Morfin - Inoculation

Review

Irgendwo in Paris, Anfang des letzten Jahrhunderts: Ein kleiner, etwas verwahrloster Mann mittleren Alters hockt in einer beengten Dachgeschosswohnung und pinselt im Schein einer Gaslampe auf einer Leinwand herum. Ein Fälscher, der sich an das heutzutage wohl berühmteste Gemälde der Welt heranwagt – Leonardo da Vincis Mona Lisa. Aus einiger Entfernung sieht sie fast täuschend echt aus, aber es ist ihr geheimnisvolles Lächeln, das der mittelmäßige Kopist nicht abbilden kann. Es ist die Seele des Werkes, zu der vorzudringen er nicht imstande ist.

Und jetzt – Achtung, Transferleistung – übertragen wir das Ganze auf MORFINs „Inoculation“; aus der Mona Lisa wird dabei das DEATH’sche Frühwerk. In anderen Publikationen bereits dafür gepriesen, die „Wiedergeburt von DEATH“ zu sein, muss man sich fragen, woher diese unkritischen Lobeshymnen auf das Debüt des kalifornischen Quartetts, das zu drei Vierteln aus Hispanos besteht, kommen. Es gibt nur eine Antwort: eine viel zu niedrige Begeisterungsschwelle gepaart mit der Unart, wirklich jeden überflüssigen Käse als Gourmethappen abzufeiern. Richtig, das geschieht in sogenannten Rezensionen, die sich oftmals lesen, als wären sie unter den Peitschenhieben des Promoters verfasst worden: „Yeah, amtliches Brett, sofort kaufen und abmoshen!“

Nun, MORFIN erinnern tatsächlich stark an DEATH zu „Leprosy“- und „Spiritual Healing“-Zeiten, an andere frühe Florida-Deather wie OBITUARY, und der Krächzgesang könnte bei etwas mehr Intensität auch dem feinen PESTILENCE-Debüt „Malleus Maleficarum“ entstammen. Der Gesamteindruck ist – fast wie anno dazumal – angenehm erdig-urig und bei den knackigsten der nicht alle auf den Punkt kommenden neun Lieder plus Bass-Solo – etwa „Brain Control“ – kommen doch tatsächlich mittelschwere Mittnick-Gelüste auf. Nichtsdestotrotz bleibt der Charme der Originale auf „Inoculation“ beinahe so fern wie das Besitzen der Mona Lisa für Normalsterbliche. Ganz am Ende kredenzen MORFIN passenderweise noch eine unspektakuläre, da keinerlei eigenen Charakter aufweisende Nachspielversion – klar, dass es sich um irgendetwas von DEATH handelt, konkret „Leprosy“.

Man kann sich „Inoculation“ geben, aber warum sollte man? Wo sind die zwingenden Argumente? Die Klassiker leben neben ihrem Nostalgiebonus auch vom immensen Feuer der Beteiligten; vom Geist des Aufbruchs Ende der 80er-, Anfang der 90er-Jahre, den die meisten Plagiatoren im hoffnungslos übersättigten und entseelten Markt der Gegenwart nicht mehr reproduzieren können. Wenn schon Retro, dann bitte überkochend vor Leidenschaft.

14.02.2014
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