Ministry - Moral Hygiene

Review

Die Songschmiede um den in Kuba geborenen Al Jourgensen liefert mit “Moral Hygiene” den vierzehnten Output in der langen Geschichte seiner Band MINISTRY. Als die Gruppe 1983 als rein elektronisches Projekt das Licht der Welt erblickte, konnte man sie guten Gewissens mit einer Combo wie DEPECHE MODE in einem Atemzug nennen. Mittlerweile liefern die Chicagoer allerdings lupenreinen Industrial-Metal der fieseren Art.

Schon der Opener beginnt mit dem fiebrig gesprochenen Mantra “How concerned are you?”, bevor Jourgensens wohl bekannte Aggro-Stimme einsetzt und sich gemeinsam mit schwer verchromten Gitarren unter einem schleppenden Beat zu einem echten Gewaltakt formiert. Im Refrain heißt es: “Let´s get ready… Let´s get ready… Ready to die!”, während der Song von Samples durchsetzt zu einem politischen Drohgebärden anschwillt.

MINISTRY: Politik hat etwas in ihrer Musik zu suchen

Jourgensen muss das Ergebnis der jüngsten Präsidentschaftswahlen in seinem Heimatland entzückt haben, ist er von jeher ein erklärter Feind aller Republikaner. Wie um den Wahlsieg Joe Bidens entsprechend zu feiern, lässt sich auf “Moral Hygiene” manche Parallele zum 1992er Werk “Psalm 69” ausmachen, auf dem MINISTRY offensiv gegen die Bush-Regierung pöbelten.

Auch in der Gegenwart jagt die Industrial-Urgewalt nationalistisches Gedankengut wie die Sau durchs Dorf und bedient sich dabei immer wieder anschiebender Rhythmen und wuchtiger Riffs. Das erinnert nicht nur Kenner der Szene an eine Mischung aus NINE INCH NAILS und PRONG. MINISTRY erzeugen mit ihren cineastischen Arrangements darüber hinaus eine wirklich unheilvolle Stimmung.

“Moral Hygiene” biete bösartige Tanzmusik

Indes zucken die Tanzmuskeln ungerührt vor sich hin, während ein Song wie “Sabotage Is Sex” einfährt. Das muss man Jourgensen lassen, die schlechte Laune lässt er dieses Mal nicht ganz so freizügig in die Kompositionen einfließen, wie noch auf “AmeriKKKant”. Dafür bietet “Moral Hygiene” eben gleichzeitig eine Menge Spaß und arglistig subtile Arrangements. Es ballern die Breaks, es klingeln die Ohren. Ein ähnliches Unbehagen erfährt man gerne mal auf einem Trent-Reznor-Konzert.

“Search And Destroy” bildet einen echten Album-Höhepunkt, kommt das Lied nämlich wie eine Genickwatsch´n für alle breit angelegten Indie-Rock-Stadion-Hymnen daher. Zwar stammt der Track im Original aus der Feder der STOOGES. Die reichhaltige Melodie und der großkotzige Chorus  biedern sich in dieser Version aber auch zu keiner Sekunde mit falschen Versprechen an. Überragend! Das folgende “Believe Me” wiederum ist der Wolf im Schafspelz. Instrumental mag der Song relativ harmlos seinen Weg in die Gehörgänge finden, während die Lyrics vor Zynismus kaum überboten werden können und kleine Seitenhiebe auf den “President of the United States” nicht fehlen dürfen.

Statement und Flüche oder einfach gute Musik?

So findet sich auf “Moral Hygiene” ein Konglomerat aus irrwitzigen Stilmixturen und interessanten Samples. Dabei verwenden MINISTRY meist den korrekten Terminus und legen gerne den Finger in die Wunde. Alleine der vorletzte Track “Death Toll” reitet auf der aktuell misslichen Lage rund um Covid herum. Der abschließende “TV Song #6” offenbart sich als Hyper-Speed-Tarantino-Soundtrack und flirrt scheinbar zusammenhanglos durch die Boxen. Man muss schon genau hinhören, um all die eingestreuten Zitate in den richtigen Kontext zu setzen. Das eine Portion Humor bei all den hitzigen und wütenden Gefühlsausbrüchen nicht schaden kann, wissen auch MINISTRY. Und so sind die letzten Worte des spektakulären Albums “Hallelujah”.

Der ganz große Wurf ist Jourgensen mit “Moral Hygiene” trotzdem nicht gelungen. Das Überraschungsmoment, dass auf “The Mind Is A Terrible Thing To Taste” mit dem Opener “Thieves” wunderbar ausgespielt wurde, ist über die Jahre hinweg verpufft. Auch wird sich die Aussagekraft der oft politischen und sozialkritischen Statements der Songs in Grenzen halten. Zu viele Insider sind enthalten, die in erster Linie den amerikanischen Markt erreichen. Das ist schade, denn wenn man allein die Musik für sich sprechen ließe, ist das bereits erwähnte Referenzwerk “Psalm 69” weiterhin vorzuziehen.

23.09.2021

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