20 Jahre MOGWAI. Die Pioniere rockiger Klangästhetik feiern Geburtstag. Muss deswegen gleich jeder halbwegs vollbärtige Ü30-Plattensammler völlig aus dem Häuschen sein? Muss er nicht. Aber muss er bis heute jede dahergelaufene Post-Rock-Band, die ihm teuer ist, am Schaffen der Schotten messen? Muss er! Denn im Gegensatz zu anderen Wegbereitern heutzutage allgegenwärtiger Alternative-Stile wie etwa SLINT oder MY BLOODY VALENTINE haben MOGWAI stets einen Finger auf dem Geschehen in der kunterbunten Post-Rock-Welt behalten – und dabei bis zum heutigen Tag immer wieder Maßstäbe gesetzt.
Maßstäbe, die „Central Belters“ nun erstmals in der Geschichte des eigenwilligen Quintetts zu bündeln versucht. Bei der handverlesenen Songauswahl sparen sich MOGWAI dabei von vornherein falsche Bescheidenheit. Und so tummeln sich hier satte dreieinhalb Stunden Material auf sechs LPs bzw. drei CDs – wie geschaffen für einen nostalgischen Abend zwischen Plattenteller und dem von Gitarrist Stuart Braithwaite auf der Bühne so geschätzten Gläschen Rotwein. Mit einer Sammlung von Raritäten im finalen Drittel stellen die Jubilare zudem klar, dass sie keinesfalls gewillt sind, nur auf alte Glanztaten beschränkt zu werden. Folglich bekommt das einflussreiche Debütalbum „Mogwai Young Team“ seine Würdigung lediglich in Form des monumentalen Drei-Akkord-Massakers „Mogwai Fear Satan“ zugesprochen. Entschädigung gibt es jedoch mit der bereits 19 Jahre alten Originalversion von „Summer“, die das Album gemeinsam mit dem ebenfalls nur auf Single verewigten „New Paths To Helicon, Pt. 1“ einleitet.
Die Zeitmaschine nimmt nun an Fahrt auf. Das erst im letzten Jahr von Grund auf restaurierte „Come On Die Young“ steht ganz im Zeichen des Einstiegs von Multiinstrumentalist Barry Burns, der seine Keyboard-Fertigkeiten hier erstmals unter Beweis stellt. Sprachrohr Braithwaite verhilft hingegen mit seinem tiefen Klargesang auf „Cody“ zum ersten richtigen Pop-Song der zuvor doch immer wieder noisigen Truppe. Eine Ein-Song-pro-Album-Tradition, die auf „Central Belters“ mit „Take Me Somewhere Nice“ oder „Travel Is Dangerous“ noch häufiger Beachtung findet.
Der Chronologie entsprechend folgt nun eine gewisse Selbstfindungsphase MOGWAIs, die mit „Rock Action“ und „Happy Songs For Happy People“ in zwei noch ruhigeren Outputs mündete. Nun wagt sich auch Burns erstmals ans Mikro, manipuliert seine Stimme jedoch über zwischengeschaltete Vocoder. Eine weise Entscheidung, gehören mit elektronischem Gesang durchsetzte Stücke wie „Hunted By A Freak“ und „2 Right Make 1 Wrong“ doch bis heute zu den größten Hits der Band, die eigentlich niemals Hits haben wollte.
Das von Kritikern hochgelobte 2006er Album „Mr. Beast“ ist mit insgesamt vier Titeln gerechterweise am stärksten vertreten. Dauer-Setlist-Blocker wie „Friend Of The Night“ oder „We’re No Here“ bedeuten aber zugleich auch einen neuen Abschnitt in der Bandkarriere der Schotten. Plötzlich wird die Band auch auf dem Werbemarkt als eine der ganz Großen von der Insel gehandelt. Die magisch-simple Komposition „Auto Rock“ taucht in Nike-Werbungen, „Miami Vice“-Remakes oder gar in der Formel 1 auf. Doch MOGWAI kontern etwaigem Erwartungsdruck mit gewohnt unkonventioneller Attitüde und legen bereits zwei Jahre später mit „The Hawk Is Howling“ nach. Während der damalige Opener „I’m Jim Morrison, I’m Dead“ den vorherigen Ansatz der minimalistischen Piano-Motive fortführt, zeigt „Batcat“ die wiedererstarkte härtere Schlagseite der wandelbaren Gruppierung. Anno 2011 präsentieren MOGWAI mit ihrem siebten Album „Hardcore Will Never Die, But You Will“ jedoch eine gänzlich unerwartete Antwort auf die einsetzende Elektro-Revolution im Post-Rock-Kosmos. Poppig, elektronisch, rockig, transzendental – lebendig. Ein weiterer Meilenstein für die gesamte Szene.
2014 dann halten Braithwaite, Cummings, Burns, Aitchison und Bulloch all jenen durchsynthetisieren Atmo-Truppen, die im neuen Jahrzehnt den Markt überschwemmen, erneut den Spiegel vor. Was anderswo als Altern in Würde verschrien wird, mausert sich mit „Rave Tapes“ zu einer Lehrstunde minimalistischer Analog-/Elektronikkunst. Barry Burns revolutioniert mit „The Lord Is Out Of Control“ mal eben so den gesamten Einsatz des Vocoders in der Unterhaltungsmusik, während sich mit „Remurdered“ schon wieder ein neuer Live-Liebling abzeichnet. Das gesangslastige Post-Punk-Inferno „Teenage Exorcists“ beschließt das zwei Dritte der Platte.
Auf der Nebenbühne eröffnet die Truppe den dritten Teil ihrer Geburtstagsfeier mit dem erst im letzten Jahr wieder ausgegrabenen „Hugh Dallas“, welches gerade Freunde gitarrenintensiverer „Come On Die Young“-Tage befriedigen dürfte. Selbiges gilt für den 20-minütigen Riff-Monotonie-Olymp „My Father My King“, der im Jahre 2001 aus einem jüdischen Gebet abgeleitet wurde. Im weiteren Verlauf werden jedoch nicht nur angestaubte B-Seiten und Bonus Tracks zur Schau gestellt, sondern auch Soundtrack-Beiträge präsentiert, welche die Reputation MOGWAIs auf dem internationalen Musikmarkt nachhaltig untermauern. Egal ob Zinedine-Zidane-Dokumentation oder die Mystery-Serie „Les Revenants“ („The Returned“): Gerade die französischen Filmemacher scheinen einen Narren an den Klangwelten der Schotten gefressen zu haben – was der Band in den 2010ern immer häufigere Studio-Aufenthalte beschert. Die Fans dürften sich am allerwenigsten daran stören.
Insofern ist „Central Belters“ nicht nur eine gelungene Werkschau für alle jene, die angesichts der MOGWAI’schen Veröffentlichungswut leicht den Überblick über die imposante Diskografie verlieren, sondern auch die erste Wahl für nach Raritäten lechzende Fanboys. Wer nicht wirklich alle 8 Alben, 3 Soundtracks und 13 EPs vorliegen hat, dem sei dieses Boxset also dringend im Format seiner Wahl ans Herz gelegt. Und überhaupt: Das Zeitdokument der noch immer besten Post-Rock-Band der Welt sollte schon bald zu den essentiellen Bestandteilen jedes gut geführten Plattenregals gehören.
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