Wenn man beim neuen Album „The Call“ von MINOTAURUS mosht, mitwippt und sich Melodien unaufgeregt im Ohr festsetzen, merkt man, wie sehr sich die Band in den letzten Jahren weiterentwickelt hat. Darüber hinaus ist deren Repertoire nicht nur härter, sondern auch umfangreicher geworden. Statt lediglich typische Mittelalterschemata werden zahlreiche Fremdeinflüsse aus der Punk-, Alternative-, RAMMSTEIN- und MANOWAR-Szene verarbeitet, ohne dass ein roter Faden dabei verloren geht. So ist „The Call“ ein funktionierendes, livetaugliches Rockalbum geworden, das aber vermeidet, wirklich herausragend oder innovativ zu sein.
Auffällige Songs sind etwa das truemetallische „Varus Schlacht“ mit stilechtem Soldatengetrappel am Anfang, oder der mit einem überraschenden Akkordverlauf veredelte Uptempo-Titeltrack. Generell muss man MINOTAURUS zugute halten, dass sie mittlerweile wirklich gut Geschichten in Liedern erzählen können. Wenn es sein muss, gelingen aber auch eingängige Rockstampfer, wie das tödlich groovende „Chains Of Captivity“. Fans der ruhigen Töne werden bereits in Songtiteln wie „Wanna Be Your Wife“ oder „Love Song“ darauf hingewiesen, wo die Reise hingeht. Diese Nummern sind zwar handwerklich gut gemacht, aber auch genauso kitschig wie sie sich hier anlesen. Jeder soll selbst entscheiden, was von beidem schwerer wiegt.
Wenn MINOTAURUS aber mit „The Call“ immer noch nicht im Olymp des Mittelalterrocks angekommen ist, liegt das vor allem an zwei Dingen. Erstens ist der Gesang von Oliver Klump und Julia Hofmeister zwar gut, aber auch das einzige, mit dem die Band Eigenständigkeit herausarbeiten kann. Die resultierenden Songs funktionieren zwar, klingen aber selten wie MINOTAURUS, sondern eher wie MANOWAR, SALTATIO MORTIS oder Mischprodukte vieler verschiedener Bandväter. Zweitens hat sich sich der Sechser immer noch nicht von einigen Undergroundkrankheiten gelöst, die ihn schon seit Jahren begleiten. Seien es Songs, die abrupt enden, Riffs, von denen man glaubt, sie im selben Album schonmal gehört zu haben, oder eine Produktion, die die vielen Instrumente – inklusive zweier Sänger – noch nicht ideal in der Frequenzbreite verteilen kann. Nichtsdestotrotz ist „The Call“ ein angenehmes Mittelalterrockalbum ohne überflüssige Spielereien, das in den 90ern funktioniert hätte und es heute immer noch tut.
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