist in der Popszene aktive war und ist Frontmann (Gesang und Gitarre) bei DÓPAMIN. Über die Schule, die Kontakte mit Þráinn Árni Baldvinsson sowie die Musikschule entstand im Lauf der Jahre eine enge musikalische Verbindung, die letztendlich zur Gründung von MÚR führte. 2022 erreichten MÚR auf dem isländischen Wacken Battle den ersten Platz, im internationalen Finale in Deutschland den vierten Platz. Auf dem selbstbetitelten Debütalbum spielt noch Sigurður Jakobsson Schlagzeug.

Das Debütalbum zieht mit feinen Post Metal und Progressive Metal in seinen Bann

„Múr“ klingt reif und vielschichtig, wie man es von einem Debütalbum nicht erwartet. Das Quintett mischt feinen Post Rock/Metal und Progressive Metal und zieht den Hörer mit seinen ausgedehnten, experimentellen wie vielseitigen Klanglandschaften in den Bann. MÚR lassen sich nicht in eine Schublade stecken und mischen munter genreübergreifende Einflüsse von DEVIN TOWNSEND PROJECT mit OPETH, SÓLSTAFIR, MESHUGGAH, ALCEST und GOJIRA zu einem eigenwilligen Cocktail. Hier verschmelzen atmosphärischer Progressive Metal und Post Rock mit der in diesem Fall nicht zu komplexen Technik des Jazz, ohne verkopft zu wirken. Der dichte, eindringliche wie stimmige Sound ist sehr cineastisch angelegt und vermag Bilder beim Hörer zu erzeugen. Unterstützt wird das Ganze durch die besonderen Akzente setzende Keytar, die atmosphärischen Synthesizer sowie den teils klaren, melodischen Gesang, wie auch den harschen Vocals, die in ihrer Heimatsprache Isländisch gehalten sind. Die besonderen Zusätze verleihen der Musik von MÚR ein gutes Stück Individualität.

Die ersten drei Minuten des Openers „Eldhaf“ sind zunächst rein Instrumental angelegt und beginnen sanft und zart mit einer einzelnen Gitarre. Mit dem Zusammenkommen der weiteren Instrumente entwickelt sich das Klangbild erst folkiger, dann Post Metal sphärischer, hypnotisch getragene Rhythmen, flächige Riffs, eine eindringliche Melodielinie und der klagend klare, warme Gesang machen das Stück zu einer fast schon einschmeichelnden und dennoch intensiven Hymne. Der Titelsong beginnt zunächst auch ruhig, entwickelt sich dann aber schnell bedrohlicher und finsterer. Knackige Riffs, harsches Gegrolle, präzises Schlagzeugspiel, dunkle Keyboards, MÚR zeigen uns hier ihre schwarze Seite. Mit knapp vier Minuten ist „Frelsari“ der kürzeste und auch geradlinigste Song auf „Múr“. Einprägsamer Refrain, kraftvolle Riffs, feine, hochmelodische Gitarrensoli, tierischer Groove, dabei stets dunkel und dezent melancholisch.

Die epische Komponente ihres Schaffens spielen MÚR mit dem getragenen, neuneinhalbminütigen „Vitrun“ aus, in dem der elektrischen Keytar mehr Raum einnimmt. Progressiv, harte Riffs und harscher Gesang, aber auch fast schon chorale Klargesänge, eine spürbare Kälte, dazu eine bewusste Schieflage, wozu auch das jazzig-proggige Gitarrensolo beiträgt, sorgen für eine ganz eigene Stimmung. „Messa“ ist kompakter und harscher, dabei progressiv bleibend, auch hier hat die Keytar wieder einige Einsätze.

Das Ende lebt von großer Epik

Die letzten beiden Stücke auf „Múr“ sind von großer Epik geprägt. Das elfminütige „Heimsslit“, übersetzt Ende der Welt, ist sicher der ungewöhnlichste Song des Albums. Das cineastische, sich aufbauende Stück hat einen ausgeprägten Soundtrack-Charakter. Die Einleitung ist zunächst sphärisch angelegt. Futuristische Synthetik, bedrohlich wabernd, warm und doch unterkühlt. Nach dem ersten Drittel dumpfe Basstöne, es dröhnt und zaudert, doomige Riffs – ein unheilvolles Ende kündigt sich gnadenlos an. Fast bei der Hälfte angekommen, wird es richtig harsch. Infernalisch wütender Schreigesang, donnerndes Schlagzeug und harte Gitarren bilden eine dichte Soundwand. Am Ende jedoch weicht die wieder sphärischen, gar himmlischen Klänge. Die Kombination aus Gegensätzen sorgt für tiefgreifende Emotionalität und Gänsehaut.

Das abschließende zehnminütige „Holskefla“ startet auch ruhig mit zerbrechlichen Melodien, wird dann im weiteren Verlauf schwerer und heavier mit harschem Gesang und teils vertrackten Rhythmen. Eine epische Klanglandschaft mit zusammenhängender wie dynamischer Performance.

Gelungene Vorstellung von MÚR

MÚR beindrucken auf ihrem Debütalbum mit hoher Musikalität, Einfallsreichtum und Vielschichtigkeit. Von brachialer Härte bis zerbrechlicher Feinsinnigkeit. Keine Revolution des Genres, aber ein atmosphärisch dichtes Werk, das beständig über den Tellerrand blickt und sich nur minimalste Schwächen leistet. Was für ein gelungener Einstieg!

29.11.2024

Geschäftsführender Redakteur (stellv. Redaktionsleitung, News-Planung)

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